Von Alexander Wallasch
Unter dem Schlagwort #allesaufdentisch versammeln sich Künstler und Experten zum Einzelgespräch über die Corona-Krise. Der Nachfolger von #allesdichtmachen verzichtet auf Ironie oder Satire. Jetzt kommen Experten und gewichtige Stimmen zu Wort, die bisher kein Gehör fanden.
Letzteres kann man von Oskar Lafontaine sicher nicht sagen. Denn schon ein auffälliges Husten des prominenten Linkspolitikers kann vielleicht nicht mehr automatisch im politischen Deutschland, aber wohl noch in den sozialen Medien ein kleines Erdbeben auslösen.
Ins Gespräch mit Oskar Lafontaine kommt der deutsche Schauspieler Wolfgang Zarnack. Für den interessierten Zuschauer bedeutet das siebenundzwanzig Minuten echtes Fernsehen, wie es sein kann, versus öffentlich-rechtliches Regierungsprogramm.
Das Thema der beiden Herren ist klar: Es geht um die politischen Aspekte der Corona-Krise. Entscheidend hier ist für Lafontaine das Augenmerk auf „die Ausgrenzung der Ungeimpften.“
„Wenn im Deutschen Bundestag der Antrag gestellt worden wäre, alle Ungeimpften auf eine entfernte Insel zu verfrachten, dann hätte der Aussicht auf eine Mehrheit“, überzeichnet Lafontaine absichtsvoll. Der Politiker ist eben auch ein alter Hase im Mediengeschäft. Wer so eröffnet, der hat ganz sicher das Interesse der Zuschauer geweckt.
Lafontaine zitiert Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, welcher der Absage des neuen Bundeskanzlers an rote Linien das Grundgesetz gegenüberstellte, welches genau das sei: rote Linien.
Um die Ecke herum wirft der Linkspolitiker Scholz sogar vor, er würde den Eindruck erwecken, er hätte das Grundgesetz noch nicht gelesen: „Das ist schon bedenklich, das hätte es in früheren Zeiten in dieser Form nicht gegeben.“
Wolfgang Zarnack hält sich angenehm zurück, seine Fragen und Einwürfe sind genau der richtige Sidekick für den Politprofi ihm gegenüber. Der Schauspieler weiß hier genau, dass ihm in diesem Format #allesaufdentisch gerade der prominenteste Protagonist der Corona-Maßnahmenkritiker gegenübersitzt.
Aber Lafontaine ist nicht als Apokalyptiker ins Gespräch gegangen. Er findet es erfreulich, dass es jetzt diese kritische Debatte gebe, die offen gehalten werden kann für neue Argumente. Das würde eine demokratische Gesellschaft auszeichnen.
Wie eine ganze Reihe von Politikern und auch Journalisten gegenüber Ungeimpften auftreten würden, dass hätte mit Minderheitenschutz nichts mehr zu tun, so Lafontaine: „Minderheitenschutz ist ein Kernelement jeder demokratischen Gesellschaft.“
Und weiter zu diesem Thema: Der Respekt vor der Meinung anderer würde fehlen. „Respekt“ sei aber sogar eine Wahlkampfforderung der SPD gewesen.
Erfreulicherweise, so Lafontaine, bekämen jetzt einige „kalte Füße“, was die Impfpflicht angehen würde. Man wisse eben längerfristig nicht, was das Impfen mit dieser neuen Technik bewirkt:
„Jeder, der sagt, er wisse, dass nichts passiert, ist für mich auch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ein Scharlatan.“
Schauspieler Zarnack ergänzt hier, dass ja die Zweifachgeimpften auch demnächst wieder als Ungeimpfte gelten.
„Jetzt wird von 80 Prozent herumgefaselt“, kommentiert der prominente Linkspolitiker die Frage nach der Durchimpfung, und wann diese eigentlich genug sei. „Das ist vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht mehr haltbar, was da überall erzählt wird.“
Es sei doch jetzt klar, so Lafontaine, dass, was man ursprünglich glaubte, dass nämlich das Impfen davor schütze, andere anzustecken, nicht mehr stimme. Auch Geimpfte könnten sich und damit auch wieder andere anstecken. Der Solidaritätsaspekt würde so bei der Impfpflicht quasi entfallen.
Ein gutes, ein unaufgeregtes Gespräch bis hierher. Nein, das ist natürlich keine scharfe Auseinandersetzung unterschiedlicher Positionen. Aber für viele ist es elementar wichtig geworden, gegenüber den Corona-Maßnahmen kritisch aufgestellte Stimmen in der Gelassenheit hören zu können – die Grundidee von #allesaufdentisch funktioniert hier perfekt.
Nächster Aspekt im Gespräch: Die Intensivbetten. Die Aussage, wer sich nicht impfen lassen und dann schwer krank würde, gefährde andere, indem er ihnen das Bett im Krankenhaus wegnehme, ist für Lafontaine „der Höhepunkt der Heuchelei“. Denn dieses Argument benützten ausgerechnet jene, die eigentlich dafür die Verantwortung dafür tragen, dass die Krankenhausplätze weniger geworden sind.
Der Politiker erwähnt fünf- bis achttausend fehlende Intensivbetten und, dass wir „auch viele Pfleger verloren haben“. Hier nennt Lafontaine die Zahl einer Verringerung um hunderttausend Pflegekräfte.
„Aber jemand, der Schwerkranke pflegt, leistet etwas Wichtigeres als jemand, der mit Wertpapieren spekuliert“, so Oskar Lafontaine weiter. Hier stehe die Gesellschaft hinsichtlich der Wertmaßstäbe vollkommen auf dem Kopf.
Auch bei der Belegung der Intensivbetten sei durch die Ärzte gepfuscht worden, ergänzt der Linkspolitiker. Weiter kritisiert Lafontaine, dass die DIVI noch nicht einmal angegeben könnte, wie viele Menschen überhaupt geimpft sind.
Dem Politiker kommt es fast so vor, „als hätte man in Deutschland Angst vor Zahlen“. Jetzt würde das Volk der Dichter und Denker also dichten, wenn es um die Pandemie geht.
Was Lafontaine ebenfalls von Anfang an vermisst, ist eine sogenannte „Kohortenstudie“. Hier hätte man durch regelmäßige Untersuchungen und Testungen Wesentliches für die Bewältigung der Pandemie erfahren können: Dies sei „einer der größten Fehler der Regierung Merkel, die das zu verantworten hat“, selbst der Chef der Robert Koch-Instituts habe das gefordert.
„Man sagte immer, Frau Merkel denkt vom Ende her“, dann sei aber vollkommen unverständlich, dass sie nicht selbst für solides Zahlenmaterial gesorgt habe, um eine solche Pandemie zu steuern, so Oskar Lafontaine.
Politiker wie Markus Söder (CSU) würden es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen, sagt der Oppositionsführer der Linken im Saarland. Dass beispielsweise neunzig Prozent der Corona-Patienten in den Krankenhäusern Ungeimpfte seien, sei „ein völliger Blödsinn“ gewesen.
„So hat man das Volk regelrecht aufgehetzt.“
Wer die Wahlkampfauftritte von Oskar Lafontaine erinnert, der weiß noch, dass dieser die Kunst beherrscht, an sich selbst zu explodieren. Entsprechend werden seine Aussagen mit Fortgang des Gespräches immer noch ein wenig pointierter, wenn es da weiter heißt:
„Man muss der Politik hier den Vorwurf machen, dass sie die Spaltung der Gesellschaft systematisch vorangetrieben hat.“
So habe die Regierung die Ungeimpften zu Sündenböcken einer Entwicklung gemacht, die sie selbst zu verantworten habe. Stattdessen würden jetzt „faschistoide Vorschläge“ vorgetragen, das sei ja abenteuerlich. Verantwortlich dafür sei die Politik durch ihr „leichtfertiges Geschwätz“.
Die Geldzuweisungen für die Krankenhäuser in der Corona-Pandemie in Deutschland erinnern Oskar Lafontaine an die „Cobra-Prämie“ in Indien, die einst eingeführt wurde, um die Schlangenplage loszuwerden. Nur gab es dann immer mehr Cobras, weil die armen Leute die Tiere dann gezüchtet hätten.
„Eine Maßnahme kolossalen Unverstandes“ und eine, die auch der Logik widerspräche, ist für Lafontaine die Impfpflicht für Pflegeberufe. Logisch wäre stattdessen ein gründliches Testsystem.
Angesichts der Tatsache, dass sich die Geimpften doch wieder anstecken können, so der Linke, sei die Impfpflicht für Pflegeberufe „schlicht und einfach Blödsinn, das ist nicht begründbar“.
Oskar Lafontaine hofft jetzt auf eine Abschwächung des Virus, wie es, so sagt er, schon bei der Omikron-Variante zu beobachten sei. So könne man hoffentlich demnächst ohne die Einschränkungen mit dem Virus leben – so wie mit anderen auch. Auch die Medikamenten-Entwicklung sei eine hoffnungsvolle, da sie „uns von diesem Albdruck“ befreien könnte.
Er selbst sei übrigens lange der Überzeugung gewesen, die Impfung könne uns aus der Pandemie herausführen, aber die Entwicklung habe gezeigt, dass die in Deutschland und Europa verimpften Impfstoffe dies „in keinem Fall leisten.“
Würde eine Impfpflicht kommen, erinnert Lafontaine, dann wäre das ja nicht nur eine Impfpflicht, sondern in Deutschland die Pflicht, sich mit einer bestimmten Technik impfen zu lassen. Es sei absurderweise von der Regierung versäumt worden, die Alternativen aus China oder aus anderen Ländern hier ebenso zuzulassen.
Und Lafontaine zündet zum Ende des Gesprächs hin noch weitere Bomben: „Unsere Debatten sind von Lobbyisten durchseucht.“ Bei vielen wissenschaftlichen Studien müsse man heute sofort fragen: „Wer hat denn das überhaupt finanziert?“ Und bei manchen Wissenschaftlern wäre folgende Frage wohl angebracht: „Auf wessen Gehaltsliste steht der denn überhaupt?“
Und weiter: „Das große Geld steuert teilweise auch die Debatten. (…) Für die Faktenfinder der ARD wäre es eine ganz große Aufgabe, herauszufinden, welcher Experte auf wessen Lohnliste steht.“ Aber da würden die nicht rangehen, so Oskar Lafontaine beinahe amüsiert.
Für die nächste Epidemie, sagt der Linkspolitiker, müsse sichergestellt werden, dass nicht Lobbyisten die Entwicklung mit falschen Zahlen in die falsche Richtung lenken.
Schauspieler Wolfgang Zarnack ist hier in der Nachbesprechung etwas zu kurz gekommen. Aber seine Rolle war keine geringe. Zarnacks nachdenkliche wie kritische Fragen sind wichtige Säulen dieses Beitrags zur Corona-Debatte.
Am Ende des Films bei Youtube steht die Aufforderung, eine Petition für einen runden Tisch zu unterzeichnen.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: Screenshot Video
Text: wal
mehr von Alexander Wallasch auf reitschuster.de