Der Iraner, der ein Kino fast zur Todesfalle machte, hatte 27 Identitäten Ich stehe vor einem Dilemma – wie sehen Sie das?

Als kritischer Journalist, dessen wichtigstes Thema Deutschland ist, hat man in diesen Tagen immer häufiger ein Problem: Man fragt sich, wenn man die vielen Meldungen des alltäglichen Wahnsinns „made in Germany“ sichtet – wie geht man damit um. Soll bzw. muss man dem Wahnsinn durch das Berichten einen Resonanzboden geben – oder nicht. In diesem Dilemma möchte ich mich heute in einem ganz konkreten Fall an Sie wenden – und an die Schwarmintelligenz. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Einschätzung.

Worum geht es?

Um einen Mann aus dem Iran, der am Donnerstagabend plötzlich im Foyer eines Krefelder Kinos auftauchte, dort an mehreren Stellen Benzin ausschüttete und für panische Szenen unter den 150 Besuchern im Gebäude sorgte. Um ein Haar hätte der Mann ein Massaker anrichten können. Zuvor hatte er offenbar schon mehrere weitere Brände in der Innenstadt gelegt. So war die Polizei bereits alarmiert und konnte ihn rechtzeitig mit einem Schuss stoppen.

Der  Brandstifter war kein Unbekannter, wie sich inzwischen herausstellte: Der 38-jährige Iraner saß bereits für gefährliche Körperverletzung, versuchte Vergewaltigung und mehr hinter Gittern. Seit Jahren lebte er mit falschen Identitäten in Deutschland, 27 Namen soll er genutzt haben, wie die „Welt“ schreibt. Trotz abgelehnter Asylanträge und immer neuen Straftaten blieb er im Land – psychisch auffällig, unberechenbar, immer wieder für Chaos sorgend. Politisch verantwortlich: Die CDU-Regierung in Nordrhein-Westfalen mit Ministerpräsident Hendrik Wüst und Innenminister Herbert Reul, der erst kürzlich auf unerträgliche Weise einen anderen Amoklauf verharmloste (siehe hier).

Ich muss Ihnen an dieser Stelle gestehen: Als ich diese Nachricht gelesen habe, war meine erste Reaktion: Das ist nichts Neues, geschieht doch ständig. Da ich noch mit vielen anderen Themen beschäftigt war, habe ich mich zunächst entschieden, das Thema nicht aufzugreifen.

Dafür plagt mich jetzt ein schlechtes Gewissen: Ist es nicht meine Pflicht als Journalist, auf so ein eklatantes Versagen der Behörden und der Politik aufmerksam zu machen?

Ist meine erste Reaktion, das Thema nicht aufzugreifen, ein erstes Anzeichen dafür, dass ich abgestumpft bin? Dass ich mich an den Irrsinn und das Unerträgliche gewöhnt habe, weil ich jeden Tag beruflich mit allzu viel davon konfrontiert werde?

Kopp

Diese Fragen sind nicht rhetorisch gemeint. Sie beschäftigen mich sehr.

Ebenso wie die Frage: Wie viel von all dem Irrsinn, den ich täglich von Berufs wegen wie ein Schwamm in mich aufnehme und dann versuche, für Sie zu filtern, kann ich Ihnen wirklich zumuten?

Wo liegt die Grenze zwischen Verharmlosung durch Verschweigen, wie es unsere großen Medien bis zum Exzess tun, und einem Bombardieren der Leser mit lauter Negativem?

Ich selbst fühle mich immer mehr wie ein Proktologe – so nennt man die Ärzte, die sich mit dem Enddarm beschäftigen. Wie viel von dem, was ich da Gesicht bekomme, soll ich Ihnen zumuten?

Wie ging es Ihnen? Waren Sie wütend, als Sie hörten, dass dieser Mann – trotz seiner Vorstrafen und 27 Identitäten – wieder frei herumlief und in Krefeld eine solche Panik auslösen konnte? Oder zuckten Sie resigniert mit den Schultern, nach dem Motto: Leider, leider ist das Alltag in Deutschland.

Ich habe beide Reaktionen in mir gespürt. Eine Mischung aus ihnen.

Eine Mischung aus Wut und einem Ohnmachts-Gefühl: Wut auf eine Politik, die uns nicht schützt und auf eine Bürokratie, die sehr effizient darin ist, den kleinen Bürger beschäftigt zu halten, aber völlig versagt, wenn es darum geht, Straftäter in Schach zu halten. Ohnmacht, weil die Mehrheit in Deutschland diese Zustände offenbar in politischer Apathie hinnimmt, sich gewöhnt hat und deshalb kurzfristig keine Änderung abzusehen ist.

Irgendwann, das zeigt die Geschichte – und das ist sicher – wird der Punkt erreicht sein, an dem die Wut überwiegt. Je größer und zäher heute die Hartnäckigkeit ist, umso brodelnder und ungezähmter wird diese Wut sein. Auch vor ihr habe ich Angst. Müssen wir wirklich, wie so oft in der deutschen Geschichte, solange dem einen Extrem anhängen, bis wir ins andere verfallen? Eines ist klar: Solange die Mehrheit resigniert mit den Schultern zuckt und/oder wegblickt, rast der Zug mit immer größerer Geschwindigkeit auf einen Abgrund zu. Es ist gruselig, in diesem Zug zu sitzen, ohne eine Notbremse zu haben.

„Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd“

sagt ein altes chinesisches Sprichwort. Bei uns ist es wohl eher ein guter Anwalt – und der kostet Geld. Augsburgs CSU-Oberbürgermeisterin Eva Weber hat mich gerade angezeigt, weil ich es gewagt habe, ihre Amtsführung zu kritisieren. Es geht um mehr als nur diesen Fall. Es geht um das Recht, Kritik an den Mächtigen zu üben, ohne kriminalisiert zu werden. Helfen Sie mir, dieses wichtige Recht zu verteidigen! Jeder Beitrag – ob groß oder klein – macht einen Unterschied. Zusammen können wir dafür sorgen, dass unabhängiger Journalismus stark bleibt und nicht verstummt. Unterstützen Sie meine Arbeit:

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