Von Kai Rebmann
Der Deutsche Buchpreis will ein Pendant zu renommierten Auszeichnungen wie dem Prix Goncourt oder dem Booker Prize sein. So jedenfalls stellt man sich das beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels vor, der diesen Preis seit dem Jahr 2005 im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse vergibt. Aber nicht nur die fehlende Tradition führt jeden Vergleich mit den in Frankreich oder Großbritannien verliehenen Auszeichnungen ad absurdum. Dem Deutschen Buchpreis eilt seit seiner Gründung der Ruf voraus, wirklich alles zu sein, nur eben kein Buchpreis. Kritiker wie die Autoren Monika Maron oder Wolfram Schütte sehen darin vielmehr einen „Marketingpreis“. Literarische Kriterien sollen bei der Nominierung der Kandidaten und der Kürung des Siegers allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen, so einer der am häufigsten zu hörenden Vorwürfe.
Im Jahr 2022 wurde der Debütroman „Blutbuch“ des Schweizer Autors Kim de l’Horizon mit dem Deutschen Buchpreis bedacht. Diese Auszeichnung ist Wasser auf die Mühlen aller Kritiker des ohnehin schon umstrittenen Literaturpreises. Das Werk des Berners, der sich als „nicht binär“ identifiziert, gleicht einer Vergewaltigung der deutschen Sprache, die sich über 336 Seiten erstreckt. Selbst die einst so konservative „Welt“ kann sich dem Geist der Zeit nicht erwehren und freut sich, dass in dem Buch „man“ zu „mensch“ und die „eindeutige Geschlechtsordnung“ durch die Verwendung von Gendersternchen aufgebrochen wird. Auch Sätze, die sich über eine ganze Seite hinziehen, ohne jedes Satzzeichen auskommen und in denen wild zwischen Deutsch, Schweizerdeutsch und Englisch gewechselt wird, finden die Zustimmung der „Welt“.
Zwei Beispiele aus „Blutbuch“ scheinen es der Kollegin Marie-Luise Goldmann ganz besonders angetan zu haben: „Ich wurde ein Werwolf, ein Wenwolf, ein Wenfickeichheute-wuff.“ Und: „Wie unglaublich sanft und lebendig sich ein penetrierter Arsch anfühlt. Als wäre mensch ganz aus Seide gezimmert.“ Nein, Sie haben sich nicht verlesen. Die „Welt“ verkauft solche Ergüsse als „virtuosen Wechsel aus gefühlvoller Poesie und knallharter Materialität“. Dabei sind diese Sätze noch vergleichsweise harmlose Beispiele für die in „Blutbuch“ betriebene Verherrlichung von sexueller Gewalt in ihren abartigsten Formen, bei denen Blut, Kot und Spucke eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
Der Deutsche Buchpreis schaufelt sich sein eigenes Grab
In einer anderen Zeit wären Bücher wie „Blutbuch“ mit einiger Wahrscheinlichkeit auf dem Index gelandet, zumindest jedoch von jedem halbwegs seriösen Verlag abgelehnt worden. Heute gewinnen sie stattdessen den Deutschen Buchpreis. Es würde wohl kaum überraschen, wenn sich der eine oder andere bisherige Gewinner dieser Auszeichnung jetzt dazu entschließen sollte, seinen Preis nach Frankfurt zurückzuschicken. Kim de l’Horizon schreckt auch nicht davor zurück, sich mit einem der größten deutschsprachigen Dichter und Denker anzulegen. Mit Bezug auf Johann Wolfgang von Goethe, der ausgerechnet in der Mainmetropole das Licht der Welt erblickt hat, schreibt der Schweizer: „Wie sehen Texte aus, wenn nicht ein menschliches Meistersubjekt im Zentrum steht und die Welt begnadet ins Förmchen goethet?“
Im Mittelpunkt des Buches, dessen Titel sich auf einen Baum bezieht (Schweizerdeutsch für „Blutbuche“) steht der nicht binäre Protagonist namens Kim, mutmaßlich das Alter Ego des Autors. Der DuMont-Verlag, in dem das Werk erschienen ist, bewirbt den Gewinner des Deutschen Buchpreises als „eine Lektüre, die an der Körperwahrnehmung und an den eigenen Gewissheiten rüttelt“. Dieser Roman sei ein stilistisch und formal einzigartiger Befreiungsakt von den Dingen, die wir ungefragt weitertragen wie etwa Geschlechter, Traumata oder Klassenzugehörigkeiten. Davon scheint auch die Jury in Frankfurt überzeugt gewesen zu sein. In der Begründung ihrer Wahl heißt es unter anderem: „Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur in Kim de l‘Horizons Roman ‚Blutbuch‘ nach einer eigenen Sprache.“ Oder: „Welche Narrative gibt es für einen Körper, der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht?“
Auch wenn die Mitglieder der Buchpreis-Jury das offenbar anders sehen, so bleibt festzuhalten: Die deutsche Sprache ist ein hohes Kulturgut, das es zu schützen gilt und nicht auf dem Altar der Beliebigkeit und des Zeitgeistes geopfert werden darf. Der Jury gehörten in diesem Jahr an: Erich Klein (Publizist und Übersetzer), Frank Menden (Buchhändler), Uli Ormanns (Buchhändler), Isabelle Vonlanthen (ehem. Präsidentin der Literaturkommission der Stadt Zürich), Selma Wels (Verlegerin und Kulturvermittlerin), Jan Wiele (Literaturredakteur FAZ) und Miriam Zeh (Literaturredaktion Deutschlandfunk). Diese Herrschaften könnten eines Tages als Totengräber des Deutschen Buchpreises in die Geschichte eingehen. Denn ein Literaturpreis ist nur so lange etwas wert, wie er in der Fachwelt als solcher wahrgenommen und anerkannt wird. Das war beim Deutschen Buchpreis seit seinem Bestehen noch nie ohne Abstriche der Fall und dürfte nach der jüngsten Preisverleihung auch in Zukunft nicht einfacher werden.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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