Von Kai Rebmann
Vor einer Woche stellte sich DFB-Präsident Bernd Neuendorf auf dem Flughafen in Doha den kritischen Fragen von Journalisten aus aller Welt. Der ehemalige Politfunktionär mit dem SPD-Parteibuch musste das desaströse Aus bei der WM 2022 in Katar erklären. Mit markigen Worten kündigte Neuendorf eine umfassende Analyse der aktuellen Situation unter Beteiligung von DFB-Direktor Oliver Bierhoff, Bundestrainer Hansi Flick, DFB-Vize Hans-Joachim Watzke und seiner eigenen Wenigkeit an. Am Mittwoch hat besagte Krisensitzung nun stattgefunden, Oliver Bierhoff war da schon nicht mehr im Amt. Beide Seiten hatten sich zu Beginn der Woche auf die Auflösung des eigentlich noch bis Ende 2024 laufenden Vertrags geeinigt. Oliver Bierhoff hätte nach 18 unter dem Strich durchaus nicht unerfolgreichen Jahren sicherlich einen besseren Abgang verdient, wie so oft wurde jedoch der „richtige Zeitpunkt“ schlicht verpasst.
Die „Welt“ sah in dem überfälligen Bierhoff-Aus noch ein „Beben im deutschen Fußball“. Und tatsächlich hatten nicht wenige Beobachter damit gerechnet, dass weitere Rücktritte auf allen Ebenen nur die logische Konsequenz sein können. Die Augen waren hierbei vor allem auf Bundestrainer Hansi Flick und den DFB-Präsidenten gerichtet, aber auch auf den einen oder anderen Nationalspieler. Doch dann die große Überraschung. Nach der „Krisensitzung“ stand fest: Der DFB wähnt sich offenbar auf dem richtigen Weg und sieht keinen Grund für einen personellen wie strukturellen Neuanfang. Daran ändert nach Wahrnehmung des größten Sportverbands der Welt auch das dritte Turnier in Folge nichts, bei dem die sportlichen Ziele meilenweit verfehlt wurden. Mehr noch: Die Mannschaft mit dem Adler auf der Brust hat sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit zum wiederholten Male der Lächerlichkeit preisgegeben. Das vermeintliche „Beben“ hatte sich letztendlich nur als Schluckauf herausgestellt.
Politische Statements wichtiger als Titel
Und so reichte es auch in Katar nur zum „Haltungs-Weltmeister“. Wie nach dem peinlichen WM-Aus bekannt wurde, hat sich die Mannschaft in den Tagen vor dem richtungsweisenden Spiel gegen Japan offenbar mehr mit der Auswahl von in ihren Augen passenden Gesten beschäftigt als mit dem Gegner. Als Rädelsführer wurden Kapitän Manuel Neuer und dessen Vereinskollege Leon Goretzka identifiziert. Dem Vernehmen nach wurde auch über das „Herzchen-Symbol“ diskutiert, am Ende machte jedoch die „Mund-zu-Geste“ das Rennen. Unklar ist, ob diese Entscheidung wirklich nur „im Kreis der Mannschaft“ getroffen wurde, oder der DFB hierbei sogar professionelle Dienste in Anspruch genommen hat.
Fakt ist: Bei der Niederlage gegen Japan saß Raphael Brinkert auf der Tribüne. War der Co-Gründer der PR-Agentur „BrinkertLück Creatives“ wirklich nur als Privatmann vor Ort, wie der DFB und One-Love-Binden-Ministerin Nancy Faeser (SPD) Glauben machen wollen? Fakt ist nämlich auch: Sowohl der DFB als auch die Bundesregierung und insbesondere die SPD gehören nachweislich zu den besten Kunden von Brinkerts PR-Agentur. So hat der Kommunikationsexperte unter anderem den Bundestagswahlkampf der Genossen sowie die Impfkampagne des Bundesgesundheitsministeriums begleitet. Und auch mit dem DFB arbeite seine Agentur „seit vielen Jahren über viele Projekte hinweg vertrauensvoll und vertraulich“ zusammen, wie Brinkert einräumen musste. Ist es also wirklich nur Zufall, dass der PR-Stratege im Khalifa International Stadium gerade dann der DFB-Elf zujubelt, als diese sich demonstrativ den Mund zuhält und sich wenige Meter weiter Nancy Faeser mit einer One-Love-Binde am Arm entblödet?
Zweifel sind angebracht und diese hegt offenbar auch die Union. Die Bundestagsfraktion von CDU und CSU wollte von der Bundesregierung in einer offiziellen Anfrage wissen: „Hat die Bundesregierung im Vorfeld, während oder im Nachgang der Besuche von Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Katar 2022 eine Kommunikationsagentur zwecks medialer Begleitung oder Beratung beauftragt, und wenn ja, welche und zu welchen Kosten?“ Die ARD will ebenfalls von Raphael Brinkert und dessen fragwürdiger Rolle bei der WM 2022 in Katar erfahren haben. Dem Gebührensender zufolge sei Brinkert in „Beratungen um ein Signal gegen Diskriminierung in einem Land, in dem homosexuelle Handlungen ein Straftatbestand sind“ involviert gewesen.
Pattex hilft – Verantwortliche kleben sich an ihren Ämtern fest
Wie dem auch sei, so geben der DFB und seine Nationalmannschaft seit Jahren ein trauriges, fast schon bemitleidenswertes Bild ab. Nach dem „Erdogan-Gündogan-Özil-Skandal“ in Russland (WM-Aus in der Vorrunde) und dem „Regenbogen-Affront“ gegen Ungarn (EM-Aus in Ungarn) folgte jetzt also der „Mund-zu-Gratismut“ in Katar. Zum dritten Mal in Folge waren Politik und Ideologie wichtiger als das Sportliche – mit den entsprechenden Folgen. Dass es auch ganz anders geht, zeigt die aktuelle Wüsten-WM: Japan scheiterte erst im Elfmeterschießen am amtierenden Vize-Weltmeister Kroatien und Underdog Marokko mauerte sich spielerisch nicht immer ganz ansehnlich, dafür aber umso erfolgreicher bis ins Viertelfinale.
Aber auch von Mannschaften, die sportlich hinter den Erwartungen geblieben sind, hätte der DFB lernen können. In Belgien erklärte Nationaltrainer Roberto Martínez nur Minuten nach dem WM-Aus seinen Rücktritt, wenige Tage später folgte der 31-jährige Top-Star Eden Hazard, der ohne Weiteres noch ein oder zwei Turniere hätte spielen können. Beide wollen aber den Weg für einen umfassenden Neuanfang beim ewigen Geheimfavoriten freimachen, weitere Rücktritte von Spielern der „Goldenen Generation“ gelten als wahrscheinlich.
Und beim DFB? Still ruht der See, bis auf die Demission von Oliver Bierhoff sind allem Anschein nach keine weiteren Konsequenzen zu erwarten. Dabei standen dem DFB seit der WM 2018 nicht weniger als fünf Präsidenten vor. Hier noch von einem Führungschaos zu sprechen, wäre wohl eine eklatante Untertreibung. Und da das Leistungsprinzip in Deutschland ohnehin ausgedient hat, kann sich auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf an seinem Amt festkleben, ohne befürchten zu müssen, dass man ihn mitsamt seinem Stuhl rausträgt.
Auch Hansi Flick, Manuel Neuer und Leon Goretzka verweigern Rücktritte
Ebenso wie an der Spitze des DFB gibt es auch für die Weiterbeschäftigung von Hansi Flick als Bundestrainer kaum tragfähige Argumente. Bereits während seiner Zeit als Trainer beim FC Bayern München waren Flick atmosphärische Störungen innerhalb des Vereins und der Mannschaft zum Verhängnis geworden. Anders als bei der Nationalmannschaft konnte durch den quasi garantierten Erfolg beim deutschen Rekord- und Serienmeister aber einiges noch kaschiert werden. Vielerorts wird in diesen Tagen darauf verweisen, dass man Hansi Flick noch etwas Zeit geben müsse und er das Amt erst nach der EM 2021 von Jogi Löw übernommen habe. Zudem stehe ein „Startrekord“ mit acht Siegen auf der Habenseite des Bundestrainers. Dass diese Siege aber gegen Mannschaften wie Liechtenstein, Armenien und Israel – also eher Strohgewichte des internationalen Fußballs eingefahren wurden – kommt bei diesen Diskussionen freilich zu kurz. Dabei hätte man aus den Fehlern der jüngsten Vergangenheit lernen können bzw. müssen. Auch nach der WM 2018 war ein Rücktritt – oder im Zweifel auch eine Entlassung – von Jogi Löw eigentlich unausweichlich. Man hat sich dagegen entschieden und bekam bei der EM 2021 die Quittung. Wird sich diese Geschichte auch diesmal wiederholen? Dann allerdings bei der Heim-EM.
Ihren Platz in der Nationalmannschaft verwirkt haben unter objektiven Gesichtspunkten auch die „Moral-Weltmeister“ Manuel Neuer und Leon Goretzka. Die Bayern-Profis haben durch ihre „Initiative“ vor dem Japan-Spiel nicht nur maßgeblichen Anteil an dem WM-Aus, sondern sich auch der Heuchelei und Doppelmoral entlarvt und müssten eigentlich schneller aussortiert werden, als sie „Regenbogen“ sagen können. Stattdessen werden die Gratismut-Helden am 6. Januar 2023 zusammen mit ihren Mannschaftskollegen des FC Bayern eine Maschine in Richtung Katar besteigen, um sich dort auf die anstehende Rückrunde der Bundesliga-Saison 2022/23 vorzubereiten. Ihre Millionen-Gehälter lassen sich die DFB-Stars in Diensten des Rekordmeisters seit Jahren völlig ungeniert unter anderem von Qatar Airways finanzieren. Die staatliche Fluggesellschaft des Wüsten-Emirats soll als Ärmelsponsor pro Jahr bis zu 25 Millionen Euro an die Säbener Straße überweisen. Wäre es da nicht konsequent, wenn Neuer und Goretzka auf das Trainingslager in Katar und Teile ihres Gehalts verzichten würden? Oder ist der Protest gegen die Zustände in anderen Ländern dieser Welt für Fußballer nur dann zumutbar, wenn damit weder sportliche noch finanzielle Nachteile einhergehen? Manuel Neuer und Leon Goretzka werden diese Fragen in den nächsten Wochen beantworten – so oder so!
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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