Von Christian Euler
Der anhaltende Lockdown hinterlässt irreparable Schäden in jungen Seelen. Betroffen sind vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien. Das Fehlen von Austausch und die zunehmende Isolation beeinträchtigt die Entwicklung jedes Kindes, mit jeder Woche mehr. Der Pädagoge und Visualisierungstherapeut Maurice Janich hat es sich zur Berufung gemacht, Eltern und vor allem Kindern zu helfen.
Sein Motto: „Wenn du Menschen hinaus aus einer Krise helfen möchtest, musst du den Weg bereits gegangen sein.“ Aufgrund traumatischer Kindheitserlebnisse litt Janich jahrelang unter psychosomatischen Erkrankungen, bis er eine Methode entdeckte, die ihm half, seine Schwierigkeiten innerhalb kürzester Zeit hinter sich zu lassen – mit der Kraft seiner Gedanken, dem Visualisieren und dem Denken in Bildern.
Das Gespräch fand – wie in dieser Zeit kaum anders möglich – digital statt. Doch auch ohne persönlich bei ihm in Dortmund zu sitzen, spürt man sofort: Kinder sind für ihn mehr als eine Herzenssache.
Was sind die größten Ängste der jungen Menschen?
Es gibt verschiedene Ängste, die davon abhängen, wie mit den Kindern kommuniziert wurde. Je nach Alter des Kindes sind sie unterschiedlich: Manche haben Angst, krank zu werden und fürchten sich vor den daraus resultierenden Schmerzen sowie dem möglicherweise – so hat man ihnen das ja eingeschärft – daraus resultierenden Tod. Andere haben Angst ausgeschlossen und bestraft zu werden. Beide eint die Sorge, schuldig zu sein – und beide haben Zukunftsängste. Dahinter steckt die Angst vor Kontrollverlust.
Was sind die Folgen?
Die ersten Anzeichen, dass der Körper auf die Psyche reagiert, sind erhöhte Reizbarkeit, Aggression, Schlafstörungen, mangelnde Konzentration, Müdigkeit, Kopf- und Bauchschmerzen – und Überforderungen mit neuen Situationen. Je nach Intensität kann sich dies verschärfen und es kommen Depressionen, Angststörungen, Zwänge, Ticks u. ä. hinzu. Die Psyche signalisiert: Ich habe Angst, bin überfordert, bin gestresst und hilflos – darauf reagiert der Körper und wird krank.
Gibt es Studien darüber, was die Maßnahmen mit Kindern/Jugendlichen macht?
Eine im Juli vergangenen Jahres veröffentlichte Studie des Hamburger Universitätsklinikums zeigt, dass sich mehr als 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen durch die Coronakrise seelisch belastet fühlen. Befragt wurden mehr als 1000 Kinder und Jugendliche sowie 1500 Erwachsene. Ein weiteres Ergebnis war, dass Stress, Angst und Depressionen zugenommen haben. Das Risiko für psychische Auffälligkeiten hat sich fast verdoppelt. Jedes vierte Kind berichtet, dass es in der Familie häufiger zu Streit komme als vor der Corona-Krise.
Leiden Kinder aus ärmeren Familiensituationen stärker?
Grundsätzlich ja! Sie haben oftmals keinen Garten oder keine Möglichkeit irgendwo hinzufahren. Zudem haben sie oft keine separaten Kinderzimmer, was die Situation enorm erschwert.
Wie wirken sich Masken im Unterricht auf die Aufmerksamkeit der Schüler aus?
Ich habe insgesamt 60 Interviews mit Kindern und mehr als 100 unveröffentlichte Gespräche geführt. Alle berichten über Konzentrationsschwierigkeiten und Müdigkeit, weil sie den Lehrer hinter seiner Maske schwer verstehen und seine Mimik nicht erkennen können. Die erschwerte Atmung verschärft diese Problematik noch zusätzlich.
Wie viele Menschen bitten dich heute pro Woche um deinen Rat – und wie viele waren es vor Ausbruch der Krise?
Rund 70 Prozent der Eltern, die mich kontaktieren, berichten, dass die Problematiken ihrer Kinder seit April vergangenen Jahres entstanden sind. Das ist ein eindeutiger Beweis, dass dies mit den Maßnahmen zu tun hat.
Hast du das Gefühl, dass viele Eltern, die Schwierigkeiten haben, trotzdem keine Hilfe in Anspruch nehmen?
In unserer Gesellschaft gilt die Annahme von Hilfe als Schwäche. Uns wird suggeriert, dass wir alles alleine schaffen müssen. Hat jemand Probleme und sucht Unterstützung, muss er seine Komfortzone verlassen und Mut aufbringen. Dies erfordert Stärke. Fragt sich also: Wie kann die Annahme von Hilfe eine Schwäche sein?
„Herr Spahn, wann beginnen Sie damit, einfach mal Ihr inneres Kind in den Arm zu nehmen?“
Welche der Maßnahmen haben die gravierendsten Auswirkungen?
Am Ende des Tages ist es die Summe aller Dinge. Den größten Anteil hat meines Erachtens die Isolation.
Was können Eltern für ihre Kinder und gegen die eigene Angst tun? Wie könnte für Eltern ein konkreter Leitfaden aussehen, der ihren Kindern die Angst nimmt?
Eltern sollten ihre Kinder unterstützen, indem sie sich Wissen aneignen. Denn nur, was sie wissen, können sie auch weitergeben. Das Wichtigste ist, den Kindern zu signalisieren, dass man sie versteht, dass jedes ihrer Gefühle grundsätzlich in Ordnung ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Art und Weise der Kommunikation eine bedeutende Rolle spielt. Statt ewig zu Erklärungen und gut gemeinten Ratschlägen zu greifen, sollte man eher viele Fragen stellen, denn die Kinder tragen die Antworten in der Regel bereits in sich. Darüber hinaus sollte man dem Kind aufzeigen, welche Handlungsmöglichkeiten es hat. Raus aus der Opferhaltung und rein ins Tun!
Werden traumatisierte Kinder und Jugendliche nach Corona schnell wieder ihr Gleichgewicht finden oder wird es eine „Generation Corona“ geben?
Es wird definitiv Coronakinder geben, genauso wie es im Zweiten Weltkrieg die Kriegskinder gab. Jede psychische oder physische Gewalt, die ein Kind erfährt, verursacht früher oder später gesundheitliche und/oder psychische Störungen. Manche verdrängen ihre Probleme, die sich später als Retraumatisierung manifestieren können. Deshalb sollte man darauf achten, Probleme abzuarbeiten. Bildlich gesprochen ist es so wie mit einem Messer in der Brust: Man muss es herausziehen, damit die Wunde heilen kann. Nur das Blut abwischen und das Messer stecken lassen, kann keine Lösung sein.
Gibt es schon Erkenntnisse, welche Folgen die Pandemie mittelfristig für Kinder hat?
Dazu benötige ich keine Studie. Ich arbeite tagtäglich mit Kindern und sehe die Folgen. Alles, was Kinder lernen und erfahren, wirkt sich nachhaltig auf ihre Zukunft aus.
Was sollte die Politik vor dem Hintergrund des aller Voraussicht nach erneut verlängerten Lockdowns berücksichtigen?
Dazu würde ich dem ehemaligen Bankkaufmann und jetzigem Gesundheitsminister Jens Spahn gern, anknüpfend an die Bundespressekonferenz, in der er sich zu den psychischen Auswirkungen der Maßnahmen äußerte, einige Fragen stellen: Wurde die Definition des Wortes „Evidenz“ ebenfalls der „neuen Normalität“ angepasst? Beinhaltet der Ausbildungsrahmenplan des Bankkaufmannes „das Messen mit zweierlei Maß“? Wann beginnen Sie damit, einfach mal Ihr inneres Kind in den Arm zu nehmen? Falls Sie dies bereits versucht und dabei festgestellt haben, dass Sie allein nicht weiterkommen: Ich helfe Ihnen gern! Nutzen Sie dazu gern das Kontaktformular auf meiner Website.
Text: ce
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