Von Sönke Paulsen
Rückblende
Als ich in den achtziger Jahren von Berlin nach Schleswig-Holstein gependelt bin, habe ich mich immer gewundert, dass es an den Autobahnbrücken der DDR auch CDU-Werbung gab. Mir war nicht bewusst, dass die CDU in der DDR als Blockpartei noch existierte, die von Jakob Kaiser bis zu Lothar de Maizière zwar bekannte Persönlichkeiten hervorgebracht hat, aber ansonsten ein jämmerliches Schattendasein führte. Die Partei unserer Kanzlerin war übrigens die SED! In der parteinahen Jugendorganisation FDJ brachte sie es zur Parteisekretärin. Zur Union hat sie erst in den Neunzigern gefunden und das recht widerwillig, ohne besondere Überzeugung, wie manche Weggenossinnen aus der damaligen Zeit der Umorientierung berichteten.
Es ist nicht zu hoffen, dass die große Volkspartei im Westen das Schicksal ihrer Ost-Schwester teilen muss, aber im Augenblick sieht es ein bisschen so aus. Merkel hat die Union ruiniert und die wagt, noch nicht einmal in ihrer schlimmsten Krise, anzusprechen, wer diese „Machtpartei“ zu einer „Ohnmachtspartei“ der Duckmäuser umformte.
Die Kanzlerin hinterlässt noch nicht einmal einen starken Flügel der „Merkelianer“, weil sie die Union hauptsächlich schwächen wollte, auch ihre eigenen Gefolgsleute. Ganz analog zur Blockpartei der DDR übrigens.
Die Lage, in welche Merkel die Union führte, lässt sich am besten mit den Worten eines JU-Mitgliedes auf dem Deutschlandtag der Jungen Union beschreiben, welche er anklagend und unter anhaltendem Beifall der Delegierten den beiden Generalsekretären vorhielt: „Die Union hat keine Position.“
Rhetorisch gut gemacht, wurden die teils tendenziösen Fragen aus dem „Wahl-O-Mat“ der Bundesregierung zitiert, Mindestlohn, Umgang mit China, ökologischer Umbau der Landwirtschaft, Quoten. Zu allen diesen Themen gäbe es keine klaren Positionen der Union.
Dank Merkel, möchte man sagen, die auf diese Weise mehrheitsfähig in der Gesellschaft blieb, nur dass ihr Name auf dem Deutschlandtag nicht fällt. Merkel, die Umfragekanzlerin, hat aus ihrer Partei eine Schafherde gemacht, die jeweils in die Richtung lief, aus der sie nicht angebellt wurde.
„Gerade klare Menschen, wär’n ein schönes Ziel, Leute ohne Rückgrat ham wir schon zu viel“, hieß es in einem DDR-Song aus den Achtzigern. Merkel liebte es dagegen, rückgratlose Leute wie Peter Altmaier und Annegret Kramp-Karrenbauer um sich zu haben.
Das Drama an der Spitze
Weit mehr als Gerhard Schröder hat sich Merkel in den letzten Jahren ihrer Kanzlerschaft der Union gegenüber illoyal verhalten. Die Partei, der sie einem ihrer Versprecher folgend nur „nahesteht“, für die sie also nicht steht, wurde zur politischen Verschiebemasse für die eigene Machtsicherung. Gut zu erkennen war das an der Art, wie sie, kaum kaschiert, politische Mitstreiter in Ämter brachte und wieder demontierte. Guttenberg war nur ein Präzedenzfall. Es folgten Annette Schavan und Norbert Röttgen. Sein Rauswurf nach der verlorenen NRW-Wahl 2012 war ein typischer Merkel-Zug, mit dem sie blitzschnell Leute fallen ließ, die sie bei einem ihrer Richtungswechsel behindern konnten. Entsprechende Posten wurden dann mit Vertrauten besetzt. In diesem Falle der Posten des Umweltministers mit Peter Altmaier.
Es war die Zeit des Atomausstiegs und der „Energiewende der Kanzlerin“ bei gleichzeitiger Annäherung an die Grünen. Ein einsamer Entschluss Merkels ohne jede Beteiligung ihrer Partei. Umweltminister Röttgen war eines ihrer Opfer, zumal sie seine Entlassung von der unangenehmen Aufgabe befreite, sich der eigenen Partei, angesichts der desaströsen Landtagswahl in NRW, zu stellen. Dort war Norbert Röttgen auf Druck der Kanzlerin als Spitzenkandidat angetreten. Ein ganz böses Spiel der damaligen Parteivorsitzenden!
Merkels Taktik, politische Mitstreiter plötzlich und offensiv zu opfern, hat die Führungsstruktur in der Union zerstört. Loyalität durfte es nur mit Merkel geben und sonst mit niemandem.
Besonders deutlich wurde dies 2018, als sie vom Unionsvorsitz zurücktrat und Annegret Kramp-Karrenbauer in diese Position brachte. Anfangs dachten viele, sie würde nun eine Nachfolgerin aufbauen, aber nach kurzer Zeit wurde deutlich, dass sich Merkel damit einfach von ihrer Partei distanzierte, man könnte auch sagen, sich ihrer entledigte und damit die Gefahr eines vorzeitigen Sturzes für sich selbst minimierte, indem sie die eigentliche Führung der Partei ins Kanzleramt verlegte.
Wir erinnern uns an die „Schwächeanfälle“ der Kanzlerin in der Öffentlichkeit, die wohl eher Panikattacken waren, welche Merkel nicht mehr unterdrücken konnte. Vieles deutet darauf hin, dass Merkel ähnlich ängstlich und fast paranoid einen Sturz befürchtete wie seinerzeit Erich Honecker, der Staatsratsvorsitzende der DDR.
Folgerichtig fing sie an, die neue starke Frau in der Union selbst zu demontieren, damit diese eben keine anmaßende Kronprinzessin wurde, welche Merkel vor der selbstgesetzten Frist ins Aus manövrieren konnte.
Ein ähnliches, wenn auch milderes Schicksal erlitt Ursula von der Leyen, die seinerzeit als legitime Merkelnachfolgerin gehandelt wurde. AKK verlor den Vorsitz und wurde Verteidigungsministerin (wie damals von der Leyen) und der Merkelianer Armin Laschet wurde Kanzlerkandidat. Auch hier war Merkel nicht in der Lage, einen potentiellen Nachfolger zu unterstützen und trug eher zur Demontage Laschets bei.
Unterm Strich hat Merkel, deren Positionen in Medien und Gesellschaft inzwischen nicht mehr als konservativ, sondern als grün-rosa gelten, keine wirksame Wahlkampfunterstützung für ihre Partei geleistet. Die Wahlkatastrophe der Union ging zu guten Teilen auf ihr Konto. Die Wähler konnten die permanent demontierte Führungsriege der Union nicht mehr ernst nehmen und wählten Olaf Scholz, der klugerweise von seiner Partei nicht demontiert wurde.
Die Corona-Kanzlerin greift die Demokratie an
Als sei mit Corona eine Krone gemeint und nicht ein Virus, wurde die Kanzlerin während der Pandemie fast zur Alleinherrscherin Deutschlands. Das hat der Union den Führungsbonus eingebracht. Die Deutschen stellen sich in der Krise prinzipiell hinter ihre Regierung. Eine Loyalitätsfrage. Erst als die Kanzlerkandidatur zwischen Söder und Laschet geklärt wurde, und zwar nach Gutsherrenart, brachen die Zustimmungswerte für die Union ein. Die Partei konnte unmittelbar nach der Merkel-Diktatur nicht zur Demokratie zurückfinden. Auch das haben viele Wähler quittiert.
Auch jetzt, kurz vor dem Abschied aus der Politik, fürchtet die Kanzlerin nichts so sehr wie eine Schädigung ihres Rufes. Das ist irrational und narzisstisch, aber es passt zu einer Pastorentochter, die zwischenzeitlich als mächtigste Frau der Welt gehandelt wurde.
Entsprechend leise treten die konkurrierenden Flügel der Union gegeneinander an. Der wertkonservative Flügel muss immer noch fürchten, von der Kanzlerin, die die Parteipolitik einfach ins Kanzleramt verlegt hat und aus dieser Machtposition seit drei Jahren agiert, zerlegt zu werden. Wegen der Vermischung von Regierungsamt und Parteipolitik wird Merkel auch in Kürze ein Verfassungsgerichtsurteil „in der Sache Thüringen“ erwarten. Allerdings gelassen, denn der Vorsitzende Stephan Harbarth ist ein Merkel-Mann, den sie selbst installiert hat.
In der Union aber sind, wie bei Merkel üblich, die Getreuen des eigenen Netzwerkes zur Zielscheibe geworden, allen voran Armin Laschet. Aber auch Peter Altmaier und Annegret Kramp-Karrenbauer verzichten nicht umsonst auf ihr Bundestagsmandat. Letztere hätte auch in einer Jamaika-Koalition keine Chance, ihren Posten zu behalten. Bleibt noch Jens Spahn, der sich selbst eher als Konservativer sieht, jedoch über und über von Merkels Schleim überzogen ist. Den „Weisungsbüttel“ der Kanzlerin abzustreifen wie eine falsche Haut, dürfte ihm auch nicht so schnell gelingen.
Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Kommentaren, die sich fragen, was aus den Merkelianern wird, wenn Merkel weg ist. Die Union erweckt nicht den Eindruck, als sei sie den Weg der Kanzlerin nach links wirklich mitgegangen. Die Profillosigkeit ihrer Anhänger dürfte deren Verhängnis werden.
So ist die Union immer noch von Merkel abhängig, geradezu psychisch abhängig, und Merkel kann vermutlich ohne jede Demontage ihre Kanzlerschaft beenden.
Verdient hat sie es nicht!
Aber sie hat vorgesorgt, wie man sieht. Die CDU steht so schnell nicht wieder auf. In der DDR hat es immerhin fünfundvierzig Jahre gedauert, bis die CDU wieder aufrecht gehen konnte. Hoffentlich dauert es in der heutigen Republik nicht so lange. Denn die Konservativen werden dringend gebraucht!
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“. Hier finden Sie seine Fortsetzungsgeschichte „Angriff auf die Welt“ – der „wahre“ Bond.
Bild: photocosmos1/ShutterstockText: Gast