Dissident Liao Yiwu über den Ursprung von Corona „Pandemie dieser Größenordnung hat es in der Geschichte Chinas nie gegeben“

Von Kai Rebmann

Auch zweieinhalb Jahre nach dem Auftreten der ersten Coronafälle in der Region um Wuhan ist die Frage nach dem Ursprung des Virus weiter ungeklärt. Nachdem ein Laborunfall überraschend schnell von allen Seiten „ausgeschlossen“ werden konnte oder musste, gibt es inzwischen immer mehr Studien (hier und hier), die einen Laborunfall für wesentlich wahrscheinlicher halten als die dogmatisch gelehrte Wildmarkt-Theorie. Zu den ersten Wissenschaftlern, die sich in Deutschland für einen Laborunfall im Wuhan Institute of Virology als naheliegenden Auslöser der Corona-Pandemie aussprachen, gehörte Prof. Dr. Roland Wiesendanger von der Universität Hamburg. Wiesendanger gilt als einer der weltweit führenden Nanowissenschaftler, wurde im Jahr 2000 Mitglied der Leopoldina und erhielt weit über ein Dutzend renommierter Preise und Auszeichnungen. Seinen Kritikern reichte es dennoch, seine Untersuchungen als Verschwörungstheorie zu verwerfen, ohne sich wirklich damit auseinandergesetzt zu haben, indem sie darauf verwiesen, dass Wiesendanger Physiker sei und sich daher zu Corona nicht äußern dürfe. Die Herkunft aus der „falschen“ Disziplin der Wissenschaft gilt offenbar nur dann als Ausschlusskriterium, wenn der Betreffende nicht das „richtige“ Narrativ bedient. Zudem lebt eine wirklich freie und unabhängige Wissenschaft aber insbesondere davon, dass ergebnisoffen über verschiedene Meinungen und Modelle debattiert wird, gerne auch disziplinübergreifend. Dieter Lenzen, Wiesendangers damaliger Chef an der Universität Hamburg, stellte daher sehr zutreffend fest: „Es ist besser, eine unsichere Hypothese zur Diskussion zu bringen, als eine am Ende richtige verschwiegen zu haben.“

Jetzt meldet sich mit Liao Yiwu eine weitere Stimme zu Wort, die ebenfalls von einem Laborunfall in Wuhan ausgeht. Als Schriftsteller und Buchautor ist Liao zwar ebenfalls kein Virologe oder Epidemiologe, dafür verfügt der seit dem Jahr 2011 im Exil in Berlin lebende Dissident wie kaum ein Zweiter über spannende Innenansichten aus China. Den internationalen Durchbruch, unter anderem in Deutschland, schaffte Liao im Jahr 2009 mit seinem Buch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten“. Im Jahr 1989 schrieb Liao ein Gedicht über die Ereignisse rund um das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, das ihm wegen „Verbreitung konterrevolutionärer Propaganda mit ausländischer Hilfe“ eine mehrjährige Haftstrafe unter menschenunwürdigen Bedingungen einbrachte. Liao wurde im Jahr 2011 mit dem Geschwister-Scholl-Preis und im Jahr 2012 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Wuhan – Menschen und Informationen verschwinden spurlos

In seinem aktuellen Dokumentarroman „Wuhan“ begibt sich Liao auf Spurensuche nach dem Ursprung des Coronavirus. Das Genre Dokumentarroman hat Liao selbst gewählt, da in seinem Buch sowohl reale als auch fiktive Personen vorkommen und der Roman auf nachgewiesenen Daten und Fakten beruht, die allesamt mit Quellennachweisen belegt werden. Die schiere Masse dieser Informationsflut beeinträchtigt den Lesefluss zwar etwas, im Gegenzug wirken die Schilderungen aber umso authentischer. Der SRF-Chinakorrespondent Martin Aldrovandi hält den Roman für „glaubhaft“ und beim Lesen fühlte er sich an Interviewpartner erinnert, „die plötzlich verschwunden sind“. Die Süddeutsche Zeitung schrieb über das Buch: „Liao Yiwus beunruhigender Dokumentarroman über Wuhan, die Elf-Millionen-Stadt, die als Ursprungsort der Corona-Pandemie gilt.“ Und schließlich noch der SWR: „Ein Roman, der sich auch an den Westen richtet, der die Opfer der chinesischen Staatspolitik ignoriert und die Null-Covid-Politik als Erfolg betrachtet.“

Im Interview mit der Frankfurter Rundschau erklärte Liao Yiwu ausführlich und für den neutralen Beobachter auch durchaus nachvollziehbar, warum er von einem Laborunfall in Wuhan ausgeht: „Wir wissen, dass es ursprünglich eine Forschungsgruppe gab unter der Leitung der Wissenschaftlerin Shi Zhenglis. Diese hatte eine große Anzahl von Fledermäusen aus der Provinz Yunnan mitgenommen in das Wuhan Institute of Virology. Ich bin der Meinung, dass die Viren ihren Ursprung in der Forschung in diesem Labor haben und dann durch einen Unfall ausgetreten sind.“ Einer der Protagonisten in Liaos Roman ist der Bürgerjournalist Li Zehua alias Kcriss, bei dem es sich um eine reale Person handelt. Kcriss stellte unmittelbar nach dem Corona-Ausbruch in Wuhan eigene Recherchen an und berichtete über die Ereignisse, woraufhin er verhaftet worden ist. Seither sei er „verschwunden“ und niemand wisse, wo er sich heute befindet oder wie es ihm geht, so Liao. Dies deute er als Hinweis darauf, dass in Wuhan etwas passiert sein muss, das „für die Regierung so wichtig ist, dass sie es schützen muss“. Er wisse auch von Menschen, die verhaftet worden sind, „nur weil sie im Internet über diesen Vorfall diskutiert haben“.

Den 23. Januar 2020 beschreibt Liao als den Tag des Ausbruchs: „So eine Pandemie in dieser Größenordnung hat es in der chinesischen Geschichte noch nie gegeben.“ Damals, also Mitte/Ende Januar 2020, seien noch „sehr viele Informationen aus sehr unterschiedlichen Quellen“ im Internet verfügbar gewesen, „vor allem auch von offiziellen Stellen“. Aus einem Instinkt und seiner Erfahrung heraus habe Liao diese Daten eigenen Angaben zufolge dann drei Wochen lang rund um die Uhr gesammelt, bis sie im Internet eines Tages plötzlich nicht mehr verfügbar gewesen seien. Da er sie aber auf seinem Laptop gesichert hatte, konnten sie zur Grundlage seines Dokumentarromans über den Ausbruch in Wuhan werden.

„Wuhan“ – eine eindringliche Warnung vor Chinas Zero-Covid-Strategie

Um seinen Lesern in der westlichen Welt aufzuzeigen, was Pekings Zero-Covid-Strategie für die Lebenswirklichkeit der Menschen in China bedeutet, bedient sich der Autor in seinem aktuellen Werk drastischer Bilder. Sein Alter Ego namens Ai Ding reist von Berlin nach Wuhan, um dort zusammen mit seiner Familie das Neujahrsfest zu feiern. Bis zu seiner Landung in Peking verläuft die Reise ohne Zwischenfälle, ehe ein wochenlanger Spießrutenlauf mit Lockdowns und Quarantänen folgt. Liao berichtet von strikt abgeriegelten Dörfern und Millionenstädten und von Menschen, die in ihren von außen zugenagelten Wohnungen elendig verhungern. Parallel dazu verläuft der Handlungsstrang um Kcriss, der Liao zufolge damals der bekannteste Bürgerjournalist Chinas war. Dieser habe „aus reiner Neugier wissen wollen, was in Wuhan passiert ist“ und es „bis zur Mauer vor das Labor geschafft“. Dort verliert sich seine Spur dann. Liao ist sich deshalb sicher: „Es muss etwas passiert sein, da sogar das Militär eingeschritten ist und eine militärische Verbotszone eingerichtet hat. Auch die Wissenschaftler wurden eingeschlossen und durften sich nicht mehr äußern.“

Rückblickend bezeichnet Liao Yiwu den 23. Januar 2020 als „ein Ereignis, das man so noch nie in der chinesischen Geschichte erlebt hat“. Die im Zuge des Corona-Ausbruchs verhängten Maßnahmen und Verhaftungen von allzu neugierigen Berichterstattern hätten dazu geführt, dass es in China heute keinen Bürgerjournalismus mehr gibt. Stattdessen gebe es in China „inzwischen ein total überwachtes Internet“. Corona sei eine gute Gelegenheit für die Herrschenden gewesen, „sich weiter technisch und organisatorisch zu rüsten, um das Volk zu hundert Prozent zu überwachen“.

Die Schilderungen von Liao Yiwu klingen umso erschreckender, wenn man sich vor Augen führt, dass insbesondere westliche Demokratien Chinas Corona-Maßnahmen praktisch unreflektiert übernommen haben. Liaos Dokumentarroman kann daher auch als letzte Warnung an die Verfechter einer Zero-Covid-Strategie verstanden werden. Im Interview mit der FR brachte der Autor das wie folgt auf den Punkt: „Über den Ursprung der Viren spricht heute niemand mehr. China hat das Image aufgebaut, mit der Zero-Covid-Strategie sehr erfolgreich gegen das Virus vorzugehen. Faktisch ist das Modell, keinen einzigen Krankheitsfall zuzulassen, in Wuhan erfunden worden und wird nun überall praktiziert. So ein Modell funktioniert aber nur in einer Diktatur.“

DAVID
Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shutterstock
Text: kr

mehr von Kai Rebmann auf reitschuster.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert