Während die großen deutschen Medien immer noch stramm auf Corona-Kurs sind und die Regierung bauchpinseln, herrschen in Großbritannien ganz andere Töne. Was jetzt im altehrwürdigen „Telegraph“ zu lesen ist, wäre bei ARD, ZDF, Frankfurter Allgemeine & Co. kaum denkbar. Allein die Überschrift: „Der Anstieg der unerwarteten Todesfälle zeigt keine Anzeichen einer Verlangsamung, die Zahl der Notfallaufnahmen wegen Herzproblemen ist um über 25.000 gestiegen.“
Weiter heißt es in dem Artikel, der hinter einer Bezahlschranke steht: „Als Großbritannien am 23. März 2020 den ersten Lockdown hatte, lag die durchschnittliche tägliche Todesrate von Covid bei 213, was einen verständlichen Alarm auslöste und die Einführung strenger Beschränkungen zur Folge hatte. Jetzt kommt es täglich zu einer ähnlichen Anzahl unerwarteter Todesfälle, von denen die meisten nicht primär durch das Coronavirus verursacht werden. Dennoch schweigen die Regierung und das Gesundheitswesen weitgehend.“
Daten des Office for National Statistics (ONS), also der obersten Statistikbehörde, zeigen dem Bericht zufolge, dass es in den letzten sechs Monaten mehr Todesfälle durch andere Ursachen als Covid gab als Todesfälle, die auf das Coronavirus zurückzuführen sind: „Die Zahlen machen deutlich, dass in diesem Jahr in England und Wales 18.394 Todesfälle ‘aufgrund‘ von Covid verzeichnet wurden. Seit Mai gab es jedoch 23.195 zusätzliche Todesfälle, bei denen eine andere Erkrankung die Hauptursache war. Einige dieser Menschen starben zwar an einer Coronavirus-Infektion, doch war diese nicht die Hauptursache für den Tod.“
Experten streiten laut dem Telegraph-Artikel weiterhin über die Gründe für den aktuellen Anstieg der unerwarteten Todesfälle, der weiter anhält. „Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Kollateralschäden der Pandemie in Verbindung mit den langfristigen Problemen des Gesundheitsdienstes NHS zu einem perfekten und tödlichen Sturm zusammengewirkt haben.“
Das Wort Impfung vermeiden die Autoren des Berichts wie der Teufel des Weihwassers. Dabei kommt es jedem, der auch nur ein wenig zwischen den Zeilen lesen kann, schnell in den Sinn.
Der „Telegraph“ verweist auf Amitava Banerjee, einen Professor für klinische Datenwissenschaft und ehrenamtlichen Berater für Kardiologie am Institut für Gesundheitsinformatik des University College London. Er hat kürzlich eine Arbeit abgeschlossen, die zeigt, wie die Krankenhaus-Einweisungen wegen Herzproblemen während der Corona-Maßnahmen stark zurückgingen. 2020 gab es demnach in England, Schottland und Wales 31.064 weniger Krankenhauseinweisungen für Herzpatienten, 14.506 weniger Notfallaufnahmen und 16.560 weniger Eingriffe im Vergleich zu 2016–2019.
Der Professor befürchtet, dass die indirekten Auswirkungen der Pandemie größer sein werden als die Schäden durch Covid selbst, und dass es für die Planung für künftige Probleme von entscheidender Bedeutung ist, die langfristigen Folgen zu berücksichtigen: „Wir hätten niemals ein Pandemievorbereitungsteam einsetzen dürfen, das nicht auch die indirekten und langfristigen Auswirkungen berücksichtigt. Traditionell waren es Virologen und Infektionsspezialisten, aber bei einer Pandemie dieses Ausmaßes, die so viele Länder betrifft, ist das nicht angemessen.“
Weiter führt Banerjee aus: „Wir haben uns auf die direkten Auswirkungen der überzähligen Todesfälle durch Covid konzentriert, aber es ist wahrscheinlich, dass von Anfang an die indirekten Auswirkungen zu mehr Todesfällen, mehr Morbidität und mehr wirtschaftlichen Folgen geführt haben als die Todesfälle durch Covid selbst.“
Einige Experten hätten argumentiert, so der „Telegraph“, dass die Zahlen vielleicht gar nicht ganz so besorgniserregend sind, weil das ONS die Bevölkerungsentwicklung nicht berücksichtigt und lediglich die wöchentlichen Zahlen mit dem erwarteten Fünfjahresdurchschnitt (ohne 2020) vergleicht. Da die Bevölkerung altert, würde man erwarten, dass jedes Jahr mehr Menschen sterben.
Höchste Sterblichkeit seit 2010
Allerdings belegen auch andere Messgrößen, die die Bevölkerungsalterung berücksichtigen, einen besorgniserregenden Anstieg der Sterbefälle. Ein aktueller Bericht der Continuous Mortality Investigation (CMI) am Institute of Actuaries etwa zeigt, dass Großbritannien im dritten Quartal – Juli, August und September – die höchste Sterblichkeit seit 2010 verzeichnete. So sagte Cobus Daneel, der Vorsitzende des CMI-Ausschusses für Sterblichkeitsprognosen, laut Telegraph: „Im dritten Quartal 2022 war die Sterblichkeit für die Jahreszeit ungewöhnlich hoch – höher als in jedem dritten Quartal seit 2010.“
Die Situation ist umso ungewöhnlicher, als die Sterblichkeitsraten nach der Pandemie eigentlich hätten sinken müssen, weil so viele Menschen früh starben – ein Effekt, der als „harvesting“ bekannt ist. Stattdessen beobachten wir den umgekehrten Trend, heißt es in dem Blatt: Die Regierung habe nur einen halbherzigen Versuch unternommen, herauszufinden, was es mit den überzähligen Todesfällen auf sich hat, indem sie einen Bericht des Office for Health Improvement and Disparities (OHID) angefordert hat, also von der Gesundheitsbehörde.
Der Bericht zeigte laut „Telegraph“ einen besorgniserregenden Anstieg der Todesfälle bei Menschen mit Herzerkrankungen und Diabetes, von denen viele vermeidbar wären. Jüngste Berichte hätten ergeben, dass Menschen, die mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert werden, insbesondere im ersten Monat nach ihrer Entlassung häufiger Herzprobleme haben, was zu einem Teil der Übersterblichkeit führen könnte. Zu der Frage, ob sie geimpft waren oder nicht, äußert sich der Telegraph nicht – das Wort „Impfen“ scheint im Zusammenhang mit der Übersterblichkeit ein großes Tabu zu sein.
Herz-Kreislauf-Probleme
Dabei drängen sich Fragen dazu regelrecht auf, etwa durch die Aussage der Epidemiologin Veena Raleigh, Senior Fellow beim King’s Fund, die mögliche Ursachen für die Entwicklung untersuchte. Sie sagte dem Telegraph: „Insbesondere Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes sind deutlich erhöht; Covid-19 erhöht das Risiko für spätere Herz-Kreislauf-Probleme und könnte zum Teil die Ursache für die erhöhten Todesfälle sein. Ein weiterer Faktor könnte ein überlasteter NHS sein, der mit einem großen Rückstau an Behandlungen und einem noch nie dagewesenen Druck auf die Notdienste fertig werden muss.“
Laut Kevin McConway, emeritierter Professor für angewandte Statistik an der Open University, gibt es „keine Möglichkeit, die Liste der Verstorbenen durchzugehen“ und daraus Rückschlüsse zu ziehen: „Das alles macht eine Untersuchung der Gründe für die überzähligen Todesfälle ziemlich schwierig.“
Fazit des britischen Blattes: „Experten sind der Meinung, dass den direkten Auswirkungen von Covid immer noch zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, während die weiterreichenden Folgen vernachlässigt werden.“
So erfreulich es ist, dass die Übersterblichkeit wenigstens in Großbritannien offen thematisiert wird – so bedauerlich ist die Schere der Kollegen im Kopf bei dem großen Tabu-Thema Impfungen. Dabei steht das als Elefant mitten im Raum.
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