Erneut Vorreiter: Israel reagiert auf Omikron mit Lockerungen Führender israelischer Epidemiologe vergleicht Omikron mit schwacher Grippe

Von Alexander Wallasch

Gleich zu Beginn der Pandemie gelang es Israel, anders als vielen anderen Staaten, welche mit explodierenden Infektionszahlen zu kämpfen hatten, die Corona-Infektionszahlen massiv zu drücken. Aber schon ab Mitte 2020 entwickelte sich der Staat mit seinen fast 10 Millionen Einwohnern „vom Musterland zum Negativbeispiel“.

Israel reagierte darauf unter anderem mit schnellen dritten Impfungen, mit dem sogenannten „Boostern“. Mittlerweile erhalten gefährdete Gruppen mit Blick auf die Omikron-Welle sogar schon die vierte Dosis.

Macht das Sinn? Experten wie Professorin Gili Regev, die eine Studie zu diesem vierten Durchgang machte, sind vom Effekt nicht sonderlich überzeugt: „Wir sehen einen bestimmten Anstieg der Antikörper, aber der Anstieg ist nicht sehr beeindruckend.“

Noch enttäuschender: Schon kurz nach der vierten Impfung seien die Geimpften wieder auf dem gleichen Antikörper-Stand wie kurz nach dem dritten Durchgang.

Zweifellos sind die Anstrengungen, die Pandemie in den Griff zu bekommen, in Israel vergleichsweise groß. Belohnt wird das allerdings nicht, die Infektionszahlen steigen wieder rapide an, die hochansteckende aber möglicherweise weniger gefährliche Omikron-Variante hat das Land bereits fest im Griff.

Die freie Autorin Steffi Hentschke berichtete vorgestern aus Tel Aviv von einer Explosion der Infektionszahlen in Israel: „Dienstag wurden 10.720 Fälle registriert – ein paar Tage später, am Freitag, werden es schon fast 17.000 sein, der höchste Wert seit Ausbruch der Pandemie.“ Die Leute auf den Straßen des Landes hätten zudem die Nase voll von Maßnahmen wie dem stundenlangen Anstehen an den Teststationen.

Was macht die israelische Regierung? Sie reagiert auf den geringen Erfolg der Maßnahmen und den Unmut der Bevölkerung: Ministerpräsident Naftali Bennett änderte in Absprache mit seinem Corona-Expertenrat die Strategie restriktiver Maßnahmen wie Beschränkungen der Bewegungsfreiheit für Ungeimpfte oder die umfassenden Testreihen: In Israel wurden jetzt alle geltenden Beschränkungen trotz ansteigender Infektionszahlen gelockert oder gleich ganz aufgehoben.

Die Hospitalisierungsrate ist trotz Omikron in Israel bisher niedrig geblieben, die Todesfälle sind sogar massiv zurückgegangen. Zuletzt waren es gerade noch zwei Personen, die in einem bestimmten Zeitraum an oder mit Corona gestorben sein sollen.

Zwar hatte Israel Ende November angesichts des Auftauchens der Omikron-Variante die Grenzen für viele ausländische Reisende geschlossen, aber damit ist es jetzt vorbei: Einreiseverbote nach Israel wurden schon vor ein paar Tagen aufgehoben.

PürnerDas Gesundheitsministerium hat sogar solche als Hochrisikogebiete eingestufte Staaten von der Roten Liste gestrichen; zuvor galt für 60 Länder ein Einreiseverbot. Warum? Die Restriktionen griffen nicht, Omikron steigt weiter an. Wozu das alles dann noch, dachten sich wohl die Verantwortlichen.

Israel verkürzte die Quarantänezeiten für infizierte Geimpfte, die Grenzen werden wieder geöffnet. Und Israelis wird erlaubt, wieder in den Urlaub zu fliegen, Zusammenkünfte mit Freunden werden geduldet und die Gastronomie und Schulen bleiben offen.

Diese Lockerung kann man auch als Resignation deuten, verbunden mit einer begründeten Hoffnung, dass die Omikron-Variante weniger gefährliche Verläufe verursacht.

Sollte es dennoch gefährlicher werden als gedacht, ließe sich das schlichtweg nicht mehr vermeiden, davon ist eine Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Israel überzeugt. Gegenüber der Jerusalem Post sagte Hagai Levine, der Vorsitzende der israelischen Vereinigung der Ärzte für öffentliche Gesundheit:

„Da Omikron so ansteckend ist, sind unsere Bemühungen, seine Ausbreitung zu stoppen, wahrscheinlich ziemlich aussichtslos.“

Aber nun zu behaupten, Israel hätte einen radikalen Kurswechsel vorgenommen, stimmt nicht wirklich. Tatsächlich setzt man weiter auf eine massive Durchimpfung der Bevölkerung, setzt auf die dritte und die vierte Impfung und Israelis werden angehalten, soweit möglich, zu Hause zu bleiben und sich mit Vorräten einzudecken.

Die neuen Freiheiten bei massiv ansteigender Infektionsrate erinnern eher an eine Kapitulation vor dem Unmut der Menschen, als dass sie aus vollster Überzeugung passiert wären.

Es gäbe keine Kontrolle über die Omikron Welle, sagte auch Sharon Alroy-Preis gegenüber Kanal 13, sie ist die Leiterin des öffentlichen Gesundheitswesens im Land.

Und die Infektionszahlen steigen weiter an, Israels Teststationen und Labore kommen schon seit Tagen nicht mehr hinterher, am Samstag wurden 19.418 neue Infektionen (positiv Getestete) gemeldet, die meisten davon mit der neuen Omikron-Variante.

Aber auch hier ein Hoffnungsschimmer: Am 8. Januar 2022 informierte Eran Segal per Twitter, er ist Bioinformatiker am Weizmann Institute, dass trotz rapide steigender Infektionszahl die Zahl der schwerkranken Patienten sinken würde.

Und Professor Eyal Shahar, einer der führenden Epidemiologen Israels, schrieb über neue Erkenntnisse zur Omikron-Variante:

„Wenn die Welt vor zwei Jahren von der aktuellen Hospitalisierungs- und Sterblichkeitsrate von Omikron gehört hätte, wäre das uninteressant gewesen und Omikron wäre als ein weiterer schwacher Grippestamm eingestuft worden.”

Israel lässt also die Brücken wieder herunter, hofft auf geringe Schäden durch Omikron und wartet darauf, dass die Welle vorüberzieht. Sollte die Zahl schwerer Erkrankungen dennoch ansteigen, sind die Krankenhäuser vorbereitet.

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland fragte gerade ganz irritiert in Richtung Israel: „Ein Akt der Resignation gegenüber der Omikron-Variante? Oder ein Schritt auf dem Weg in die viel beschworene Herdenimmunität?“

Die Irritation ist verständlich, gehört die Zeitung doch auch zu jenen Blättern, die sich in der Corona-Debatte von Anfang an auf Regierungskurs befand, die selbst Anfang des neuen Jahres  nichts dabei fand, Maßnahmen-Kritiker pauschal als „Corona-Leugner“ zu diffamieren und von einer „radikalen Minderheit“ zu sprechen.

Das Redaktionsnetzwerk schrieb am 4. Januar 2022:

„Je höher die Infektionszahlen steigen, desto mehr Menschen finden sich zwischen Flensburg und München, zwischen Koblenz und Bautzen zu sogenannten Spaziergängen zusammen. Inhaltlich ist das absurd. Denn je höher die Infektionszahlen steigen, desto konsequenter müssen sich die Bürgerinnen und Bürger vor Ansteckung schützen – nicht nur um ihrer selbst Willen.“

In Israel dürfen Geimpfte wieder reisen und im Land jene Dinge tun, die sie schon immer taten: Zur Schule gehen, ins Restaurant oder zu Familientreffen. Ist das wirklich „absurd“, besteht die israelische Regierung etwa aus hartnäckigen Omikron-Leugnern?

Oder ist diese Entwicklung viel mehr ein Hinweis darauf, dass man deutlich beweglicher in seinen Entscheidungen ist als beispielsweise die deutsche Regierung? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach twitterte gerade, Daten aus Großbritannien würden „bei Kindern erschreckende Werte“ zeigen. Da Omikron durch Masken gut abzuwehren sei, wäre die Maskenpflicht in den Schulen „absolut notwendig“. Und Karl Lauterbach warnte gestern vor „naivem Glauben, Omikron sei Ende der Pandemie.“

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: Shutterstock
Text: wal

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