Eigentlich müsste man nur die Überschrift wiedergeben und sie gar nicht kommentieren, um die Verwahrlosung von Teilen unseres polit-medialen Komplexes zu dokumentieren: „Deutsche EU-Abgeordnete wollen rechte Regierung in Italien verhindern“ titelt die JF. Sie macht damit öffentlich, was zumindest einige Volksvertreter heute vom Willen des Wählers halten: nichts.
Dabei sind Wahlentscheidungen in Demokratien eigentlich heilig. Ein Machtwort, das als unumstoßbar galt. Bevor Angela Merkel, früher als FdJ-Kader für „Agitation und Propaganda“ den Sozialismus mit aufbaute, im Februar 2020 die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten von Thüringen als „unverzeihlich“ tadelte und forderte, sie rückgängig zu machen. Weil er von den Falschen gewählt wurde. Empörung herrschte in Medien und Politik damals nicht über Merkels Tabubruch, sondern über Kemmerich.
Aber zurück zu unseren „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“-Abgeordneten aus dem EU-Parlament, das viele immer noch als „Europa-Parlament“ bezeichnen, obwohl es eben nicht ganz Europa repräsentiert (von seinen eingeschränkten Vollmachten ganz zu schweigen). „Wer sich mit den Extrem-Rechten verbündet, der zähmt sie nicht. Wer mit den Extrem-Rechten paktiert, verhilft ihnen zum Machtgewinn.“ Das steht in einem offenen Brief von Katarina Barley (SPD), Moritz Körner (FDP) und Daniel Freund (Grüne) an Manfred Weber (CSU). Zentrale Forderung des zeitgeschichtlichen Dokuments für die Verwahrlosung der Demokratie: Keine EVP-Stimmen für Meloni in Italien!
Demokracja. pic.twitter.com/LbKDz1aIVI
— Dorota 🇵🇱 🇫🇷 (@DorotaM30) October 5, 2022
Dafür, dass sie den Wählerwillen revidiert sehen wollen, führen die deutschen Abgeordneten als Begründung an, Wahlsiegerin Giorgia Meloni vertrete „rechtspopulistische Positionen, die nicht mit europäischen Grundwerten vereinbar sind, die offen zur Diskriminierung von Menschen aufrufen und die die grausamsten Verbrechen in der europäischen Geschichte leugnen“.
Wie bitte? Wo soll Meloni „die grausamsten Verbrechen in der europäischen Geschichte leugnen“? Bzw. Positionen, die diese leugnen (die Formulierungskunst der Ampel-Volksvertreter bietet Luft nach oben). Mit frei erfundenen Behauptungen wird hier gegen den Wählerwillen angekämpft.
Weiter heißt es in dem unfreiwillig komischen Brief, noch sei es nicht zu spät, „eine rechtsextreme Regierungschefin Giorgia Meloni in Italien zu verhindern“. Weber müsse Berlusconis Partei Forza Italia, die zur EVP-Fraktion gehört, auf einen „pro-demokratischen und pro-europäischen Konsens zu verpflichten“.
Das muss man sich einmal vorstellen: Die drei Abgeordneten glauben, dem EVP-Fraktionschef vorschreiben zu können, dass er den Italienern vorschreiben soll, dass sie den Wählerwillen nicht umsetzen.
Da fehlen einem schlicht die Worte.
Einerseits möchte man lachen über so viel Infantilität in der Politik. Andererseits ist die Diagnose zum Heulen. Sie zeigt: Da sitzen Menschen in Parlamenten, die eine Abneigung gegen Demokratie haben, ohne das selbst zu erkennen. Schlimmer noch: Die sich für die besseren Demokraten halten. Und glauben, deshalb könnten sie den Wählerwillen brechen. Noch dazu in anderen Ländern.
Man kann sich nur schämen für solche Politiker.
Dass neben Grünen und SPD, von denen man es kaum anders erwarten kann, auch noch die FDP mit auf dem antidemokratischen Boot ist, zeigt, wie weit sich diese Partei (nicht erst) unter Christian Lindner von ihren früheren Grundwerten entfernt hat.
Bild: IMAGO / aal.photo