Von Daniel Weinmann
Deutschland droht eine schwere Versorgungskrise. So lautet das beunruhigende Fazit des größten deutschen Fleischproduzenten Tönnies und der Interessenvertretung der Spediteure. Laut Tönnies war der Geflügelmarkt in dieser Woche von „erheblichen Einschnitten“ geprägt. Es fehlten allein rund 3.000 Tonnen Hähnchenbrustfilets, die pro Woche aus der Ukraine geliefert wurden.
Darüber hinaus falle mit der Ukraine einer der größten Futtermittelzulieferer aus dem Markt. In dem aus bekannten Gründen ohnehin angespannten Geflügelmarkt seien Lieferausfälle durch Rohstoffengpässe nicht mehr zu verhindern. Rindfleisch habe sich auf ein Allzeithoch von 4,50 Euro verteuert und der Schweinepreisindex sei allein zwischen dem 10. Februar und dem 9. März um 45 Prozent auf 1,75 Euro je Kilogramm explodiert.
Tönnies zählt in seinem „Not-Brief“, der reitschuster.de vorliegt, gleich zehn Bereiche auf, in denen die „massiven Auswirkungen des Krieges“ zu spüren sind. Die wichtigsten: Strom- und Gasanbieter machen von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch und verlangen höhere Preise. Höhere Gewalt in den Lieferketten von EU-Geflügel und Versorgungsengpass von deutschem/europäischem Geflügelfleisch, in der Beschaffung von Frittier-Fetten und bei Senfmehl und Senfsaaten.
»Massive Störung sämtlicher bestehender Geschäftsgrundlagen«
Zugleich registriert Tönnies explodierende Futtermittelkosten, eine Knappheit von Arbeitskräften auf Grund des Ausfalls ukrainischer Mitarbeiter und nicht zuletzt eine „massive Störung sämtlicher bestehender Geschäftsgrundlagen“.
„Im schlimmsten Fall wird die Versorgungssicherheit des Landes gefährdet“, mahnen die Tönnies-Geschäftsführer Peter Strunz und Jörg Engel. Der Weg dahin scheint programmiert: „Es gibt einfach kein Schlachtvieh. Im Rindfleisch werden uns, beispielsweise bis Ostern, die Schlachttiere ausgehen, die nur mit enormem finanziellem Mehraufwand an uns gebunden werden können.“ Der Fleischkonzern verlangt vor diesem Hintergrund eine sofortige Anpassung der Preise nach oben und appelliert an seine Kunden, dies zu akzeptieren.
Tönnies steht mit seinen Befürchtungen nicht allein. „In diesen Tagen regiert an den Energie-, Rohstoff- und Getreidemärkten die Panik“, schreibt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Die bisherige Gewissheit, dass internationale Lieferketten verlässlich seien, habe schon im Gefolge von Corona erhebliche Risse bekommen und sei nun ganz dahin.
»Die Situation ist deutlich angespannter als bei Corona«
Sein Resümee: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich dies auch in der Lebensmittel-Lieferkette bemerkbar machen wird. Die Auswirkungen eines Ausfalls von Weizenlieferungen beispielsweise auf den Nahen Osten oder die Region Nordafrika haben in jedem Fall geostrategische Dimension.“
Noch prekärer schätzt der Branchenverband der deutschen Spediteure die Lage ein. Viele Spediteure fahren derzeit gegen die Insolvenz an, ihnen geht die Liquidität aus, berichtet der Vorsitzende des Bundesverbands Güterverkehr und Logistik, Dirk Engelhardt. Die Bundesrepublik stehe vor der schlimmsten Versorgungskrise in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und es drohten „zum Teil leere Supermarktregale“.
Zunehmend mehr Speditionen könnten die hohen Kraftstoffkosten nicht mehr stemmen. „Die Situation ist deutlich angespannter als bei Corona“, urteilt Engelhardt, Deutschland steuere „auf eine Situation wie in England nach dem Brexit zu“.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Alexandros Michailidis/ShutterstockText: dw