Von Daniel Weinmann
„Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt“, verspricht Artikel 5 des Grundgesetzes. Für Google, das im Juli rund 84 Prozent sämtlicher Seitenaufrufe auf sich vereinte, setzt sich seit Jahren nonchalant darüber hinweg.
Google Pay, YouTube-Videos, E-Mails über Gmail, Navigation per Google Maps, der Chrome-Browser oder das weit verbreitete Android-System – der Datenkrake ist überall. Google bestimmt nicht nur, wo wir einkaufen, was wir finden und wie wir uns informieren. Der in Kalifornien ansässige Konzern zensiert ungeniert per Algorithmus. Allein im letzten Quartal 2021 stoppte die Google-Tochter YouTube 58.000 Videos wegen falscher Informationen zu Corona. Weltweit wurden in diesem Zeitraum 2021 über 3,7 Millionen Videos gelöscht.
Seinen jüngsten Coup landet Google über die Anpassung seiner Werberichtlinien. Dieses Prozedere findet regelmäßig statt, „um ein markensicheres Umfeld für unsere Werbepartner zu gewährleisten und die Nutzer besser vor unzuverlässigen Behauptungen zu schützen“, wie es in einem Blogpost des Konzerns heißt.
»Eine sichere und respektvolle Plattform«
Dazu gehört auch die Änderung der Richtlinien des Google Play Stores, über die die Besitzer von Android-Smartphones Apps und Spiele herunterladen können. Auch hier geht es vordergründig um „mehr Sicherheit und Transparenz“. Und um die Eingrenzung von „Falschinformationen“. Im Mittelpunkt der ab Ende dieses Monats bevorstehenden Richtlinienaktualisierung stehen Applikationen, die „irreführende gesundheitsbezogene Behauptungen enthalten, die dem bestehenden medizinischen Konsens widersprechen“.
„Da Google Play eine sichere und respektvolle Plattform bleiben soll, haben wir Richtlinien entwickelt, in denen schädliche oder unangemessene Inhalte definiert und verboten werden“, heißt es auf der Support-Seite. Dazu zählt:
- Irreführende Behauptungen über Impfstoffe, z. B. dass Impfstoffe die DNA eines Menschen verändern können
- Befürworten von gefährlichen, nicht zugelassenen Behandlungen
- Befürworten anderer schädlicher gesundheitsbezogener Praktiken, z. B. Konversionstherapie
Der Daten-Monopolist entscheidet damit, was die „Wahrheit“ im Bereich von Wissenschaft und Forschung ist. Das Wahrheitsministerium aus Orwells „1984“ lässt grüßen. Wie sich dies äußert, zeigt nicht nur das Werbeverbot, mit dem die Google-Tochter diese Seite belegt. Im Oktober 2021 wurden mehrere Videos der Aktion „#allesaufdentisch“ gelöscht.
Im Austausch mit der Weltgesundheitsorganisation WHO und mit Gesundheitsbehörden
Der Vorwurf lautete: Die Künstleraktion habe gegen „Richtlinien zu medizinischen Fehlinformationen verstoßen“. In den beanstandeten Videos seien „Behauptungen über Schutzimpfungen gegen COVID-19, die der übereinstimmenden Expertenmeinung lokaler Gesundheitsbehörden oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) widersprechen. Die Videos hätten gegen die Richtlinien der Plattform zu medizinischer Fehlinformation verstoßen (reitschuster.de berichtete).
Auf die Frage, wer die Experten, sind, auf die sich YouTube beruft, antwortete Sabine Frank, „Head of Governmental Affairs and Public Policy“ im deutschsprachigen Raum, gegenüber der „Welt“ so: „Wir sind dazu zum Beispiel im Austausch mit der Weltgesundheitsorganisation WHO und mit Gesundheitsbehörden. Um glaubhaft zu sein, versichern wir uns regelmäßig bei diesen Experten zurück.“
Kommentar überflüssig.
Vor diesem Hintergrund überrascht kaum, dass im Herbst vergangenen Jahres die verpönten „Klimaleugner“ ins Visier rückten. Google-Werbekunden und -Verlage sowie YouTube-Ersteller dürfen keine Werbeeinnahmen mit Inhalten erzielen, die „dem etablierten wissenschaftlichen Konsens über die Existenz und die Ursachen des Klimawandels widersprechen“, erklärte das Google Ads-Team.
Google ermächtigt sich selbst zum Zensor
In den letzten Jahren habe man immer öfter Rückmeldungen von Werbetreibenden und Publishern erhalten, die „direkt Bedenken hinsichtlich Anzeigen äußerten, die falsche Behauptungen zum Klimawandel propagieren oder neben solchen Behauptungen ausgeliefert werden. Werbetreibende möchten nicht, dass ihre Anzeigen neben derartigen Inhalten erscheinen.“
Zu diesen Falschbehauptungen zählen laut den Google-Wahrheitswächtern „Inhalte, die den Klimawandel als Schwindel oder Betrug bezeichnen, Behauptungen, die leugnen, dass langfristige Trends zeigen, dass sich das globale Klima erwärmt, und Behauptungen, die leugnen, dass Treibhausgasemissionen oder menschliche Aktivitäten zum Klimawandel beitragen.“
Google ermächtigt sich selbst zum Zensor und tritt die im Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit mit Füßen. George Orwells dystopischer Roman aus dem Jahr 1948 wird immer mehr zur Wirklichkeit.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
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