Die Grünen stellen einen als kritischen Journalisten vor ein unlösbares Dilemma: Einerseits sind ihre Doppelmoral und Heuchelei so offensichtlich und so oft dokumentiert, dass man sie eigentlich kaum noch als „Neuheit“ und damit als „Nachricht“ werten kann. Nach dem alten journalistischen Motto, dass „Hund beißt Briefträger“ keine Nachricht ist, aber „Briefträger beißt Hund“ sehr wohl, wäre es wohl fast eher eine Nachricht wert, wenn bei den Grünen einmal so eine Doppelmoral fehlen würde.
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite: Würde man neue Fälle der Doppelmoral einfach verschweigen, würde man damit das Geschäft der Mainstream-Medien und vor allem der öffentlich-rechtlichen Anstalten betreiben, die regelmäßig agieren wie eine Pressestelle der Grünen. Und man würde faktisch mithelfen, deren Doppelmoral und Heuchelei zu vertuschen.
Doch jetzt machen es einem die Grünen mit der Entscheidung – berichten oder schweigen – einfach. Denn sie treiben es selbst für ihre Verhältnisse zu weit. Und für ihre treueste Fan-Basis: die öffentlich-rechtlichen Sender. Zumindest einen.
Aber der Reihe nach: Nachdem Spitzen-Grüne wie Ricarda Lang auf dem Oktoberfest in München noch in trauter Nähe mit Parteifreundinnen ohne Maske posierten, trugen sie diesmal vor laufender Kamera auf dem Parteitag wie auf Absprache alle brav die Mund- und Nasenbedeckung.
Fragen an Grünen-Chefin #Lang – beim Oktoberfest noch oben ohne, jetzt beim Parteitag stramm bedeckt.
Hat sich das Virus inzwischen erheblich verändert?
Ist es in München aktiver als in Bonn?
Ist es auf Volksfesten aggressiver als auf Parteitagen?
Macht es Bier unschädlich? pic.twitter.com/8phn6dz8Sq— Boris Reitschuster (@reitschuster) October 15, 2022
Beim Parteitag der Grünen dagegen waren die Regeln rigoros: Maske war Pflicht. „Bei der Registrierung am Empfang wurde man gefragt, ob man am Tag der Anreise noch einen Corona-Test gemacht habe und man bekam noch weitere Selbsttests für die kommenden Tage in die Hand gedrückt. Die Grünen nehmen das Virus ernst – zumindest tagsüber“, schreibt das Portal „Der Westen„.
Ganz anders bei der Parteitags-Party am späten Samstagabend: „Da fielen dann überraschenderweise doch einige Masken im World Conference Center in Bonn“, schreibt das Portal: „Parteichef Omid Nouripour gab den maskenlosen DJ, die Stimmung war ausgelassen – und Corona nicht mehr ein so großes Thema.“ Getanzt wurde bis 2.30 Uhr – und viele waren dabei „ohne oben“ unterwegs. Das ist jedenfalls einem Clip zu entnehmen, den ein Journalist aufnahm (journalistische Distanz war offenbar nicht angesagt). Dabei sind sich viele Grüne so nahe, dass nach ihrer eigenen Ideologie die Ansteckungsgefahr groß sein musste. Und das in demselben Gebäude, in dem tagsüber die gleichen Menschen streng auf Maske achten mussten.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die Partei, die uns maßgeblich den Fortbestand der Maskenpflicht in Zügen, Bussen und Straßenbahnen eingebracht hat, und auch für deren Ausweitung jetzt im Herbst steht, nimmt es selbst, wenn die Kameras weg sind, nicht genau mit den Masken, die sie anderen aufzwingt.
Damit haben die Grünen den Bogen überspannt. Wirkt das Programm der öffentlich-rechtlichen Anstalten in der Regel so, dass man den Eindruck hat, man könne die Zwangsgebühren als Parteispende für die Grünen von der Steuer absetzen, macht sich jetzt sogar das ZDF über die Heuchelei der früheren Öko-Partei lustig. Was deren Funktionsträgern zu denken geben sollte. Noch scheint die Meistbegünstigungsklausel den Grünen im Gebührenfunk zwar sicher – aber dass die „Schere im Hirn“ inzwischen auch mal solche Ketzerei durchlässt – das muss für rotgrüne Ideologen ein Alarmzeichen sein.
Theo Koll sagt im Bericht aus Berlin tatsächlich: „Corona-Viren sind, wie wir wissen, sehr disziplinierte kleine Wesen. Tagsüber in Grünen-Parteitagssälen sind sie sehr aktiv und ansteckend, aber abends, da legen die sich früh schlafen, da kann überhaupt nichts passieren.“
Ihnen geht es wie mir? Sie können das gar nicht glauben? Sehen Sie es selbst – hier.
Dabei sind die Masken nur die Spitze des Doppelmoral-Eisbergs. Parteichef Omid Nouripour legte am DJ Pult den Song „Jump around“ von „House of Pain“ auf. Ein Party-Klassiker. Aber nach den strengen Regeln der Grünen einer, den sie anderswo „canceln“ würden. Denn in dem Lied heißt es: „Yo I bust him in the eye, and then I’ll take the punk’s hoe”. Übersetzt: „Yo, ich schlage ihm ein Auge aus, und dann nehme ich die Hure von dem Punk“. Ebenso ist dort zu hören: “If your girl steps up, I’m smacking the hoe. Word to your moms, I came to drop bombs”. Auf Deutsch: “Wenn dein Mädchen aufsteht, schlage ich die Hure. Sagt euren Müttern, ich bin hier, um Bomben zu werfen“. Oder: “I never eat a pig, ‚cause a pig is a cop”. Auf Deutsch: „Ich esse nie ein Schwein, denn ein Schwein ist ein Bulle.“ Wetten, die Grünen würden das anderswo als „frauenfeindlich“ und „gewaltverherrlichend“ verurteilen? Aber auf dem eigenen Parteitag spielen – kein Problem.
Noch schräger: Die Zustimmung für die Lieferung von Ausrüstungs und Munition für Eurofighter und Tornado nach Saudi-Arabien. Ein Land, das im Jemen einen blutigen Krieg führt und Regimekritiker verfolgt. Baerbock versuchte den Grünen auf dem Parteitag ihre Zustimmung zu dem Deal schmackhaft zu machen. Unter anderem damit, dass Deutschland auf die europäische Kooperationen angewiesen sei, die zu diesen Deals führte. Sonst müsste man selbst noch mehr Geld für Rüstung zahlen, so die Ministerin. Erstaunliche Worte von den personifizierten Moral-Aposteln. Aber Moral gilt für sie offenbar immer nur für die anderen.
Bild: Youtube/ZDF/Screenshot
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