Ein Gastbeitrag von Manfred Schwarz
Hamburg erlebte am Samstag die bisher größte Demonstration gegen die offizielle Corona-Politik. Vor allem die drohende allgemeine Impfpflicht wurde heftig kritisiert. Die Hamburger Polizei schätzte die Zahl der Demo-Teilnehmer offiziell auf 13.700 Menschen.
Die Protest-Organisatoren sprechen von 20.000 Demonstranten. Auf jeden Fall waren es an diesem Sonnabend noch merklich mehr protestierende Bürger als auf der letzten Veranstaltung dieser Art vor drei Wochen.
„Das Maß ist voll“
Die protestierenden Menschen sind unter dem Motto „Das Maß ist voll“ durch die City der Hansestadt gezogen. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte erst am Vorabend neue Corona-Regeln für den Stadtstaat verkündet. Danach gilt in Hamburg in vielen Bereichen die 2GPlus-Regelung. Der Senatschef möchte auch gern – möglichst bald – die Impfpflicht mindestens für die große Mehrheit der Bürger einführen.
Die Demonstranten waren da völlig anderer Meinung. Sie wollen keine allgemeine Impfpflicht – und schon gar nicht eine für Kinder. Die meisten der Demo-Teilnehmer machten aus ihrer Meinung auch kein Hehl, dass Regierungsstellen nicht nur in Hamburg, sondern mindestens ebenfalls in München und in Berlin keine ehrliche Corona-Politik betreiben.
Führende Politiker – wie Peter Tschentscher oder Markus Söder (CSU) wurden beschuldigt, teils mit manipulierten Statistiken zu agieren, wenn es darum geht, nachzuweisen, dass sehr viel mehr Ungeimpfte als Geimpfte als Corona-Kranke in die Krankenhäuser gekommen sind.
Friedlich und diszipliniert
Die riesige Demonstration, die um 14 Uhr begann und gegen 18 Uhr endete, ist auffällig friedlich und diszipliniert verlaufen. Schon zu Beginn der Großveranstaltung verkündeten die Organisatoren über Lautsprecher, man möge sich an die Anordnungen der Polizei halten. Auch seien die Mindestabstände und die Maskenpflicht einzuhalten.
Die Organisationsleitung bedankte sich schon zu Beginn per Mikrofon ausdrücklich bei der Polizei. Die habe sich in der Hansestadt bisher sehr viel umsichtiger gezeigt als manche Polizei-Einheiten in anderen deutschen Städten.
Tatsächlich hielten sich die Polizeibeamten – darunter auch viele Bundespolizisten – eher am Rand von Bürgersteigen auf und beobachteten in aller Regel gelassen die riesigen Gruppen von Demonstranten, die in den allermeisten Fällen Masken trugen und häufig eher fröhlich wirkten, als sie hinter den vielen Protest-Transparenten über die Straßen schritten.
Auf der Straße „Am Valentinskamp“ haben Polizisten die Teilnehmer einer Gegendemonstration sogar von der Straße getragen, die sich dem Demonstrationszug in den Weg gestellt hatten.
Das war eine ganz andere Stimmung als bei linksextremen Antifa-Demonstrationen, bei denen man sehr häufig die militante Gewaltbereitschaft selbst dann schon spürt, wenn man nur vom Trottoir aus einen kurzen Blick auf die vorbeimarschierenden lautstarken Protestler wirft.
Medien zeichnen schiefes Bild
Die Medien, die über die Corona-Demonstration berichteten, präsentierten allerdings am Samstag teils ein Bild, das wenig mit den Realitäten zu tun hatte. Die Hamburger Morgenpost spricht – weit an der Wahrheit vorbei – von vermeintlich „schrillen Tönen“, „irren Reden“ und angeblich „aggressiv-brüllenden Schwurblern“.
Die Welt schreibt: „Tausende Impfgegner und Corona-Zweifler, aber auch erneut einige Rechtsradikale, Reichsbürger und selbsternannte Freiheitskämpfer, protestierten gemeinsam gegen die Corona-Politik.“ Obskure Formulierungen.
Objektive Beobachter vermochten keine Rechtsextremisten zu entdecken; zumindest haben Extremisten sich nicht als solche zu erkennen gegeben. Einzelne „Reichsbürger“ und ein paar andere Sonderlinge mögen dabei gewesen sein. Freilich: Bei praktisch jeder Demo sind auch ein paar Spinner dabei. Das kann man nicht verhindern.
Ein aufschlussreiches Beispiel waren die öfter mitgeführten Fahnen. Darunter war auch eine Handvoll deutscher Flaggen. Aber das waren keine Reichsbürger-Fahnen, bei denen bekanntlich die Reihenfolge der Farben Schwarz/Rot/Gold verändert sind.
Ein Ausnahmefall wird von Medien aufgeblasen
Ein einziger Demonstrant ist anscheinend von der Polizei festgenommen worden. Über diesen individuellen Fall haben die Nachrichtenagentur dpa und mehrere Medien unverhältnismäßig breit berichtet.
Hierzu ist in der Welt zu lesen: Die Polizei habe erklärt, „ein Demoteilnehmer habe einen Davidstern mit der Aufschrift ‚ungeimpft‘ an der Kleidung getragen“. Gegen diese einzige „Person sei ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet worden“. Diesen extremen Ausnahmefall so aufzublasen, als sei er repräsentativ für einen relevanten Teil der Demonstranten, ist, höflich formuliert, nicht seriös.
Politiker fordern weniger Berichte über Corona-Demos
Auffällig ansonsten, dass mehrere große Medien zumindest bis in die tiefe Nacht des Samstag im Netz gar nicht über die Groß-Demo in Hamburg und ähnliche Protestzüge in anderen Städten berichtet haben. Bild, n-tv, Spiegel, Focus oder die Leipziger Volkszeitung beispielsweise folgen offenbar zumindest streckenweise der Devise einiger Politiker, die demonstrativ gefordert haben, die Medien sollten fortan weniger oder gar nicht mehr über diese Protestaktionen berichten.
Der Innenminister von Thüringen, Georg Maier (SPD), beispielsweise – und darüber berichtete n-tv ganz groß – hat erklärt, mediale Berichterstattung über Corona-Protestaktionen nehme „einen zu breiten Raum ein, der ihnen eigentlich gar nicht zusteht“.
Der Innenminister von Baden-Württemberg, Thomas Strobl (CDU), formuliert noch drastischer. Strobl sagte laut Focus allen Ernstes: „Wer unter dem Deckmantel eines Lichterspaziergangs durch Städte irrlichtert, wer die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit missbraucht (…), der überschreitet eine rote Linie, der verlässt den gemeinsamen Boden der Demokratie, der demoliert unsere Demokratie.“
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Dr. Manfred Schwarz (Politologe): Zivillehrer an der Hamburger Landespolizeischule, dann etliche Jahre Berufsschullehrer und Dozent in der staatlichen Lehrerfortbildung (Bereich: Politik); jeweils acht Jahre Medienreferent in der Hamburger Senatsverwaltung und (nebenamtlich) Vizepräsident des nationalen Radsportverbandes BDR (verantwortlich für die bundesweite Medienarbeit / Herausgeber einer Internet-Radsportzeitung). CDU-Mitglied, sechs Jahre Mitglied des Hamburger CDU-Landesvorstands. Heute Autor für verschiedene Internetportale mit den Schwerpunkt-Themen Politik und Medien.
Bild: privatText: Gast