Hamburgs Zukunftsentscheid: Mit Vollgas in die Klimakatastrophe Gibt es noch einen verfassungskonformen Ausweg?

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Die Hamburger Sturmflut von 1962 war eine Naturkatastrophe mit verheerenden Auswirkungen, die nicht nur, aber auch dank der Fähigkeiten des damaligen Hamburger Senators Helmut Schmidt nicht noch schlimmere Folgen zeitigte, als sie es ohnehin tat.

Der Hamburger „Zukunftsentscheid“, der die Stadt Hamburg auf eine so sinnlose wie ruinöse Politik verpflichtet, ist keineswegs eine Naturkatastrophe, sondern – im Gegensatz zum Klimawandel – eine ganz und gar menschengemachte. Wie ich schon vor einigen Wochen berichtet habe, liegt der Nutzen dieser Politik für das Weltklima recht genau bei Null, selbst dann, wenn man der Theorie anhängt, es sei vor allem und fast nur von CO2-Emissionen abhängig. Dagegen sind die wirtschaftlichen Folgen immens. Ein Hamburger Unionspolitiker hat es – eher untypisch für seine Branche – in klaren Worten auf den Punkt gebracht: „Es geht darum, dass mit dem Vorziehen der Klimaneutralität auf 2040 das Leben in Hamburg dramatisch teuer wird. Es geht um drastisch steigende Mieten, es geht um das Zwangs-Aus für Gas- und Ölheizungen, es geht um die Verlagerung von Unternehmen und damit um Tausende Arbeitsplätze raus aus Hamburg und es geht um ein flächendeckendes Fahrverbot für Verbrenner und ein Tempo 30 in der ganzen Stadt.“

Die Befürworter des Volksentscheides focht das nicht an, sie müssen ja die Welt retten, und so nahm das Schicksal seinen Lauf: Der Gesetzesentwurf zur zukünftigen Klima- und damit auch Wirtschafts-, Energie- und Verkehrspolitik wurde von der Mehrheit der Hamburger angenommen. Genau genommen nicht ganz von der Mehrheit, denn die Wahlbeteiligung betrug 40,6 %, der Anteil der Ja-Stimmen lag bei 53,2 %, und da 53,2 % von 40,6 gerade 21,6 ergibt, wurde der zukünftige Untergang Hamburgs von 21,6 % seiner Wahlberechtigten beschlossen. Wie man sieht, geht es auch ohne Sturmflut.

Nun darf man sich aber über diese in Wahrheit nicht allzu hohe Quote nicht beschweren, denn die Hamburger hatten die Möglichkeit, an der Abstimmung teilzunehmen und den Unsinn zu verhindern, und wer das nicht wollte, dem war das Thema offenbar nicht wichtig genug, um sich zur Stimmabgabe zu bequemen. Erstaunlicherweise konnte sich die aus SPD und Grünen bestehende Stadtregierung nicht im Mindesten für den Volksentscheid begeistern, und alle Fraktionen der Hamburger Bürgerschaft mit Ausnahme der SED sprachen sich dagegen aus. Dass die Grünen als Fraktion gegen den Entscheid waren, als Partei aber dafür, macht den Geisteszustand dieser Partei des infantilen Totalitarismus wieder einmal deutlich, sofern man bei einer Partei von Geist sprechen möchte.

Dennoch: Der Entscheid wurde nach den Regeln der Hamburger Verfassung in die Wege geleitet, das Ergebnis hat zwar nichts mit Vernunft zu tun, muss aber nun nach den Regeln dieser Verfassung in die Tat umgesetzt werden, getreu dem bekannten Kartoffeltheorem: Jetzt sind die Kartoffeln da, jetzt werden sie auch gegessen. In diesem Sinne hat sich auch schon der Hamburger Bürgermeister Tschentscher geäußert: „Ein Volksentscheid bindet Senat und Bürgerschaft. Wie es unsere Verfassung und die Rechtslage zur Volksgesetzgebung gebieten, wird der Senat den Volksentscheid umsetzen und den Hamburger Klimaplan an die neuen formalen Anforderungen anpassen.“ Das ist wahr. Der Volksentscheid zwingt die Stadtgremien, die dort vorgesehenen irrsinnigen Regeln umzusetzen, das Volk hat das Gesetz beschlossen, und damit ist die Sache erledigt.

Man kann das so sehen, es entspricht den Regeln der Hamburger Verfassung. Das scheint aber nur die halbe Wahrheit zu sein. Denn diese Verfassung enthält noch einen weiteren Passus, der dem Hamburger Parlament, der Bürgerschaft, eine Möglichkeit zum Widerspruch einräumt. Geregelt ist das alles in Artikel 50 der Verfassung, wo es in Absatz 4 heißt: „Ein von der Bürgerschaft beschlossenes Gesetz, durch das ein vom Volk beschlossenes Gesetz aufgehoben oder geändert wird (Änderungsgesetz), tritt nicht vor Ablauf von drei Monaten nach seiner Verkündung in Kraft. Innerhalb dieser Frist können zweieinhalb vom Hundert der Wahlberechtigten einen Volksentscheid über das Änderungsgesetz verlangen. In diesem Fall tritt das Änderungsgesetz nicht vor Durchführung des Volksentscheids in Kraft. Das Volk entscheidet über das Änderungsgesetz.“

Was bedeutet das? Die Bürgerschaft kann, wenn sie das denn möchte, das vom Hamburger Volk beschlossene Gesetz aufheben oder ändern, indem sie ein „Änderungsgesetz“ beschließt. So wie das Einbringen des Volksentscheids ein verfassungsmäßiges Recht darstellt, ist auch das Beschließen eines Änderungsgesetzes verfassungskonform, denn in der Verfassung ist es ja geregelt. Das Volk, das gerade sein Gesetz beschlossen hat, muss sich das aber nicht kampflos bieten lassen. Frühestens drei Monate nach seiner Verkündung tritt das Änderungsgesetz in Kraft, und in dieser Zeit braucht es nur 2,5 % der Wahlberechtigten, um einen neuen Volksentscheid zu erzwingen, diesmal über das Änderungsgesetz: Soll das vom Volk beschlossene Gesetz aufgehoben werden oder nicht? Die 2,5 % der Wahlberechtigten sind leicht zu beschaffen, wenn man bedenkt, dass mehr als 20 % der Wahlberechtigten für das neue Gesetz gestimmt haben.

In diesem Fall muss das Änderungsgesetz bis zur Durchführung des neuen Volksentscheides warten, es kann noch immer nicht in Kraft treten. Und genau in dieser Phase kann der Senat, kann der Bürgermeister das tun, was bisher versäumt wurde: Den Bürgern endlich deutlich machen, welche Folgen ein derartiger Beschluss hat. Folgen, die insbesondere auch ihre eigene Lebensführung, ihre eigene Freiheit, ihren eigenen Wohlstand betreffen. Das kann funktionieren oder auch nicht. Sollten hinreichend viele Wahlberechtigte aufgeschreckt werden, so würden auch mehr von den bisher Gleichgültigen zur Urne gehen, das Änderungsgesetz bestätigen und damit den Zukunftsentscheid Vergangenheit werden lassen. Ist das nicht der Fall, wird das Änderungsgesetz abgelehnt und Hamburg seinem klimagerechten Schicksal überlassen.

Ich betone: Es ist verfassungskonform, den derzeitigen Entscheid als verbindlich zu betrachten, denn niemand ist gezwungen, Absatz 4 des Artikels 50 anzuwenden. Da er aber in der Verfassung steht, ist es genauso verfassungskonform, ihn zur Anwendung zu bringen, woraufhin alle Beteiligten und Interessierten die Möglichkeit haben, ihre Standpunkte darzulegen. Wird das Veränderungsgesetz abgelehnt, dann war es das.

Wie es scheint, haben Senat und Bürgerschaft der Stadt Hamburg zwei Möglichkeiten, mit dem Volksentscheid zur Klimaneutralität umzugehen. Und wie so oft, gilt auch hier ein vor etwa 40 Jahren im Rahmen einer Werbekampagne der Betonindustrie geprägter Satz.

Er lautet: Es kommt drauf an, was man draus macht.

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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Ryan Rodrick Beiler / Shutterstock.com

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