Hanau: Das Dogma

Als die Tagesschau gestern über die Trauerfeier für die Opfer von Hanau berichtete, wurden in der Anmoderation und in dem Beitrag nur die „neun Opfer mit ausländischen Wurzeln“ – nicht die erschossene Mutter des Täters. Auch als am Schluss des Beitrages die Namen der Opfer eingeblendet wurden, war deren Namen nicht zu sehen. Auch die psychische Erkrankung des Täters wurde mit keinem Wort erwähnt in dem Beitrag – immerhin in der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes, mit Millionen Zuschauern. Es war nur von „rassistischen Morden“ das Reden.

Es ist faszinierend, wie eindeutig die Interpretation des Blutbades von Hanau in den deutschen Medien und in der deutschen Politik ausfällt. So uniform, dass es erschreckend ist. Die einzige Erklärung für die unvorstellbar grausame Tat des psychisch offenbar schwer kranken Täters, auch seine Mutter umbrachte und überzeugt war, ein Geheimdienst könne seine Gedanken lesen: Hetze und Hass seien schuld, dass der Mann mit seinen fremdenfeindlichen und antisemitischen Ansichten durchdrehte. Und allenthalben wird dann auf diejenigen als Schuldigen gezeigt, die Kritik an der Migrationspolitik in Deutschland üben – wie Roland Tichy, Henryk Broder und Thilo Sarrazin. Diese Erklärung hat den Rang eines Dogmas. Wer dem widerspricht im Deutschland des Jahres 2020, droht ausgegrenzt und diffamiert zu werden.

Umso erstaunlicher ist, was die konservative Bewerberin um das Amt des Pariser Bürgermeisters, Rachida Dati, in einem Interview mit dem Fernsehsender France Info auf die Frage nach Hanau antwortete: Die ehemalige Justizministerin sagte, Angela Merkel bezahle heute den „hohen Preis“ für die „massive Öffnung der Grenzen“, die sie 2015 durchgesetzt hatte. Merkel habe, so Dati, die Folgen ihrer Entscheidung nicht gut bedacht, und sie habe auch nicht vorausschauend , sondern planlos gehandelt, „ohne Rahmen und Management“. Die Regierungschefin habe nicht auf die öffentliche Meinung gehört, und die Gesellschaft nicht auf ihre Politik vorbereitet.

Weil Dati ein Tabu aussprach, wenn auch dezent, hagelte es sofort Empörung, obwohl die Ex-Ministerin selbst Tochter eines marokkanischen Maurers und einer Algerierin ist. Ein Ex-Frankreich-Korrespondent des Spiegel bezeichnete ihre Aussagen als „ekelerregend“. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Verantwortung an Taten wie in Hanau dürfen nach dem neudeutschen Dogma nur diejenigen haben, die auf Probleme hinweisen (dass viele tatsächlich Vorurteile schüren, und damit eine sehr ungute Rolle spielen, ist dabei gar nicht zu bestreiten). Aber warum darf nicht darüber diskutiert werden, inwieweit das Tabuisieren und Verschweigen von Problemen aggressive Reaktionen, ja Hass anstachelt?

Hier lohnt ein Blick nach Schweden. Obwohl das Land einerseits sehr tolerant im Umgang mit Minderheiten ist, werden dort häufig rechtsextremistisch motivierte Angriffe registriert. Konfliktforscher haben versuchen, das Paradox zu entschlüsseln, wie die Neue Zürcher Zeitung 2016 berichtete. Als einen der Faktoren benannten sie auch die schwedische «Konsenskultur» – und zwar derart, so die NZZ, „dass missliebige Ansichten, die nicht in das gesellschaftliche «Konsenskonzept» passten, von vornherein als rassistisch und extremistisch gebrandmarkt würden. Angesichts der Unterdrückung und Stigmatisierung solcher Themen durch den meinungsbildenden Mainstream sei es schwer, eine Reihe von Fragen anzusprechen, die nachweislich einen zunehmenden Teil der Bevölkerung beschäftigten.“

„Mangelnden Willen zur Auseinandersetzung mit unangenehmen Themen“ wirft der schwedischen Gesellschaft dem Bericht zufolge auch der Autor Karl Ove Knausgaard vor: Ds grundsätzlich sehr sympathische Bemühen der Schweden um ein Image als «anständiges Volk» führe dazu, dass über komplexe Probleme von Immigration und Integration aus Angst vor politischer Inkorrektheit nicht diskutiert würde. Es herrsche die Meinung vor, dass jemand, der solche Fragen auch nur aufwerfe, der Immigration gegenüber skeptisch oder gar abweisend eingestellt sei. Eine Gesellschaft müsse aber in der Lage sein, auch über die unangenehmen Aspekte von Immigration zu diskutieren, sagte Knausgaard laut NZZ. Dazu brauche es Parteien, die die entsprechenden Fragen stellten.

Thesen wie diese sind in Deutschland tabuisiert. Das ist fatal: Denn sollten sie zutreffen, würde die Reaktion auf Hanau die Wiederholung solcher Gräueltaten noch wahrscheinlicher machen. Allein schon, weil das eben nicht gänzlich auszuschließen ist, müssten diese Themen offen und sachlich diskutiert werden müssten. In einer funktionierenden freiheitlichen Demokratie wäre das ein Ding der Selbstverständlichlichkeit. Im Deutschland des Jahres 2020 ist es undenkbar.

Stattdessen wird „der Massenmord von Hanau bedenkenlos instrumentalisiert“, wie Karl-Peter Schwarz in der österreichischen Zeitung Die Presse schreibt: „Ein Mörder kann zugleich verrückt und rechtsextrem sein. Aber es geht nicht an, eine Wahnsinnstat als Vorwand zu nehmen, um politische Kritik abzuwürgen.“ Aus dem Ausland ist manches klarer zu sehen – ohne ideologische Scheuklappen.

P.S.: Erstaunlich ist auch, wie die Tat von Volkmarsen fast völlig aus der Berichterstattung verschwunden ist. In dem Hessischen Ort war ein Autofahrer in einen Rosenmontagszug gerast und hatte dabei 60 Menschen verletzt.


David gegen Goliath

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Bild: WIX

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