Warum Russen Konkurse mögen und Kameras fürchten Geschichten zum Schmunzeln zwischen den Jahren

Hand aufs Herz: Haben Sie es nicht auch satt, ständig negative Nachrichten zu lesen? Bei denen man denkt, es seien „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“? Was sie aber leider nicht sind – denn es sind reale Neuigkeiten aus Deutschland. Über die Feiertage, zwischen den Jahren, möchte ich Ihnen ein Kontrastprogramm bieten, aus meiner Zeit in Russland. Zum Entspannen und Schmunzeln. Voilà:

Wir müssen einander beide für begriffsstutzig gehalten haben. „Familija“, sagte der Türsteher immer wieder. „Familija net“, antworte ich, nur um wieder die gleiche Frage zu hören, mit allen möglichen anderen, unverständlichen russischen Worten geschmückt. „Net familija“, wiederholte ich. Warum bildete er sich so hartnäckig ein, ich hätte mit Familie hierher, zu einer Ausstellungseröffnung, kommen sollen? Erst als das Wort „Passport“ fiel, entschärfte sich die Lage. Mit meinem Pass in den Händen ließ der Türsteher eine gewaltige Liste in seinen noch gewaltigeren Händen rascheln, fand dann den richtigen Eintrag, und endlich durfte ich passieren.

Auslöser des Missverständnisses: „Familia“ klingt zwar wie das deutsche Wort „Familie“ und stammt wohl auch von diesem ab, meint aber im russischen keineswegs engere verwandtschaftliche Bande, sondern den Nachnamen. Fast zwei Jahrzehnte und eine Dolmetscher-Ausbildung später habe ich heute zwar keine Schwierigkeiten mehr, Fragen nach meinem Namen mit denen nach meinem Familienstand oder Anhang zu unterscheiden; die falschen Freunde, Wörter, die in beiden Sprachen gleich klingen, bieten dennoch viele Fallstricke – vor allem für Sprach-Anfänger.

Sollten Sie sich in ein Fotomodell vergucken, hüten Sie sich, einem russischen Freund zu offenbaren, dass sie sich in ein „Mannequin“ verliebt haben und sie unbedingt näher kennen lernen möchten. Nein, nicht dass die Russen kein Verständnis hätten für zarte Gefühle Sympathie zu schönen Menschen, eher im Gegenteil. Nur bezeichnet „Maneken“ im russischen eine Schaufenster- bzw. Modepuppe – und das Foto- oder Laufstegmodel wird schlicht als „Model“ bezeichnet – oder, etwas antiquiert, als „Manekenschtschiza“.

Wenn Ihnen ein Russe begeistert von einer gelungenen Intrige erzählt, hüten Sie sich vor vorschnellen Schlussfolgerungen, dass sie es mit einem Ränkeschmied oder gar Finsterling zu tun hätten. Viel wahrscheinlicher ist, dass ein Mensch vor ihnen steht, der viel von Kultur in allen Sphären hält, insbesondere von Theater und Film: „Intriga“ steht im Russischen nicht nur für hinterhältige Machenschaften, sondern für den Handlungsstrang in einem Roman oder Drama, den Knoten quasi. Wenn die „Intriga“ fehlt, ist ein Stück langweilig. Wenn jemand dagegen sagt, er sei „intrigiert“ (za-intrigovan), meint er damit nicht etwa, dass er Opfer von Ränkespielen geworden ist, sondern dass ihn eine Handlung gefesselt hat, oder er anderweitig von einer Sache angetan oder an ihr interessiert sei.

Die Prozedurnaja

Wenn Ihnen ein russischer Arzt sagt, Sie seien fällig für eine Prozedur, muss das nicht unbedingt bedeuten, dass sie jetzt etwas besonders Langwieriges, Kompliziertes oder Unangenehmes vor sich haben. Im Gegenteil – die russische „Prozedura“ kann durchaus angenehm sein – handelt es sich doch um vom Arzt verschriebene Maßnahmen wie etwa Bäder, Umschläge oder Massagen. Insofern sollte man auch nicht erschrecken, wenn man in der Poliklinik in das Zimmer mit der Aufschrift „Prozedurnaja“ geschickt wird – es ist das Behandlungszimmer – egal, ob darin „Wasser-Prozeduren“ oder „Schlamm-Prozeduren“ verabreicht werden.

Berichtet Ihnen ein russischer Geschäftspartner, er sei jetzt in einem „Konkurs“, sollten Sie nicht vorschnell Schlüsse ziehen und ihn für zahlungsunfähig halten. Denn im Russischen steht „Konkurs“ nicht für die Zahlungsunfähigkeit (die ebenfalls mit einem Fremdwort beschrieben wird – „Bankrotstwo“), sondern für einen Wettbewerb oder ein Preisausschreiben. Mit einem vielversprechenden Geiger-Konkurs ist also nicht die Hoffnung auf Klammheit von Seiteninstrument-Spielern gemeint, sondern ein musikalisches Kräftemessen. Deshalb sollte man sich auch nicht wundern, wenn etwa ein „Architekten-Konkurs“ ausgeschrieben wird.

Berichtet Ihnen eine Bekannte, sie habe gerade einen neuen „Roman“ angefangen, muss das nicht bedeuten, dass sie es mit einer Schriftstellerin zu tun haben. „Roman“ steht im russischen nicht nur für literarische Werke, sondern auch für eine Romanze bzw. ein Liebesverhältnis. Hört ein Russe umgekehrt das Wort Affäre – „Afera“ -, denkt er dabei nicht an amuröse Abenteuer, sondern an Betrügerei oder Hochstapelei – weswegen eine „Liebesaffäre“ in der wörtlichen Übersetzung ins Russische eine Liebesschwindelei ist.

Sucht ein deutscher Tourist in Moskau nach einer „Babuschka“, werden sich seine russischen Ansprechpartner wundern, warum er ausgerechnet in der Ferne Ausschau nach seiner Großmutter hält. Im Russischen steht das Wort nämlich für die Oma oder allgemein für alte Frauen, und nicht für die „Puppen in der Puppe“, die hier „Matrjoschka“ heißen.

Ein braver („brawij“) Mensch zeichnet sich im Russischen nicht etwa durch Artigkeit oder Gehorsam aus und auch nicht durch Redlichkeit oder Ordnungsliebe – er hat tapfer und mutig zu sein: Eine Bedeutung, die auch das deutsche Wort „brav“ einst hatte, aber zunehmend verliert – wovon etwa „der brave Soldat Schwejk“ zeugt, die unsterbliche Romanfigur von Jaroslav Hašek, die weder artig noch gehorsam war.

Wer sein Lexikon erweitern will, meint damit in Russland nicht, dass er neue Seiten in sein Wörterbuch kleben möchte – sondern seinen Wortschatz ausbauen. Der „Krach“ steht anders als in Deutschland nicht für Lärm, sondern für das Fiasko oder einen Zusammenbruch – ein bei uns bis auf Zusammensetzungen wie den „Börsen-Krach“ nicht mehr sonderlich geläufige Bedeutung. Eine gute „Kompania“ steht nicht für ein gutes Unternehmen, sondern für eine nette, gesellige Runde, oder eine Gruppe von Menschen, mit denen man sich die Zeit vertreibt.

Die Liste der „falschen Freunde“ ließe sich unendlich fortsetzen – doch weil das beim Leser zu „Zeitnot“ führen könnte – wie die Russen Mangel an Zeit nennen (womit es sich ausnahmsweise einmal nicht um einen falschen sprachlichen Freund handelt, sondern um einen echten) – sei nur noch vor einem Missverständnis gewarnt: Selbst wenn Sie gerne fotografieren und angesichts der vielen wunderbaren Motive in Russland dringend einen Fotoapparat benötigen, sagen Sie um Gottes Willen nie, Sie bräuchten jetzt sofort und unbedingt eine „Kamera“: Die meisten Russen denken bei dem Wort nämlich an eine seine weniger angenehme Bedeutungen – an eine Gefängniszelle.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Bild: Shutterstock

Lust auf mehr Geschichte über Igor und aus Russland? Die gibt es auch als Buch:

Und hier noch mehr:

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert