Von Kai Rebmann
Bereits im September 2022 berichtete reitschuster.de über einen Preprint, der für die Corona-Jahre eine deutliche Übersterblichkeit aufwies. Inzwischen wurde die Studie dem in der Wissenschaft obligatorischen Peer-Review-Verfahren unterzogen, um die vollständigen Zahlen aus dem Jahr 2022 ergänzt und schließlich am 23. Mai 2023 im Fachmagazin „Cureus“ veröffentlicht. In diesem Fall wurde die vorliegende Studie („Schätzung der Übersterblichkeit in Deutschland 2020–2022“) von sieben Gutachtern jeweils unabhängig voneinander in Augenschein genommen. Damals wie heute werden die Ergebnisse weitgehend ausgeblendet, was zwei Gründe haben dürfte.
Die beiden Autoren, der Psychologe Prof. Dr. Christof Kuhbandner und der Mathematiker Prof. Matthias Reitzner, gelten als Kritiker der Corona-Maßnahmen. Das reicht vielen Kollegen schon aus, sich die Arbeit der Forscher nicht einmal anzusehen. Andererseits sind die Ergebnisse schlicht zu alarmierend, als dass sie so zu erklären sein dürfen, wie die beiden Forscher es tun.
Dabei hat die „Berliner Zeitung“ ihrerseits zwei Experten gebeten, die Arbeit von Kuhbandner und Reitzner zu begutachten. Die Statistiker Göran Kauermann und Giacomo De Nicola unterschreiben zwar nicht jeden Punkt und jedes Komma der Studie, kommen aber dennoch zu dem Schluss: „Der methodische Teil der Arbeit einschließlich der Ergebnisse ist sorgfältig durchdacht und erläutert. Die Autoren berücksichtigen und diskutieren wirklich jede Wahl, jeden Aspekt, jede Entscheidung, mit der sie konfrontiert wurden, und erläutern ihre Entscheidungen transparent.“
Kurve beginnt ab April 2021 anzusteigen
Dass es in Deutschland in den vergangenen Jahren eine Übersterblichkeit gibt, wird von kaum einem ernstzunehmenden Statistiker mehr bestritten. Uneinigkeit herrscht lediglich bei den Ursachen für diese Entwicklung. Nach offizieller Darstellung sollen hierzulande bis Ende Mai 2023 mehr als 174.000 Menschen an Corona gestorben sein.
Diese Zahl tauge jedoch nicht als solide Grundlage für eine Einschätzung zur Übersterblichkeit, was die Autoren vor allem mit der „diagnostischen Unschärfe bei der Diagnose Covid-19-Todesfall“ begründen. Heißt: Nach wie vor ist es völlig unklar – und wird es wohl auch bleiben –, wer an und wer mit Corona gestorben ist. In der Studie heißt es dazu, dass es in den Jahren 2020–2022 eine „beträchtliche Anzahl“ von Covid-19-Todesfällen gegeben habe, „entweder als einzige Todesursache oder in Kombination mit anderen Ursachen.“
Deshalb ließen Kuhbandner und Reitzner die Todesursachen – von Corona über Herzinfarkt und Schlaganfall bis hin zum Unfall – gänzlich außer Acht und konzentrierten sich allein auf die nackten Zahlen. Als Grundlage für ihre Berechnungen verwendeten sie ein Standardmodell der Deutschen Aktuarvereinigung, das auch aus der Versicherungsmathematik bekannt ist.
Und damit zu den Zahlen: Im Jahr 2020 gab es gegenüber dem Vergleichszeitraum (2015–2019) 4.000 zusätzliche Tote, in den Jahren 2021 (plus 34.000) und 2022 (plus 66.000) schnellte die Übersterblichkeit sprunghaft nach oben. Heißt: Als das Virus unter einer Bevölkerung noch ohne nennenswerten Immunschutz (natürlicher Art!) zirkulierte, schlug sich das in keiner Sterbestatistik nieder. Nachdem die Varianten aber schwächer geworden waren, der natürliche Immunschutz höher und es eine „Impfung“ gegen das Virus gab, zeigte die Kurve steil aufwärts.
Lockdowns, Hitzewellen und Grippe können ausgeschlossen werden
Die Autoren der Studie drücken das diplomatisch aus: „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass im Frühjahr 2021 etwas passiert sein muss, das zu einem plötzlichen und anhaltenden Anstieg der Sterblichkeit geführt hat, obwohl während der frühen Covid-19-Pandemie bisher keine derartigen Auswirkungen auf die Sterblichkeit beobachtet wurden.“
Vor allem bei den unter 79-Jährigen, also denen, die das durchschnittliche Sterbealter noch nicht erreicht hatten, war ein prozentual besonders starker Anstieg zu beobachten – aber eben erst ab April 2021. Mindestens ebenso alarmierend: Die Zahl der Totgeburten nahm im 2. Quartal 2021 um 9,4 Prozent zu und lag im 4. Quartal 2021 schon bei 19,4 Prozent über den Werten aus den Vorjahren.
Wie immer, wenn es Zahlen gibt, die schon deshalb nicht wahr sein können, weil sie nicht wahr sein dürfen, gab und gibt es bei der Übersterblichkeit die wildesten Erklärungsansätze. Ganz hoch im Kurs liegen aktuell immer wieder diverse Hitze- oder Grippewellen, die als Ursache für das Offensichtliche herhalten müssen.
Aber: Kuhbandner und Reitzner sind der Ansicht, diese Ursachen ausschließen zu können. Weder für Corona-Inzidenzen noch für das Auftreten von Grippe- oder Hitzewellen lasse sich ein Muster erkennen, welches auf einen Zusammenhang mit den jeweiligen Sterberaten schließen lasse. Anders sieht es offenbar bei der Impfung aus.
Demnach trete ab April 2021, so die Autoren, als immer mehr Menschen geimpft wurden, plötzlich „eine Übersterblichkeit auf, die nicht mehr altersabhängig ist und sogar in jungen Altersgruppen zu beobachten ist.“ Und: Je jünger die Altersgruppe – und damit je später diese geimpft wurden – desto später setzt in der betreffenden Gruppe auch die Übersterblichkeit ein.
Zugegeben: Der abschließende Beweis für eine Korrelation zwischen Impfung und Übersterblichkeit mag auch damit (noch) nicht erbracht sein – der Titel der Studie lautet wohl nicht umsonst „Schätzung der Übersterblichkeit in Deutschland 2020–2022“. Aber man muss wohl schon fast Überzeugungstäter sein, um solche Zahlen nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen und sich einer offenen Debatte darüber zu entziehen.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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