Von Daniel Weinmann
Wildes Lichthupen, Nötigung, weil man sich ans Tempolimit hält, ausgestreckte Mittelfinger, Kopfschütteln, gefährliche Überholmanöver, keine Beachtung der Vorfahrtsregeln: Deutschlands Autofahrer werden zunehmend unbeherrschter. Was bislang nur (m)ein subjektiver Eindruck war, bestätigt nun die Umfrage „Verkehrsklima in Deutschland“ der Unfallforschung der Versicherer (UDV).
Die Hälfte der rund 2000 im Juni Befragten gab demnach an, zumindest gelegentlich ihren Frust sofort abreagieren zu müssen. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 war es nur jeder Vierte. Jeder fünfte Autofahrer (21 Prozent) benutzt die Lichthupe oder den Blinker, um sich auf der Überholspur freie Fahrt als freier Bürger zu sichern.
34 Prozent gaben an, auf „notorische Linksfahrer“ auch mal dicht aufzufahren, damit diese die Überholspur räumen. Das sind acht Prozentpunkte mehr als im Jahr 2016. Gleichzeitig räumten rund 31 Prozent ein, auch mal aufs Gaspedal zu treten, wenn sie überholt werden.
Enorme Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung
„In Bezug auf aggressives und sicherheitskritisches Verhalten haben sich alle Werte gegenüber den Vorgängerstudien verschlechtert“, heißt es in der Mitteilung der UDV. Dennoch gaben 64 Prozent der Männer an, sich im Verkehr „sicher“ oder „sehr sicher“ fühlen. Bei den Frauen, die auch Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit stärker befürworteten, waren es 49 Prozent. Dies zeigte sich auch in einer vorangegangenen Studie aus dem Jahr 2019.
Die Selbst- und Fremdwahrnehmung liegen erheblich auseinander. Kaum überraschend bewerten die meisten Befragten ihr eigenes Verhalten positiver als das der anderen Verkehrsteilnehmer – was zu kuriosen Widersprüchen führt. So beobachteten 93 Prozent der Autofahrer „selten bis sehr oft“, dass Fahrradfahrer zu dicht überholt werden. Gleichzeitig behaupteten 96 Prozent der Autofahrer, beim Überholen von Radfahrern besonders viel Rücksicht zu nehmen.
Auch bei den Fahrradfahrern offenbart sich eine übersteigerte Selbstwahrnehmung. Während nur knapp die Hälfte zugeben mag, bisweilen auf den Gehweg auszuweichen, beobachtet sie dieses Verhalten aber bei 92 Prozent der anderen Radfahrer.
Straßenverkehr als Spiegelbild unserer Gesellschaft
Zur Verbesserung der Sicherheitslage wünschen sich 68 Prozent der Befragten eine Null-Promille-Grenze beim Alkohol – acht Prozentpunkte weniger als 2019. Für UDV-Chef Siegfried Brockmann ist es „vollkommen inakzeptabel“, aus Ärger oder zum eigenen Vorteil die Verletzung oder gar den Tod anderer in Kauf zu nehmen. Alle Verantwortlichen müssten jetzt im Lichte der Ergebnisse beraten, wie sich die Situation verbessern lasse.
Aufschlussreich wäre gewesen, zwischen „deutschen Autofahrern“ und „Autofahrern in Deutschland“ zu unterscheiden. Schließlich ist die Zahl der Zugereisten in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen. Ob beabsichtigt oder nicht: Die Umfrage nimmt darauf keinen Bezug.
Davon unabhängig scheint der Straßenverkehr mehr und mehr zum Spiegelbild unserer Gesellschaft zu werden. Rücksicht ist passé, es lebe der Egoismus. Zur Erhöhung des Aggressionspotenzials dürften aber auch die ewigen und ungezählten Baustellen, ebenso zahllose Staus, schlechte Infrastruktur und nicht zuletzt die Klimakleber beigetragen haben. Immer wieder ein Ärgernis sind auch rein willkürlich Tempolimits ohne jeglichen Anlass auf Autobahnen – allein mit der Absicht, die Kassen der Ordnungsbehörden zu füllen.
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Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
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