Von Daniel Weinmann
Karl Lauterbach hat sich buchstäblich dem Klimawandel verschrieben. „Bevor es zu spät ist. Was uns droht, wenn die Politik nicht mehr mit der Wissenschaft mithält“, lautet sein 283 Textseiten umfassendes Buch, das an diesem Montag erscheint.
Das Cover-Foto zeigt einen fast sympathisch dreinschauenden Karl Lauterbach in augenscheinlich besserer gesundheitlicher Verfassung als heute. Darauf lässt zumindest sein Gesicht schließen, das zum Zeitpunkt der Aufnahme deutlich fülliger war als heute.
„Ich bin selbst in die Wissenschaft und später in die Politik gegangen, um die Welt etwas besser zu machen, konkret unser Gesundheitssystem“, lobt sich der SPD-Politiker gleich auf der zweiten Seite. „So etwas mag aus dem Munde eines Politikers heute kitschig klingen. Aber so war es.“
Auf dutzenden Seiten führt er aus, was – seiner Meinung nach – notwendig ist, um die Klimaziele zu erreichen. Hier finden sich teils wenig originelle Ideen. Zum Beispiel: Mehr mit Holz bauen, der Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen, die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen – und nicht zuletzt: vegane Ernährung.
»Ich bringe Lösungsvorschläge, ich argumentiere positiv«
Was nicht fehlen darf, ist der inhaltliche Bogen von der Corona- zur Klimakrise. „Die Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie waren geringfügig und zeitlich sehr begrenzt im Gegensatz zu dem, was wir in der Klimakrise erwarten müssen“, warnt Lauterbach in gewohnter Manier.
Selbst der „Spiegel“, der bislang fast sämtliche Maßnahmen-Verfechter und Impf-Apologeten hofierte, konfrontiert den Autor in einem dreiseitigen Interview mit dessen Defiziten: „Herausgekommen ist ein Buch voller Warnungen, drohender Krisen und Katastrophen, als da wären: Klimakatastrophe, Biodiversitätskrise, künftige Pandemien, weltweite Wasserknappheit, drohende Kriege, weltweite Fluchtströme. Sie können mit dem Warnen und Mahnen partout nicht aufhören.“
„Ich warne nicht vor diesen Krisen, die sind ja alle da. Ich bringe Lösungsvorschläge, ich argumentiere positiv“, antwortet Lauterbach. Die Klimakrise hält er für schwieriger lösbar als die Pandemie, deren Dauer er erst kürzlich auf 30 bis 40 Jahre veranschlagte (reitschuster.de berichtete):
„Weil wir bei Corona die Möglichkeit der Impfung haben, sonst wäre die Krise wohl nicht so leicht beherrschbar. Beim Klimawandel ist es wie bei einem 30-jährigen übergewichtigen Raucher: Die Bedrohung liegt in der Zukunft. Wenn Sie dem Mann erklären, dass er vieles ändern muss, um nicht in 30 Jahren an Krebs zu erkranken oder einen Schlaganfall zu erleiden wird, passiert in der Regel nichts – bis zum ersten Infarkt.“
Vor diesem Hintergrund müsse es Einschränkungen geben, die „noch viel weitreichender sein werden als die in der Pandemie“. Lauterbachs Lösung: „Wir können uns die auf Fleisch basierende Ernährung nicht mehr leisten. Sie produziert viel zu viel Methan und CO₂, deswegen werden wir darauf verzichten müssen. Wir werden auch auf bestimmte Formen der Mobilität verzichten müssen. Es wird nicht mehr möglich sein, so preiswert zu fliegen wie bisher. Es wird nicht mehr möglich sein, Güter nur kurze Zeit zu verwenden und dann wegzuschmeißen, weil durch deren Produktion zu viel CO₂ freigesetzt wird. Wir müssen weniger produzieren und die Wegwerfgesellschaft hinter uns lassen.“
Billigfleisch kostet ärmere Menschen viele Lebensjahre
„Wir werden deutlich weniger Fleisch essen müssen“, fordert der Gesundheitsminister darüber hinaus, „langfristig könnten wir den Fleischkonsum um 80 Prozent reduzieren“. Er sei ja selbst Vegetarier, vor allem aus Energiegründen. Seinen letzten Burger hat er 1988 gegessen, „im Big A von Arizona, das war ein berühmt-berüchtigter Burger-Brater, wo viele Trucker Halt machten.“
Fleischlos müsse Deutschland nicht werden, um die Klimaziele zu erreichen, entwarnt der Mahner, „aber wir brauchen eine Ernährung, die sehr viel stärker vegan und vegetarisch ausgerichtet ist, weil wir sonst allein durch die Art, wie wir uns ernähren, viel zu viel CO₂ und Methan freisetzen“. Darüber hinaus sei der Fleischkonsum, den wir derzeit hätten, ungesund. Er führe zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zu Krebs und sei auch noch mit Tierquälerei verbunden. „Ich will es so sagen: Welchen Sinn macht Tierquälerei, damit wir uns ungesund ernähren und dabei auch noch das Klima ruinieren?“
Lauterbach wirft zugleich eine soziale Frage auf: Einkommensschwache ernähren sich nach seinem Dafürhalten in einer Art und Weise mit Billigfleisch, die sie viele Lebensjahre kostet. Regelmäßiger Fleischkonsum sei ein wichtiger Risikofaktor für Darmkrebs – und insbesondere bei sozial Schwächeren werde dies meist spät entdeckt. „Die Ärmeren verlieren doch nicht, wenn sie das billige Fleisch durch eine vegane oder vegetarische Kost ersetzen“, glaubt Lauterbach, „im Gegenteil: Sie gewinnen.“
Unfreiwillig komisch mutet sein Statement an, dass auch Umweltschützer „manchmal eine Gefahr fürs Klima“ seien. „Ich will es mal so ausdrücken: Was nützt uns das kurzfristige Überleben des Rotmilans, wenn Mensch und Tier insgesamt gefährdet sind? Da müssen wir beweglicher werden.“ Der mäusebussardgroße Greifvogel solle geschützt werden, „aber nicht zulasten der Energiewende, die wir dringend benötigen“. Falsch verstandener Tierschutz helfe niemandem weiter.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Juergen Nowak/ShutterstockText: dw