Ein Gastbeitrag von Alexander Wallasch
Ein 2019 gegründeter „Bürgerrat Klima“ nimmt die Nahrungsmittelproduktion ins Visier und weist ihr zu, für 1/3 aller Treibhausgasemissionen verantwortlich zu sein und 2/3 der Frischwasser-Ressourcen zu nutzen.
Wer steckt hinter diesem Bürgerrat Klima? Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident a. D. Horst Köhler haben sich 160 per Losverfahren ausgewählte Bürger – ausgelost aus solchen, die generelles Interesse an so einem Rat haben – zusammengetan mit dem Ziel, vom 26.04. bis 23.06.2021 in zwölf Sitzungen Empfehlungen für die Klimapolitik Deutschlands zu erarbeiten.
Wikipedia nennt den Rat eine „zivilgesellschaftliche Initiative. Unterstützt werde er von „zahlreichen Organisationen“ und es ginge zusammengefasst darum, das Pariser Klimaschutzabkommen umzusetzen. Die Ergebnisse der zwölf Sitzungen sollen im Herbst den Parteien und der neuen Regierung vorgelegt werden.
Jetzt muss man dazu wissen, dass hinter diesem Klimarat u.a. die Scientists for Future stecken, gegründet als Solidaritätsadresse für Fridays for Future. Ein Gründungsmantra dieser Gruppe lautet: „Die Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen sind berechtigt.“ Ebenfalls mit im Boot bei der Gründung des Bürgerrates ist ein „BürgerBegehren Klimaschutz“, das als Träger u.a. für die Finanzierung verantwortlich ist. Als Unterstützer tauchen diverse Organisationen auf: von Misereor bis Deutscher Feuerwehr Verband, von Junge Islam Konferenz bis hin zur Deutschen Mathematiker-Vereinigung und dem Bund katholischer Unternehmer.
‘Maßgeblicher öffentlicher Verstärker der Corona-Maßnahmen‘
Lassen wir einmal dahingestellt, ob es sich hier um eine Art Modellversuch einer Räterepublik handelt und kommen direkt zu Karl Lauterbach, der sich per Twitter mit diesem Rat befasst hatte. Der von der SPD als Gesundheitsexperte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen etablierte Lauterbach ist neben Christian Drosten der wohl maßgebliche öffentliche Verstärker der Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Nach einer wilden Fahrt durch die Irrungen und Wirrungen rund um eine Reihe apokalyptischer Weltuntergangsfantasien hat Lauterbach jetzt, scheint’s, immer mehr umgesattelt auf Klima-Experte.
Jedenfalls nutzt der umstrittene Sozialdemokrat via Twitter auch eine Botschaft des Bürgerrates als Startrampe in ein neues Apokalypse-Abenteuer. Der Rat zitierte einen Professor der Universität Oxford, der schrieb: „Die deutschen Ernährungsempfehlungen sind nicht mit den planetaren Grenzen und dem Pariser Klimaabkommen vereinbar. Mit ihnen würde das Emissionsziel um das Hundertfache überstiegen.“
Für den sich als düstere Corona-Trompete verschließenden Lauterbach muss das geklungen haben, als öffne sich da unverhofft am Horizont ein neuer Raum voller Kameras, in dem er es sich sofort bequem machen wollte. Auch was: Ein Saal. Eine Arena. Ein Stadion! Also twitterte Karl Lauterbach:
„Fleisch- und wurstlastige Ernährung in Deutschland ist ungesund und mit Pariser Klimaabkommen unvereinbar. Gleichzeitig erhöht Abholzung des Regenwaldes für Rinderzucht Pandemierisiko. Trotzdem fehlt uns Mut, politisch etwas zu verändern. Umweltmikado: wer sich bewegt, verliert.“
Gelernt aus der Pandemie-Apokalypse
Ein wunderbarer Übergang vom Gesundheitsexperten hin zum Weltenretter – wie gelernt aus der Pandemie-Apokalypse. Und wenn sich sonst keiner bewegen will in der Politik, Lauterbach kündigt hier schon mal an, er würde diese Bürde schon auf sich nehmen.
Fast gleichzeitig übrigens verkündet der sozialdemokratische Bundespräsident Steinmeier eine „Woche der Umwelt“ im Park von Schloss Bellevue. Und bevor wir es vergessen: Beiden Sozialdemokraten vermag es dennoch nicht gelingen, die SPD im Sinkflug der Wählergunst zu stabilisieren. Was wir hier erleben, sind also reinste Ego-Shooter, die beide gemeinsam vor der Bundestagswahl mit dem Thema Umwelt, Urwald und Veggie-Essen dafür sorgen mögen, dass Annalena Baerbocks Absturz abgebremst und also über die Zeit gerettet wird: Die SPD opfert sich dem grünen Zeitgeist.
Dass es 2020 einen Rückgang beispielsweise beim Verzehr von Schweinefleisch von fast einem Kilo pro Person gab und auch insgesamt 750 Gramm Fleisch weniger gegessen wurde, liegt sicher auch an einem veränderten Ernährungsbewusstsein oder noch an ganz anderen Faktoren. Aber in diese Niederungen soll hier gar nicht hinabgestiegen werden. Viel erheblicher ist doch, dass die Erfahrungen der letzten zwölf Monate mit Karl Lauterbach vor allem eines klar gemacht haben sollten: Einen zweiten Durchgang mit diesem Scharfmacher – noch dazu zu einem ganz neuen Thema – darf es nie mehr geben.
Medienfuror made by Lauterbach
Die Furcht der Bürger ist berechtigt, dass die auch maßgeblich von Karl Lauterbach in seinem Medienfuror befeuerten umstrittenen Corona-Einschränkungen samt Lockdowns nach der Bundestagswahl nahtlos übergehen in einen dann nicht mehr enden wollenden Klima-Lockdown. Aber so neu ist das bei Lauterbach dann doch wieder nicht, der Sozialdemokrat hat schon im Dezember seine Brücken gelegt, mit dem Versuch, seine mediale Bedeutung noch über die Pandemie hinwegzuretten, als er gegenüber der Welt zur künftigen Klimapolitik und Klimakrise sagte, zur Bewältigung des Klimawandels seien Maßnahmen nötig, „analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung“.
Eine weitere Erkenntnis hier: Solche Politiker wie Karl Lauterbach sind ihrer Parteien längst überdrüssig geworden. Am liebsten stände er wohl an der Spitze eines einflussreichen Rates, welcher der Politik des Landes die Aufgaben diktiert entlang einer Reihe von internationalen oder europäischen Verträgen. Mit dem Zuwachs dieser Verpflichtungen wächst die Bedeutung dieser von demokratischen Entscheidungen entkoppelten Räte. Und Lauterbach will so unbedingt irgendwie dabei sein, hat es zwingend den Anschein.
Ach so, die Universität Hamburg, namentlich Frau Prof. Katharina Kleinen-von Königslöw, meint schon mal vorausschauend und damit Lauterbach nicht so allein ist: „Wir brauchen auch für den Klimawandel einen wie Christian Drosten, dem die Menschen vertrauen und der die Sachen einfach so gut erklären kann, dass die Leute bereit sind, auch größere Einschnitte in ihrem Leben in Kauf zu nehmen.“ Und weiter: „Die menschliche Gesundheit und die Gesundheit des Planeten sind untrennbar miteinander verbunden.“
Fehlen also noch zwingend der zweite und sogar der dritte Reiter der Apokalypse: Christian Drosten und Lothar Wieler. Ersterer forderte schon Anfang 2020 im Stern: „Wir sind an einem Punkt, an dem die globale Gesellschaft nachdenken muss, ob viele Dinge, die passieren, richtig sind. Ich glaube, dass das in der Größenordnung der Klimamathematik steht.“
Wielers Appell zum Klimawandel
Prof. Wieler will da nicht nachstehen und sattelte noch was drauf auf dem 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V., der bereits überschrieben war mit dem Hinweis: „Klimawandel und Gesundheit“. Moderiert vom Fernsehdoktor Eckart von Hirschhausen zog Wieler zunächst eine Parallele von der COVID-19-Pandemie zum Klimawandel. Erstaunlich sei bei Klima-Problemen wie der Pandemie, „mit welcher Borniertheit immer wieder in andere Länder geschaut“ werde, und dass immer noch gedacht werde, „dass das alles bei uns ganz anders sei“. Wielers Appell zum Klimawandel gipfelte in der Forderung: „Wir müssen handeln und Verantwortung übernehmen – global.“
Was für eine herzige Truppe von Weltenrettern, die so schweres Geschütz auffahren, um die Verlustängste um ihre in der Pandemie so aufgepustete Bedeutung zu kompensieren. Und Karl Lauterbach muss sich jetzt beeilen, bevor sich die Tore zur Partizipation an der Klima-Apokalypse für ihn schließen.
Dieser Artikel ist zuerst auf Alexander Wallaschs Blog alexander-wallasch.de erschienen.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig für Szene-Magazine Kolumnen. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Juergen Nowak/ShutterstockText: Gast