Von Daniel Weinmann
An diesem Freitag inszenierte sich Karl Lauterbach in Berlin als Heilsbringer der notleidenden Kinderkliniken. Dabei machte er sich sogar den Regen zunutze, der sich in den vergangenen Monaten in der Hauptstadt eher rar machte. „Eine Petition übergeben von Prof. Jürgensen, Chef der Olga, größte Kinderklinik in Deutschland, Stuttgart“, twitterte der Bundesgesundheitsminister. „Meine Zusage: Wir lassen die Kinderkliniken nicht im Regen stehen.“
Mehr als 67.000 Mal wurde die Petition „Versorgung kranker Kinder sichern – politische Versprechen halten – Kinderheilkunde stärken“ unterschrieben. Sie wurde zum Ende vergangenen Jahres vom Vorsitzenden des Stuttgarter Förderkreises krebskranke Kinder e.V., Stefan Nägele, ins Leben gerufen und fordert eine Abkehr von der jahrelangen Unterfinanzierung der Kinderheilkunde.
Der SPD-Politiker, der nun die Kinderkliniken nicht im Regen stehen lassen will, sorgte jedoch selbst – um im Bild zu bleiben – für eine Sturmflut. Sein Wirken hinterlässt bis heute tiefe Risse im Gesundheitssystem. Eines von vielen Beispielen: „Derzeit sind immer noch 73 Prozent psychisch belastet“, mussten sogar die Bundesministerien für Familie und Gesundheit unter Berufung auf den Bericht einer interministeriellen Arbeitsgruppe im Februar eingestehen.
Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?
Das Gesundheitswesen müsse seinen Beitrag leisten, „um junge Menschen bei der Bewältigung der psychischen und psychosozialen Belastungen der Pandemie zu unterstützen“, machte sich der Bundesgesundheitsminister schon im Februar selbst vom Bock zum Gärtner – und beeilte sich zu geloben: „Wir stellen die Finanzierung der Krankenhausbehandlung für Kinder auf neue Füße und sorgen für eine bessere Vergütung von Kinderarzneimitteln.“
Die Krise in der Kindermedizin spitzt sich immer mehr zu, dem System droht der Zusammenbruch. Dabei hieß es großspurig im Koalitionsvertrag: „Kurzfristig sorgen wir für eine bedarfsgerechte, auskömmliche Finanzierung für Pädiatrie.“ Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, mag sich der für dieses hehre Ziel mitverantwortliche Gesundheitsminister seither gedacht haben.
Seit seinem Amtsantritt konnte der drastische Rückgang der Kinderbetten aber nicht gestoppt werden: Innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte ging die Zahl der Klinikbetten um 40 Prozent zurück. Im gleichen Zeitraum schrumpfte die Zahl der pädiatrischen Abteilungen um rund 100 auf 234.
»Die Versorgung der Kinder ist doch schon komplett am Boden«
Vor diesem Hintergrund verwundert kaum, dass das System nicht einmal der gewöhnlichen Infektionswelle im vergangenen Winter gewachsen war. In einem Drittel der Kinder-Rettungsstellen nahm die Auslastung um 40 bis 60 Prozent zu. Einige der kleinen Patienten mussten deshalb verlegt werden. Auch abseits der Behandlung von Ansteckungskrankheiten knarzt es gewaltig im System: Am Stuttgarter Universitätsklinikum etwa sind Operationstermine in der Kinder-Orthopädie bis Dezember ausgebucht, berichtet die „Berliner Zeitung“.
„Die Versorgung der Kinder ist doch schon komplett am Boden“, brachte ein Twitter-Nutzer Lauterbachs bigotten Tweet auf den Punkt – und lieferte ein aktuelles Beispiel eines Psychologen mit: „Kind mit Angststörung, kann Haus vor Angst nicht mehr verlassen. Wartezeit auf Psychotherapie sechs bis neun Monate, aber wird als minderschwerer Fall gesehen, da er ja eh Haus nicht verlässt.“
Am kommenden Donnerstag will der Bundesgesundheitsminister die Eckpunkte seiner Klinikreform publik machen. Zwar hat er die Pläne in der ihm eigenen selbstherrlichen Manier längst als „tiefgreifend“ angekündigt. Doch erste Abstriche gab es bereits nach ersten Gesprächen mit seinen Ressortkollegen aus den Bundesländern. Am Ende dürfte es mit Blick auf die so essentielle Klinikreform wohl nur heißen: Der Berg kreißte – und gebar eine Maus. Lauterbach wird es verschmerzen: Kinder dürfen schließlich nicht wählen.
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