2015 wurde die Bundesregierung von dem Ansturm von Flüchtlingen kalt erwischt – obwohl er sich lange abgezeichnet hatte. Auf der Bundespressekonferenz heute machte die Regierung nicht den Eindruck, dass sie aus diesen Fehlern gelernt hat. Im Gegenteil: Es scheint, als tappe sie angesichts der dramatischen Entwicklung in Afghanistan erneut im Dunklen, was mögliche Flüchtlingsströme angeht.
„Ist die Bundesregierung darauf eingestellt, im größeren Maße Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen? Mit welcher Größenordnung rechnen Sie?“ – Auf diese Frage antwortete Seehofers Sprecherin Vick: „Die Lage ist ja, wie die Kollegen schon geschildert haben, schwierig, und wir müssen sicherlich davon ausgehen, dass sich die Menschen in Bewegung setzen und dass die Lage vor Ort zu Migrationsbewegungen führen wird.“
Auf die Nachfrage, ob sie etwas zur Größenordnung sagen könne, antwortete Vick: „Ich kann keine genauen Zahlen nennen, nein.“
Ich hakte nach: Hier der Wortwechsel im Wortprotokoll (ansehen können Sie sich mein Video mit den wichtigsten Szenen aus der heutigen Bundespressekonferenz hier oder alternativ die gesamte Bundespressekonferenz hier):
REITSCHUSTER: Frau Vick, die Bundesregierung hat ja die Flüchtlingskrise 2015 recht unvorbereitet getroffen. Herr Kollege Heller hat gerade gefragt, welche Flüchtlinge in welcher Größenordnung Sie erwarten. Sie haben „Wir erwarten welche“ gesagt, ohne eine Größenordnung zu nennen. Ist man da wieder ähnlich vorbereitet? Man muss doch eine Vorstellung davon haben. Was machen Sie jetzt schon konkret, um vorbereitet zu sein? Werden Unterkünfte vorbereitet? Was geschieht im Moment?
VICK: Wie ich gerade gesagt habe, ist davon auszugehen, dass Migrationsbewegungen auftreten werden. Der Minister hat sich ja in einem Interview gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“ auch schon dazu geäußert und gesagt, dass natürlich vor allem die Nachbarländer betroffen sein werden. Aber mit Blick auf die Migrationsthematik wird es am Mittwoch eine EU-Innenministerkonferenz geben, bei der das Thema auch besprochen werden wird.
BURGER (Außenministerium): Ich kann vielleicht noch ergänzen, dass eine sehr, sehr große Zahl afghanischer Flüchtlinge ja schon seit vielen Jahren in den Nachbarländern Iran und Pakistan lebt. Das waren meines Wissens stellenweise die größten Flüchtlingsgruppen, die es überhaupt irgendwo auf der Welt gab. Deutschland gehört schon seit vielen Jahren zu den größten Gebern im Rahmen der humanitären Hilfe und auch der Stabilisierungsarbeit, um diesen Ländern dabei zu helfen, die Versorgung und Unterstützung dieser Flüchtlinge dort zu gewährleisten. Wir stehen dazu natürlich auch angesichts der jüngsten Lageentwicklung in engem Kontakt mit den internationalen Hilfsorganisationen, mit den Vereinten Nationen und anderen, um diese Hilfe schnell substanziell auszubauen und um es dort zu ermöglichen, die humanitären Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, die sie haben.
ZUSATZFRAGE REITSCHUSTER: Aber, mit Verlaub, Sie weichen aus: Es war die Frage nach den Zahlen. Können Sie zumindest eine Größenordnung nennen? Geht es um Tausende, Zehntausende, Hunderttausende oder mehr? Mit wie vielen rechnen Sie denn, mit welcher Größenordnung? Und was passiert konkret, außer dass man eine Konferenz oder ein Treffen am Mittwoch macht? Geschieht schon irgendetwas?
BURGER: Ich habe Ihnen ja gerade gesagt, was passiert.
ZURUF REITSCHUSTER: Hier in Deutschland?
BURGER: Ja, wir hier in Deutschland sprechen mit denjenigen vor Ort, die es zunächst unmittelbar betreffen wird, nämlich die Nachbarländer, in denen diese Flüchtlinge ankommen. Wir werden besprechen, wie wir sie dabei unterstützen können.
ZURUF REITSCHUSTER: Und die Zahl? Die Größenordnung?
BURGER: Da kann ich Ihnen gern etwas nachreichen. Da gibt es Schätzungen der Vereinten Nationen von unseren Partnern. Ich glaube, in so einer extrem dynamischen Lageentwicklung, wie wir sie in den letzten zehn Tagen erlebt haben, werden auch Sie, Herr Reitschuster, Verständnis dafür haben, dass solche Schätzungen mit gewissen Unsicherheiten verbunden sind. Trotzdem gibt es natürlich Arbeitshypothesen als Grundlage für die humanitäre Arbeit.
Für mich klingt das nicht so, als ob die Bundesregierung ihre Lektion aus der Krise 2015 gelernt hat. Aber wie immer überlasse ich die Wertung Ihnen.
Sehen Sie hier mein Video von der Bundespressekonferenz – oder hier die gesamte Veranstaltung in voller Länge.
Text: red