Telefonat mit Ahmad in Kabul „Wenn es geht, dass ich noch mitfliegen kann“, sagt Ahmad leise

Von Alexander Wallasch

Was passiert aktuell in Kabul? Über meine Recherche via Twitter schaffe ich es bis hin zu einem Kontakt in eine Wohnung nahe des Kabuler Flughafens. Ahmad S. hatte einen Kommentar geschrieben unter einen Tweet der Deutschen Botschaft in Kabul, ich habe ihm eine Nachricht geschickt und um Kontakt gebeten, er sandte mir seine Telefonnummer per Twitter.

Ahmad erzählt, dass seine Mutter sehr krank sei, deshalb sei er vor zwei Wochen nach Kabul geflogen, um sie noch einmal zu sehen. Über einen Familiennachzug war es in den Jahren zuvor nicht gelungen zusammenzukommen, die Asyl-Anträge wurden einfach nicht bewilligt. Sein Rückflug nach Deutschland war eigentlich für den 4. September geplant.

Ahmad spricht gut Deutsch. 2015 kam er mit 16 Jahren nach Deutschland, weil er etwas lernen wollte, wie er sagt. Heute ist er im dritten Lehrjahr als Zahntechniker in Regensburg. Die Ausbildung macht ihm viel Spaß. Er wäre nur für 20 Tage nach Kabul geflogen, sagt er: „Meine Mutter habe ich sechs Jahre lang nicht mehr gesehen“.

Ahmad klingt gefasst, denkt analytisch und überlegt, was er noch für Möglichkeiten hat, aus Kabul herauszukommen. Im Hintergrund hört man spielende Kinder im Haus. Auf Nachfrage erzählt Ahmad, das seien seine Nichten und Neffen.

Er sieht keine Soldaten mehr in Kabul, nur noch die Taliban, die zur Zeit unterwegs sind, die Straßen sind sonst alle leer. „Ich bin gar nicht mehr rausgegangen – obwohl, zur Zeit tun die Taliban nichts. Aber man weiß nicht, was die in den nächsten zwei Tagen machen. Zur Zeit wollen die nichts machen“, erzählt Ahmad von einer Art Stillhaltezusage der Taliban. Er erzählt, er sei 2015 nicht vor den Taliban nach Deutschland geflüchtet, er sei gekommen, um etwas zu lernen.

„Alles ist ganz schnell gegangen gestern. Ich hoffe, ich schaffe es noch zurück nach Deutschland.“

Was ich für ihn von hier aus tun könnte, frage ich ziemlich ratlos über fast 7.000 Kilometer hinweg. „Wenn es geht, dass ich noch mitfliegen kann“, sagt Ahmad, „ich habe Aufenthaltstitel. Gut wäre, wenn es geht, wenn ich mit deutschen Soldaten oder Mitarbeiter von Botschaft mitfliegen kann. Aber ich weiß nicht, wie die Situation bei denen ist.“

„Was passiert gerade draußen während wir telefonieren?“ will ich wissen. „Die Schießereien sind weniger geworden“, antwortet er, die Telefonverbindung ist erstaunlich gut. „Ich habe selber gesehen, die hängen sich an die Flugzeuge. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie zwei Leute von einem startenden Flugzeug runtergefallen sind, die sich da irgendwo festgehalten hatten.“

Nach knapp zehn Minuten beenden wir das Gespräch. Ich hatte zugesagt, Ahmads Geschichte zu erzählen und weiterzugeben, an jemanden, der vielleicht eine Idee hat, wie man helfen kann. Aber ich bleibe ratlos zurück.

Jürgen Trittin (MdB/Grüne) fällt mir spontan ein, der hatte gestern den deutschen Außenminister Heiko Maas (SPD) schärfstens kritisiert für sein völliges Versagen bei der Evakuierung der Kräfte aus Kabul. Ich erreiche seine Büroleiterin, die sich die Geschichte von Ahmad geduldig anhört.

Ich frage das Büro Trittin, ob sie sich nicht der Sache annehmen könnten. Ich erfahre, dass ich nicht der Erste bin, der heute mit so einem Anliegen anruft. Und es wären zudem noch weitere Emails mit ähnlichen Bitten um Hilfe eingegangen. Das Gespräch ist freundlich. Aber im Büro Trittin ist es ähnlich wie in der Redaktion Reitschuster.de: eine lähmende Hilflosigkeit. Mir hallt zudem noch diese auf verstörende Weise nüchtern berichtende Stimme von Ahmad im Ohr nach.

Herr Trittin könne jetzt nur appellieren und Druck machen, sagt sein Büro. „Und das macht er natürlich.“ Aber er könne keinen Flieger bestimmen und sagen, dieser oder jener könne jetzt hier oder dort abgeholt werden. Diese Möglichkeiten beständen nicht, in dieser Rolle sei man einfach nicht. Es gäbe nur den politischen Rahmen. Man wäre nicht einmal in der Lage, zu sagen: „Wir kümmern uns.“ Kümmern wäre schon zu viel versprochen, sagt die Dame im Büro Trittin mit hörbar großem Bedauern in der Stimme.

Ich wende mich noch an die GIZ, die früher recht gut und mit hoher Personaldecke in Afghanistan aufgestellt war. Ich werde gebeten, meine Fragen schriftlich zu stellen.

Und um wirklich nichts unversucht zu lassen, telefoniere ich noch mit der blauen Ecke des Bundestages. Der Abgeordnete, den ich erreiche, versteht die emotionale Aufregung zwar, aber er versteht nicht, warum 300.000 gut ausgebildete Afghanen diese paar Taliban nicht selbst vertrieben haben. Und er erwähnt noch, dass er sicher ist, dass, wenn die Menschen in einigen Ostblockländern „damals“ diese Möglichkeiten gehabt hätten, hätten sie sich sehr schnell befreit.

Ahmad wartet jetzt in einer Wohnung in der Nähe des Flughafens von Kabul auf ein Wunder. Sein Rückflugticket ist gebucht für den 4. September.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: PedramRostamian_shr/Shutterstock
Text: wal
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