Von Daniel Weinmann
Geht es darum, Panik zu schüren, kennt die Phantasie des Gesundheitsministers keine Grenzen – auch nicht nach seinem unwürdigen Kommunikationsdesaster der vergangenen Wochen. Just zu einem Zeitpunkt, da seine gebetsmühlenartigen Warnungen vor dem Coronavirus angesichts deutlich sinkender Inzidenzen ins Leere laufen, zieht Karl Lauterbach ein neues Kabinettsstückchen aus dem Hut: die Verbindung von Klimawandel und Pandemie.
Schon in seinem kürzlich erschienenen Buch „Bevor es zu spät ist“ beschäftigt sich der SPD-Politiker mit dem Klimawandel und erklärt, was getan werden muss, um die „Klimakatastrophe“ doch noch aufzuhalten. „Jeder Einzelne muss sein Leben umstellen“, lautet seine zentrale Botschaft.
Nun ist er in der englischsprachigen Fachzeitschrift „Nature“ auf eine unbearbeitete Studie gestoßen, mit der er zwei seiner beliebtesten Horrorszenarien verknüpfen kann. Sie wurde unter dem Titel „Climate change increases cross-species viral transmission risk“ am 28. April veröffentlicht.
«Neuartige artenübergreifende Übertragung von Viren«
„Diese wichtige Studie aus den US zeigt, dass das Risiko des Übertritts von Viren von Tier zu Mensch durch den Klimawandel rasant ansteigt“, twitterte Lauterbach, „das Potential zukünftiger Pandemien steigt sehr stark an.“ Sein Fazit: „Ein besserer Schutz vor Pandemien ist dringend notwendig.“
Die Autoren der Studie verwenden ein statistisches Modell, das auf der Verknüpfung von Klimadaten mit aktuellen Artenausdehnungsdaten und Projektionen auf zukünftige Szenarien basiert. Die Modellierung besagt in erster Linie, dass Viren im Zuge des Klimawandels häufiger zwischen unterschiedlichen Arten von Wildtieren übertragen werden könnten. „In einigen Fällen könnte dies die zoonotische Ausbreitung erleichtern“, schreiben die Wissenschaftler in Anspielung auf die Übertragung der Viren auf den Menschen.
„Wir sagen voraus, dass sich die Arten in neuen Kombinationen in hohen Lagen, in Hotspots der biologischen Vielfalt und in Gebieten mit hoher menschlicher Bevölkerungsdichte in Asien und Afrika ansammeln werden, was die neuartige artenübergreifende Übertragung ihrer Viren schätzungsweise 4.000mal vorantreiben wird“, prophezeien die Autoren – ohne näher zu spezifizieren, worauf ihre Projektion basiert.
„Aufgrund ihrer einzigartigen Ausbreitungskapazität sind Fledermäuse für den Großteil der neuartigen Virusübertragung verantwortlich und werden wahrscheinlich Viren entlang evolutionärer Pfade weitergeben, die das künftige Auftreten beim Menschen erleichtern werden.“
«Wer will, wer kann das alles noch ernst nehmen?«
„Überraschenderweise“ stellen die neun Forscher fest, „dass dieser ökologische Wandel bereits im Gange ist und dass eine Erwärmung von weniger als zwei Grad Celsius innerhalb dieses Jahrhunderts den zukünftigen Virusaustausch nicht einschränken wird. Unsere Ergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit, Bemühungen zur Überwachung und Entdeckung von Viren mit Erhebungen zur biologischen Vielfalt zu verbinden, um die Verschiebung des Verbreitungsgebiets von Arten zu verfolgen – insbesondere in tropischen Regionen, die die meisten Zoonosen beherbergen und eine rasche Erwärmung erleben.“
Das bunte Kaleidoskop aus Menschen, Tieren, Klima, Pandemien ist Wasser auf die Mühlen des Gesundheitsministers. Schließlich lassen sich damit die Angst und Panik weiterhin auf hohem Level halten.
„Schätzungsweise“, „wahrscheinlich“ und Projektionen zukünftiger potenzieller Szenarien sind indes wenig überzeugend. Fast möchte man wissen, wer die Untersuchung finanziert hat. Zudem ist die Rede von Gebieten mit hoher menschlicher Bevölkerungsdichte in Afrika und Asien – was kaum einen Europäer in Schockstarre versetzen dürfte.
Optimisten glauben, dass der Stern von Karl Lauterbach verglüht, dessen Wirken viel zu lange Zeit idealisiert wurde. Wer es gut mit ihm meint, wird seinen Popularitätsverlust als das absehbare Ende einer Masseneuphorie bagatellisieren. „Wer will, wer kann das alles noch ernst nehmen?“, fragt selbst die „FAZ“ in einem mit „Lauterbach hat es vermasselt“ betitelten Beitrag. Ein Twitter-Nutzer bringt es so auf den Punkt: „Ich hoffe wirklich inständig, dass es die letzte Runde ist, aber ich habe da so meine Bedenken…“
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Juergen Nowak/ShutterstockText: dw