Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Er kann es nicht lassen. Seit dem Ende der sonderbaren PCR-Pandemie und der damit verbundenen Schreckensmeldungen und unablässigen Falschbehauptungen unseres freundlichen Bundesgesundheitsministers Karl Lyssenko Lauterbach scheint es ihm ein wenig langweilig geworden zu sein. Erinnert man sich noch an seine pausenlosen Warnungen vor dem Hitzetod im letzten Sommer? Das ist schon wieder zu lange her, und deshalb braucht er eine neue Spielwiese, auf der er durch Unwissenheit glänzen kann.
Diesmal ist es die Zahl der Pflegebedürftigen. Im Jahr 2023, so übermittelt uns die „Welt“ seine Äußerungen, habe man einen explosionsartigen Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen beobachten müssen. „Demografisch bedingt wäre 2023 nur mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen zu rechnen gewesen. Doch tatsächlich beträgt das Plus über 360.000. … Woran das liegt, verstehen wir noch nicht genau.“ Dass er das nicht so genau weiß, wundert mich nicht, seine Neigung zur Unkenntnis hat er schon hinreichend oft unter Beweis gestellt. Doch zum Glück hat die „Welt“ die korrekten Zahlen der Pflegebedürftigen zur Verfügung gestellt und bereits verdeutlicht, dass Lauterbach hier etwas völlig falsch verstanden hat. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Entwicklung der Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland, den man der „Welt“ entnehmen kann.
Im Jahr 2017 wurde die Definition der Pflegebedürftigkeit verändert und erweitert, weshalb es sinnvoll ist, nur die Werte ab 2017 miteinander zu vergleichen.
Es sind die gleichen Zahlen, nur diesmal in Tabellenform. Wie ich es schon in anderen Zusammenhängen gezeigt habe, kann man nun nachsehen, ob es einen Trend gibt, nach dem sich die gegebenen Werte richten, indem man eine sogenannte Trendgerade und das Maß ihrer Qualität bestimmt. Zeichnet man die Werte sowie die Gerade in ein Koordinatensystem ein, so ergibt sich das folgende Bild:
Dass die Anzahlen auch hier wieder in Millionen Personen gerechnet werden, versteht sich von selbst. Es fällt auf, dass alle Punkte fast passgenau auf einer Geraden liegen, eben der Trendgeraden, und das kann man auch in eine Zahl fassen: Der sogenannte Korrelationskoeffizient beträgt beachtliche 0,9989, wobei man wissen sollte, dass bei einem Wert von 1 die Punkte sich einvernehmlich auf einer Geraden versammeln. Viel genauer kann man also die Gerade nicht erreichen, und es wirkt seltsam, dass eine Reihe von Daten, die sich alle schön auf eine Gerade einfügen, in ihrem letzten Punkt einen gewaltigen Ausreißer nach oben enthalten soll.
Das ist aber noch nicht ganz korrekt, denn den letzten Punkt, die Zahl von 2023 hatte ich ja bei der Berechnung der Trendgeraden mit einbezogen. Besser wäre es, nur die Daten von 2017 bis 2022 zu Rate zu ziehen und dann zu sehen, ob sich der Trend dieser Jahre 2023 fortsetzt. Das lässt sich machen.
Viel hat sich nicht geändert, es ist eben ein Punkt weniger, und der Korrelationskoeffizient beträgt nun 0,9982. Noch immer liegen die Punkte also fast genau auf einer Geraden, und was das Beste ist: Der Wert für das Jahr 2023, der hier bei der Berechnung überhaupt nicht verwendet wurde, passt ausgezeichnet ins Bild. Die Trendgerade hat nämlich eine Gleichung, die ich hier aus Gründen der Menschenfreundlichkeit nicht aufschreibe, und setzt man in diese Gleichung das Jahr 2023 ein, so ergibt sich ein erwarteter Wert von 5,23 Millionen, genauer gesagt sind es 5,231333. In der Realität waren es 5,24. Der Trend der vorherigen Jahre wird daher einwandfrei fortgesetzt, die Abweichung von knapp 8.700 Fällen entspricht gerade einmal 0,17%. Um nur etwa 0,17% weicht die gezählte Realität von der Fortsetzung des Trends der letzten Jahre ab.
Hier ist also rein gar nichts Neues geschehen, der Trend, den man aus den vorherigen Jahren bestimmen kann, weicht so gut wie gar nicht von der aktuellen Realität ab. Wie man hört, handelt es sich bei dem Wert von 50.000 Zuwächsen „um eine „interne Berechnung“ des Ministeriums“, bei der man anscheinend nur die Pflegebedürftigkeit aus Altersgründen berücksichtigt hat. Das ist aber nicht alles, man kann in verschiedenen Altersstufen aus verschiedenen Gründen pflegebedürftig werden, und auch das ist keine neue Entwicklung, denn in den vorherigen Jahren hatte man auch Wachstumsraten, die weit über 50.000 oder auch 60.000 lagen. Man müsste nur einmal auf die vorhandenen Zahlen schauen und nicht gleich unfundierte Behauptungen in die Welt setzen, wie es Lauterbach so gerne tut.
Über seine Gründe kann man nur spekulieren. Vielleicht hat er wieder einmal die Sachlage einfach nicht verstanden, wir sind es gewöhnt. Vielleicht hat er eine Möglichkeit gesucht, um seine Untätigkeit und sein Versagen im Hinblick auf die Pflegesituation zu verschleiern. Vielleicht wollte er dramatische Zahlen präsentieren, um Beitragserhöhungen durchdrücken zu können, weil es immer bequemer ist, das Geld anderer Leute zu stehlen als ein Problem wirklich anzugehen. Vielleicht will er in den nächsten Tagen die Erkenntnis aus dem Hut zaubern, dass die explosionsartig – aber in Wahrheit völlig trendgemäß – angestiegene Zahl der Pflegebedürftigen aus Long Covid und dem Klimawandel resultiert, nur dass ihm das jetzt außerhalb seiner rotgrünen Entourage wohl niemand mehr glauben wird.
Denn besorgniserregend ist die Situation, wenn auch alles andere als überraschend. Niemand kann wissen, ob sich dieser Trend fortsetzt. Aber derzeit ist er vorhanden, und ein Gesundheitsminister, der sein Handwerk versteht, hätte ihn schon lange gesehen und versucht, das daraus folgende Pflegeproblem zu lösen. Lauterbach tut nichts dergleichen, das Lösen von Problemen liegt ihm wohl nicht. Statt dessen verkündet er, „die von ihm geplante Finanzreform der Pflegeversicherung in seiner aktuellen Amtszeit voraussichtlich nicht mehr umzusetzen“. Das wäre ja auch echte Arbeit, die man nicht in Talkshows verrichten kann, das darf man ihm nicht zumuten.
Nicht mehr in seiner aktuellen Amtszeit – das bedeutet hoffentlich, überhaupt nie mehr, denn eine zweite Amtszeit dieses Ministers würde das Gesundheitssystem endgültig ruinieren.
Das Dumme ist nur: Wer auch immer danach auf dem Ministersessel Platz nimmt, wird vielleicht ein besseres Deutsch sprechen, aber höhere Kompetenz ist bei diesem Personal nicht zu erwarten.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
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