Politik wird in Moskau in der Banja gemacht, heißt es oft. Und zumindest teilweise ist das richtig. Und darum kommentiere ich die neuesten Nachrichten aus Weißrussland heute quasi direkt aus der russischen Banja. Dort lernt man schnell Leute kennen und kommt ins Gespräch. Mein neuer Banja-Freund heißt Wladimir, zumindest will ich ihn hier aus Gründen der Diskretion so nennen. Und wie es sich gehört in der Banja – in diesem Fall allerdings, genauer gesagt, einer ordinären Sauna finnischen Typs – spricht man dort auch über Politik. „Lukaschenko hat völlig Recht“ – so kommentierte Wladimir, dass der Diktator aus Minsk mit militärischer Gewalt ein Flugzeug von Ryanair auf dem Weg nach Litauen zum Landen in seiner Hauptstadt gezwungen hat, weil darin ein oppositioneller Blogger saß. Mit dem durchschaubaren Trick einer angeblichen Bombenwarnung und der Macht seiner Kampfflugzeuge hat der Präsident ein ziviles Passagierflugzeug mit 171 Passagieren an Bord zur Notlandung genötigt. Dem Blogger Roman Protasewitsch, der an Bord saß, droht nun sogar die Todesstrafe, zumindest warnt davor die Opposition.
Wladimirs Einschätzung, dass Lukaschenko Recht habe, drohte unserer zart gedeihenden Banja-Freundschaft ein jähes Ende zu bereiten. Doch offenbar habe ich nach 15 Monaten Russland-Entzug den ortsüblichen Galgenhumor unterschätzt: „Recht hat er, weil er Faustrecht einfach durchsetzt, und Ihr Europäer das mit Euch machen lasst. Der weiß, dass man ihm alles durchgehen lässt, dabei ist das Staatsterrorismus.“ Meine Miene hellte sich auf, der Banja-Freundschaft stand nun nichts mehr im Wege. „Wenn man dem früher schon mal, als er Oppositionelle umbringen ließ oder im Gefängnis foltern, klar die Grenzen aufgezeigt hätte, würde er sich so was nicht trauen. Aber mit dem Westen kann man es ja machen. Außer einem ‘aj-aj-aj‘ wird ja doch wieder nichts passieren. Zum Fremdschämen“, meinte Wladimir. Wobei der Hitze und meiner langen Sauna-Abstinenz geschuldet ist, dass ich ihn sicher nicht wörtlich, aber nur sinngemäß wiedergeben kann: „Ihr setzt keine Spielregeln durch. Man kann auch nicht hier aus der Sauna raus und Frauen an den Hintern grabschen. Jeder weiß, da wird er bestraft. Sonst würden das sicher einige machen. Und Lukaschenko ist so einer – er weiß, ihm passiert nichts, drum macht er so was.“
Ein Spruch von Wladimir zu Lukaschenkos Aktion hat sich mir ganz besonders eingeprägt. Auch wenn er unanständig ist, halte ich ihn für so plastisch, das ich ihn Ihnen nicht vorenthalten will: „Man sollte nicht anderen Leuten den Schwanz zeigen, wenn man kein einziges Paar saubere Unterhosen hat.“ Damit spielte Wladimir darauf an, dass Weißrussland wirtschaftlich sehr schwach ist und vor allem von russischer Unterstützung lebt. Den gleichen Spruch münzte Wladimir dann aber auch auf die russische Außenpolitik. An der ließ er ebenso wenig ein gutes Wort wie an der aktuellen Innenpolitik. Er schäme sich im Ausland dafür, wie viele Menschen in Russland, einem so reichen Land, in Armut leben, so Wladimir. Der auch gleich die Schuldigen benannte. Die Korruption und die Regierung mit Putin an der Spitze, die für diese Korruption steht, wie er sagt.
Ich erzähle das hier auch, weil ja im Westen immer noch viele glauben, in Russland seien die Menschen so eingeschüchtert, dass sie sich nicht trauten, die Regierung zu kritisieren. Wladimir bestätigt mir, dass dies nicht so ist: „In den großen Städten gilt es als peinlich, Putin nicht zu kritisieren. In der Provinz ist es eher umgekehrt.“ Tatsächlich nimmt selbst Ausländern gegenüber die Mehrheit der Russen in den großen Städten kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Politik geht. Die Meinungsfreiheit im Kleinen ist sehr groß, politische Korrektheit fehlt. Andererseits muss man um sein Leben und seine Freiheit fürchten, wenn man den Mächtigen im Kreml wirklich gefährlich wird. Selbst für Teilnahmen an Anti-Regierungs-Demonstrationen drohen Arreststrafen, oft von mehreren Wochen. Wer besonderes Pech hat, kann auch jahrelang in den Knast kommen. Aber zu Russland später mehr. Heute Abend habe ich noch einen Livestream gemacht aus der Hauptstadt, mit frischen Eindrücken (anzusehen hier).
Zurück zu Lukaschenko. Der hat mit seiner Aktion das Leben der Passagiere und der Besatzung aufs Spiel gesetzt. Er hat damit gezeigt, dass er bei der Bekämpfung von Andersdenkenden vor nichts zurückschreckt. Und dass die Politik der EU ihm gegenüber gescheitert ist – denn man liebäugelte ja immer wieder mit Dialog. Und die aktuellen Sanktionen scheinen Lukaschenko nicht zu beeindrucken. Die große Frage ist nun, ob die EU noch das Rückgrat und die Kraft hat, entschieden zu reagieren. Ich zweifele daran.
Der Vorfall zeigt aber noch eines: Ich kritisiere oft und viel die demokratischen Mängel in Deutschland, das Verbot von Demonstrationen und den brutalen Umgang der Polizei mit Demonstranten. So wichtig und richtig diese Kritik in meinen Augen ist – man sollte sich hüten, die Zustände etwa mit denen in Weißrussland zu vergleichen. Aber umgekehrt wird genauso ein Schuh draus: Nur, weil in Weißrussland solche Zustände herrschen, darf man über Probleme mit der Demokratie bei uns nicht schweigen. Mehr noch: Wehret den Anfängen!
Bild: Siarhei Liudkevich/Shutterstock
Text: br
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