Eine der wichtigsten Grundlagen der Demokratie ist die Ebenbürtigkeit. Dass keine Gräben bestehen zwischen Regierenden und Regierten. Dazu gehört, dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Umso erschrockener war ich, als ich dieser Tage sah, dass in der Bundespressekonferenz die Regierenden wie eh und je frei sitzen und sprechen können, ohne Mund- und Nasenbedeckungen. Und dass dagegen diejenigen, die sie kontrollieren sollen, die vierte Macht, die Journalisten, selbst beim Reden noch die Masken anhaben. Da ich beim Besuch von Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn in der Bundespressekonferenz (BPK) verhindert war und nur via Internet zusehen konnte, dachte, ich, dass die Kolleginnen und Kollegen wohl freiwillig die Mund- und Nasenbedeckung anziehen.
Aber mitnichten! Meine Verwunderung war groß, als ich heute in die BPK kam und da ein Schild sah, dass alle anwies, auch am Platz die Maske nicht abzulegen. Alle? Nicht alle. Manche sind gleich und andere gleicher. Regierungssprecher Seibert und die Sprecherriege auf dem Podium sind offenbar weniger ansteckend als der gewöhnliche Journalist. Sie sitzen die ganze Zeit „oben ohne“ da. Auch wenn sie nicht sprechen. Die Journalisten dagegen dürfen nur durch die Maske reden. Trotz Mindestabständen. Und ganz offensichtlich scheint dieses Ungleichgewicht niemanden zu stören. Wenn die Ministeriumssprecher ihren Sitzplatz tauschen und zurück in die Zuschauerränge wechseln, setzen sie dort eine Maske auf. Aber Seibert und die Vertreter der wichtigsten Ministerien wechseln gar nicht. So entsteht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, eine ungute Symbolik. Vor laufenden Kameras durch die Maske zu sprechen, ist zudem ein zusätzliches Stress-Moment – man hat seine Artikulation schlechter im Griff als „oben ohne“. Wenn die Maske wirklich gar kein Problem wäre – warum setzen sie dann Seibert und die Sprecher auf dem Podium nicht auf? Zumindest, wenn sie nicht sprechen?
Auf welcher Rechtsgrundlage die „Maskenpflicht“ besteht, ist mir nicht bekannt, es wird auch nicht darauf verwiesen. Da hängt einfach ein Schild. Und basta. Laut der Berliner Corona-Verordnung gilt eine Maskenpflicht in der Hauptstadt nur für „Beschäftigte und Besucherinnen und Besucher in Büro- und Verwaltungsgebäuden, es sei denn, sie halten sich an einem festen Platz auf oder können den Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten“. Genau das ist in der Bundespressekonferenz durch Sperrung der meisten Stühle gewährleistet. Bisher galt dann auch die Maskenpflicht nur bis zur Einnahme des eigenen Stuhls. Warum hier Journalisten, die die Regierenden kontrollieren sollen, schlechter gestellt werden als die Regierenden, ist nicht offensichtlich. Da die Bundespressekonferenz ein Verein ist, in dem sich die Hauptstadt-Journalisten zusammengeschlossen haben, und selbst das Hausrecht ausübt in ihrem Saal, ist die Entscheidung aber offenbar von den Kolleginnen und Kollegen selbst getroffen worden. Warum sie dabei über die bestehenden Vorschriften hinausgehеn und eine derart ungleiche Ausgangssituation schaffen, ist mir rätselhaft. Ich hoffe nur, dass es kein vorauseilender Gehorsam in Sachen Corona-Maßnahmen ist.
Es ist wichtig, ja notwendig, die Mimik der Befragten bei der Antwort zu sehen – denn für uns Menschen sind nicht-verbale Botschaften unter Umständen wichtiger als verbale. Insbesondere bei Regierenden, die sich ja oft hinter Worten verstecken. Aber auch die Mimik der Fragenden, der Journalisten, ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Kommunikation. Etwa, wenn sie beim Fragen oder Antworten ihr Gesicht verziehen. Dieser Teil der Kommunikation darf nicht einfach so, per Schild, ohne Darlegung der Rechtsgrundlage weggestrichen werden. Umso mehr darf dies nicht einseitig nur bei einer der beteiligten Parteien geschehen – denn das untergräbt die Waffengleichheit.
Lesen Sie etwas später heute hier noch mehr über den Verlauf der Bundespressekonferenz und die (Nicht-)Antworten der Regierung.
+++ Aktualisierung +++
Nach Veröffentlichung dieses Beitrags erhielt ich ein Rundschreiben der Bundespressekonferenz. Darin steht zu den Masken-Regeln: „Es besteht Maskenpflicht während der gesamten PK – auch am Platz (ausgenommen sind Gäste im Podium und ggf. zum Fragen stellen).“ Diese Ausnahme für das Fragen ist nicht auf dem Hinweisschild am Eingang zu erkennen. Sie scheint den Fragenden entweder nicht bekannt zu sein (oder sie. wurde erst nachträglich hinzugefügt), oder alle verzichten freiwillig auf diese Möglichkeit.
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Bild: Boris Reitschuster
Text: br