Ein Gastbeitrag von Vera Lengsfeld
Während Deutschland über das Ampel-Aus und das unwürdige Gezerre um die Vertrauensfrage und die Neuwahl diskutierte, wurde in Thüringen in aller Stille über eine Koalition verhandelt, die den Wählerwillen aushebelt. Die Zweit-, Dritt- und Fünftplatzierten, letztere eine 6 %-SPD, wollen die Regierung bilden. Am Freitag wollen die Verhandler ihr Koalitionspapier der Öffentlichkeit vorstellen, offenbar nachdem es in den Parteigremien abgenickt wurde. Thüringen bekommt dann eine Minderheitsregierung, die auf Stimmen der abgewählten Linken angewiesen ist und einen Ministerpräsidenten, dessen Plagiatsverdacht von seiner Universität immer noch nicht ausgeräumt ist. Man darf annehmen, dass im Koalitionsvertrag nichts anderes steht als im Sondierungspapier, das eine reine Wünsch-dir-was-Liste ist, die mit jeder Menge neuer Schulden bezahlt werden soll. Widerstand gegen das undemokratische Vorgehen regte sich allerdings kaum. Abgesehen von einem offenen Brief von ein paar Mittelständlern, der leider aber nicht mit eigenem Namen gezeichnet wurde (wovor hat die deutsche Industrie nur solche Angst?) und ein paar Unterzeichnern von der Werteunion Thüringen, die aber leider die Chance für eine echte Kampagne nicht genutzt haben, gab es keinen Widerspruch.
Auch die AfD hat es sich hinter der Brandmauer gemütlich gemacht, statt im Landtag die Initiative zu ergreifen und die Möchtegern-Koalitionäre unter politischen Druck zu setzen. So kann der Abstieg Thüringens ungebremst weitergehen. Die Mehrheit der Thüringer scheint den Ernst der Lage nicht begriffen zu haben. Das ist ein Menetekel, denn das haben sie mit der Mehrheit der Bevölkerung in ganz Deutschland gemein. Wie Mario Voigt, der die Merkeldoktrin nahtlos fortsetzt, ist auch Friedrich Merz treu auf Merkels Spuren geblieben. Beide haben demonstriert, dass es mit ihnen keine Politikwende geben wird, lediglich werden es ein paar andere Empfänger der Machtprivilegien sein. Friedrich Merz will dringend Kanzler werden und in seinem Furor demonstriert er jeden Tag, dass er charakterlich nicht geeignet ist. Er hat zwar der Öffentlichkeit eine Zehn-Punkte-Liste präsentiert, was sich ändern soll, wenn er Kanzler geworden ist, aber die ist jetzt schon als Wahlbetrug erkennbar.
Merz hätte für die Rückkehr der Gesetzlichkeit an unseren Grenzen, für die Annullierung des Gleichstellungsgesetzes, das die Bürger bei Androhung von Bußgeldern bis zu 10.000 Euro zum Lügen zwingt, weil man einen biologischen Mann nicht mehr Mann nennen darf, die nötige Mehrheit. Die mühsam erkämpften Frauenrechte werden ausgehebelt und den Frauen ihre sicheren Rückzugsräume genommen. Merz könnte das und die Verschleuderung des Bürgergeldes stoppen sowie den Ausstieg aus der Kernenergie beenden. Die parlamentarischen Mehrheiten hätte er. Er nutzt sie nicht. Im Gegenteil, er hat mit SPD und Grünen das Parlament nach Hause geschickt, damit er nicht erklären muss, warum er die Mehrheiten nicht nutzt, die er hätte, wenn es ihm wirklich ernst mit seinen angeblichen Vorhaben wäre. Er nutzt sie nicht nur nicht, sondern diffamiert sie als „Zufallsmehrheiten“, die er nicht wolle. Er will nur noch Anträge auf die Tagesordnung setzen, die er vorher mit SPD und Grünen abgestimmt hat. Dass diese es ihm nicht danken, sondern ihn unter Druck setzen, indem sie die Streichung des § 218 auf die Tagesordnung setzen wollen, die das letzte Alleinstellungsmerkmal der Union hinwegfegen würde, ist fast witzig, wenn es nicht so traurig wäre.
Merkel hat als Kanzlerin die rot-grüne Agenda durchgesetzt und damit den inzwischen rasanten Abstieg Deutschlands eingeleitet. Unter Merz wird sich der Abstieg beschleunigen, denn keines seiner angeblichen Vorhaben wird sich mit seinen Wunschpartnern SPD und Grünen durchsetzen lassen. Merz’ Handlungen der letzten Tage sind nur mit einer arroganten Verachtung von Parlament und demokratischen Verfahren zu erklären. Er verachtet auch demokratisch gewählte Politiker und bezeichnet sie als „Gesindel“, wenn sie der falschen Partei angehören. Sind die Wähler der falschen Partei auch Gesindel? Wobei Merz die Tatsache ignoriert, dass die Mehrheit der Abgeordneten der AfD vorher anderen Parteien angehört hat, nicht nur der Union, auch der FDP, SPD und den Grünen. Sogar ehemalige SED-Linke sind dabei. So verhält es sich auch mit den Wählern. Die Frage ist: Waren die schon vorher „Gesindel“ oder sind sie es erst geworden, nachdem sie ihre Parteipräferenz gewechselt haben? Wie verhält es sich mit der Hoffnung, die der glücklicherweise nicht mehr zur Wahl antretende Marco Wanderwitz, der noch schnell einen AfD-Verbotsantrag abstimmen lassen will, hat, die Wähler der AfD würden in Scharen zur Union zurückkehren? Ist das „Gesindel“ dann willkommen?
An der Sprache, die er benutzt, ist Merz klar zu erkennen. Wer ihn dennoch zum Kanzler wählt, muss sich sagen lassen, dass er außerdem einem Kriegstreiber seine Stimme gibt. Merz hat verkündet, dass er als Kanzler Putin, dem seine Fraktion – wenn ich mich richtig erinnere – stehenden Beifall gespendet hat, nachdem dieser seine Rede im Bundestag gehalten hat, ein Ultimatum stellen will. Putin solle innerhalb von 24 Stunden den Ukraine-Krieg beenden, sonst würde Merz Taurus-Raketen schicken. Man muss befürchten, dass Merz, der, seit er Aussichten auf die Kanzlerschaft hat, völlig von der Rolle zu sein scheint, das wirklich tun wird. Damit käme der Krieg nach Deutschland. Wer schweigt, stimmt zu. Es solle hinterher niemand sagen, er hätte das nicht wissen können.
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Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Sie betreibt einen Blog, den ich sehr empfehle.
Bild: Wasan Ritthawon/Shutterstock