Eine der wichtigsten Lektionen aus dem Nationalsozialismus war für die Väter unseres Grundgesetzes, den Föderalismus tief in den Fundamenten der Bundesrepublik zu verankern. Nie wieder, so ihr Anliegen, sollte zentral alles aus der Hauptstadt entschieden werden. Diese Form der Gewaltenteilung war, wie man heute sagen würde, als eine Art „Airbag“ gegen Einschränkungen und Gefahren für die Demokratie gedacht.
Auch in der Corona-Krise zeigen sich die Vorteile des Föderalismus. Auch wenn manche anfangs Zweifel hatten, ob das Fehlen einer stramm durchregierenden Zentralregierung wie etwa in Frankreich nicht zur Hypothek werden könnte – das Gegenteil war der Fall. 16 Bundesländer, ja auch Kommunen rangen und ringen um Lösungen und Wege. So entsteht Konkurrenz. So können Fehler, aber auch Lösungswege besser und schneller entdeckt werden. Stellen Sie sich vor, der Aktionismus eines Markus Söder wäre nicht durch die Langsamkeit eines Armin Laschet abgefedert worden. Oder noch schlimmer: Der Franke mit dem Hang zum autoritären Durchregieren wäre in Corona-Zeiten Kanzler, und hätte das alleinige Sagen.
Kurzum: Trotz aller Fehler hat sich der Föderalismus in der schwersten Krise der Bundesregierung seit ihrem Bestehen bewährt. Doch er wird massiv angegriffen. Angela Merkel und ihre Umgebung bis hin zum besagten Söder versuchen, die Corona-Krise zur Aushebelung der föderalen Architektur unseres Landes zu nutzen. So installierten sie etwa eine Runde mit den 16 Ministerpräsidenten, in der grundlegende Entscheidungen getroffen werden. Das ist faktisch ein Angriff auf das Grundgesetz und auf die Grundfesten unseres Staates.
Focus-Gründer Helmut Markwort warnte im Interview mit reitschuster.de am 15. September: „Diese Runde der 16 Ministerpräsidenten ist überhaupt nicht demokratisch legitimiert. Es ist ein Treffen von Landesvätern und -müttern, die nicht durch Wahlen gerechtfertigt sind. Sie maßen sich an, über ganz Deutschland zu bestimmen. Dagegen müssen die Liberalen auftreten.“ Auch diese Woche maßt sich die demokratisch nicht legitimierte Runde wieder an, die Leitlinien der Politik zu bestimmen.
Was sich dabei Bundeskanzlerin Angela Merkel erlaubt, müsste in einer funktionierenden Demokratie und Medienlandschaft einen Aufschrei des Entsetzens hervorrufen. Schon vor der Runde sagte sie nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur in einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums am Montag: „Es muss in Berlin etwas passieren“. Laut Teilnehmern der Sitzung äußerte die Kanzlerin Zweifel, dass der Berliner Senat angesichts der hohen Zahl von Neuinfektionen ernsthaft versuche, Maßnahmen gegen die Ausbrüche einzuleiten.
Schon Merkels Einmischung in die Wahl des Ministerpräsidenten von Thüringen im Februar, als sie von Südafrika aus eine „Korrektur“ forderte, war nach Ansicht von Focus-Gründer Markwort „ungeheuerlich, völlig undemokratisch und autoritär“. Doch nun macht sie weiter in diesem Stil. Sie greift erneut den Föderalismus an – eine der Grundfesten unserer Demokratie.
[themoneytizer id=“57085-1″]Der Berliner FDP-Abgeordnete Marcel Luthe empört sich: „Auch wenn es in der Uckermark womöglich noch nicht angekommen ist: Deutschland ist föderal aufgebaut und seit dem Rücktritt Erich Honeckers gibt es in Deutschland auch kein Zentralkomitee mehr, das die Geschicke des Landes steuert. Der rot-rot-grüne Senat ist politisch das Schlechteste, was unserem Berlin passieren konnte und kann. Aber es ist unser Berlin – und unsere Angelegenheiten regeln wir selbst, ohne kluge Ratschläge aus Bayern, Schwaben oder auch der Uckermark.“
Empörung herrscht in vielen Medien jedoch nicht über Merkels Angriff auf den Föderalismus – sondern über diesen. Focus Online kritisierte unter der Überschrift „Einheitliche Corona-Regeln? Schon vor Gipfel mit Merkel schaffen Ost-Länderchefs Fakten“, dass einige Länderchefs wie die von Sachsen und Sachsen-Anhalt genau das tun, was die laut Grundgesetz tun können, ja müssen: eigenständig handeln. Sie erfüllen damit genau den Grundgedanken des Föderalismus. Kritik ernten sie vor allem dafür, dass sie den Alarmismus der Kanzlerin und Söders nicht mittragen und keine einheitlichen Regeln und keinen Zwang wollen.
Der Sachsen-Anhaltinische Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte der „Bild am Sonntag“: „In Sachsen-Anhalt verfolgen wir weiter unseren eigenen Weg. Die Infektionen in Sachsen-Anhalt gehen leicht nach oben, sind aber noch nachverfolgbar und aktuell kein Grund darüber nachzudenken, die Maßnahmen wieder zu verschärfen.“
Erstaunlich ist, wie Merkel und Söder mit ihrem Zentralismus auf einer Linie liegen – der Aushöhlung unserer Verfassung. „Wir müssen etwas dagegen tun, dass der Allmachtsanspruch des Zentralisten Söder von Bayern auf ganz Deutschland übergreift“, mahnte Focus-Gründer Markwort im Interview und forderte dazu auf, den CSU-Chef zu stoppen: „Dass ausgerechnet er, der Föderalist Söder, aus dem oft separatistisch gesonnenen Bayern, nach einheitlichen Lösungen schreit. Und etwa die Zuschauer aus den Stadien fern halten will, obwohl zum Beispiel die Sachsen und die Sachsen-Anhaltiner sich zum Glück nicht nach ihm richten.“
Corona ist nicht nur für die Gesundheit gefährlich, sondern für die Demokratie. Das Tempo und die Energie, mit der manche Politiker das Virus missbrauchen, um die Grundfesten unseres Grundgesetzes anzugreifen, ist mindestens genauso furchterregend wie die Pandemie. Vor allem ist weder ein Medikament noch eine Impfung dagegen in Sicht.