Zuerst wollte ich nicht glauben, was da ein prominenter Leser meiner Seite voller Empörung geschickt hatte. Was Bundeskanzlerin Angela Merkel dieser Tage zur Corona-Krise sagte, ist starker Tobak und hätte in einer noch funktionierenden Medienlandschaft einen Sturm der Entrüstung auslösen müssen – zumindest bei einigen der großen Medien. Nicht so im selbst ernannten „besten Deutschland aller Zeiten“. Dort wurde das Zitat der rotgrünen Christdemokratin einfach nur vermeldet: „Wo kommen wir da raus? Wo kommt China raus? Wo kommt Südkorea raus? Wenn die alle mal viel besser die Masken tragen und nicht so viel ,Querdenker‘-Demos haben, sondern derweil schon wieder wirtschaftlichen Aufschwung, dann fragt sich, wo Europa landet nach dieser Pandemie.“
Lassen wir einmal die sprachliche Unzulänglichkeit des Satzes, den man Grundschülern um die Ohren hauen würde, beiseite. Kaum verholen – und durch den Zusatz von Südkorea nur leicht abgeschwächt – kommt hier eine Sympathie für das autoritäre Politikmodell zum Vorschein, die der Kanzlerin von Kritikern schon lange unterstellt wird und die ihre Unterstützer vehement verneinen. Man muss etwas mit der DDR und dem Sozialismus (oder der Sowjetunion und ihren Nachfolgerstaaten) vertraut sein, um die Aussagen Merkels beim Online-Digitalgipfel der Bundesregierung zu dechiffrieren. Man müsse sich fragen, sagte sie dort, wo Europa lande nach der Krise. Sie respektiere natürlich das Demonstrationsrecht. Deutschland könne und wolle auch nicht die Mittel einsetzen wie China mit seinem Kontrollsystem. Aber man müsse sich insgesamt anstrengen, um technologisch mithalten zu können.
Wieder eines dieser Russland-Déjà-vus, wie ich sie im Zeitraffer erlebe heute in Deutschland: Die Aussage erinnert mich ungemein an die Art zu sprechen, wie ich sie von Wladimir Putin und seinem Umfeld kenne. Man betont, dass man natürlich für etwas Gutes stehe und nicht das Schlechte wolle – was man dann aber dezent im Nebensatz andeutet bzw. ankündigt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Das Demonstrationsrecht wird derzeit in Deutschland regelrecht verhöhnt (siehe hier). Dass die Kanzlerin ein Land mit massivster Unterdrückung der Menschenrechte, digitaler Überwachung und Ein-Parteien-Herrschaft durch die Blume als Vorbild hinstellt, dass sie Demonstrationen als Hindernis für den Aufschwung diffamiert, zeigt, dass sie im Innersten immer noch mit der Demokratie fremdelt und sollte jeden aufrechten Demokraten alarmieren. Umso mehr, als Merkel, die aus einem stramm kommunistischen Pastoren-Elternhaus stammt, ohnehin seit Jahren eine Nähe zu den Kommunisten in Peking an den Tag legt.
Ein weiteres Russland-Déjà-vu: Merkel betonte, Deutschland brauche mehr Tempo beim digitalen Wandel. Die Geschwindigkeit sei ein Riesenproblem, mahnte die Kanzlerin: „Es wird die Dringlichkeit in vielen Bereichen immer noch nicht ausreichend erkannt, dass sich das alles ändert und dass wir einfach irgendwann Bummelletzter sind.“ Kein Wort dazu, wer seit 15 Jahren die Regierungsverantwortung trägt und für die „Bummelei“ verantwortlich ist. Genauso hält es Putin, der ebenfalls wie Merkel in einer kommunistischen Kaderorganisation politisch sozialisiert wurde: Er kritisiert oft Missstände im eigenen Land, so, als sei er bis gestern noch Opposition gewesen und nicht seit mehr als 20 Jahren an der Macht.
Merkel bekannte noch 2013, im achten Jahr ihrer Kanzlerschaft, in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit US-Präsident Barack Obama: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Inzwischen habe ich den Eindruck: auch Demokratie, Freiheit und Pluralismus sind es für Merkel in ihrem Innersten immer noch geblieben. Anders sind solche Aussagen wie die über China nicht zu verstehen. Besonders erschreckend: Auch viele Medien greifen diese Sehnsucht nach autoritärem Regieren auf. Unlängst etwa die Frankfurter Allgemeine unter der Überschrift „Schützt uns die Demokratie?“: „Die hohen Corona-Zahlen im Westen lassen fragen, ob offene Gesellschaften weniger gut auf globale Bedrohungen reagieren können als autoritäre Systeme. Eine Debatte ist fällig, wie sich die Demokratie auf die neue Gefahrenlage einstellen kann.“
Wir erleben einen Erosionsprozess der Demokratie, losgetreten von ganz oben. Schon vor langem. Aber jetzt massiv befeuert durch Corona (oder mit Corona als Vorwand?) und die in einem völlig verantwortungslosen Maß angeschürte Angst vor dem Virus. Der Prozess war so schleichend, so gut getarnt, dass ihn die meisten gar nicht erkannten. Wie die Frösche, die nicht bemerken, dass sie gekocht werden, wenn die Temperatur nur langsam genug erhöht wird. Umso mehr, wenn ihnen dabei auch noch massiv Angst eingejagt wird.
[themoneytizer id=“57085-1″Bild: plavevskiShutterstock
Text: br
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