Das ZDF und Merkel – kuscheln statt kontrollieren Öffentlich-rechtliche Streicheleinheiten

Die Unterschiede zwischen kritischem Journalismus und Stichwort-Geberei liegen manchmal im Detail. Wäre ZDF-Chefredakteur Peter Frey ein kritischer Journalist, hätte er Angela Merkel gestern in der Sendung „Was nun, Frau Merkel?“ aufgezählt, was alles schief ging im Corona-Management und dann gefragt, warum diese Fehler passiert sind. Frey fragte stattdessen: „Stellen Sie sich manchmal die Frage, waren die Maßnahmen die richtigen, waren sie angemessen, oder waren es zu viel, waren sie zu weitgehend?“

Eine kastrierte Frage, aber so schön verpackt, dass dies dem flüchtigen Zuschauer wohl kaum auffällt. In der gesamten Sendung gestern musste man genau hinsehen, um die Fassade des Schattenboxens zu durchschauen. Merkel antwortete Frey mit Verweisen auf Italien, Spanien, und Türkei, denen es schlechter erging als Deutschland. Die für einen kritischen Journalisten zwingende Nachfrage, warum die Mehrzahl der EU-Staaten besser durch die Corona-Krise kam, verkniff sich Frey.

Schon zum Einstieg in die Sendung gab es eine Streicheleinheit vom ZDF-Chef für die Kanzlerin: „Sie landen vor allem mit der Absenkung der Mehrwertsteuer einen wirklichen Überraschungscoup“. Na wenigstens nicht die Frage, warum sie so tolle Politik mache (Heiko Maas wurde kürzlich in der ARD die Zuschauerfrage vorgetragen, „Wie schaffen Sie es, immer so unfassbar gut auszusehen?“ – bei Merkel hätte das wohl nicht funktioniert).

Etwas später versuchte Frey dann doch, zumindest den Anschein zu erwecken, er sei kritischer Journalist. „Statt schwäbischer Hausfrau enden Sie als Schuldenkanzlerin?“, fragte er. – „Ich bin so froh, dass wir in den Jahren, in denen es uns so gut ging, nicht einfach Geld ausgegeben haben“, antwortete die Kanzlerin. Das wäre der Moment gewesen für ein Nachhaken von Frey, etwa zu den Milliarden-Ausgaben für die Migration. Doch nachdem der ZDF-Chef so tat, als setze er zum Tigersprung an, landete er als Bettvorleger. Und es scheint sich weniger um einen missglückten Sprung zu handeln, als um eine Taktik: Beim oberflächlichen Zuschauer bleibt hängen, dass ja schon ein paar kritische Töne fallen, also alle in Ordnung sein muss journalistisch. Aber wir haben es mit Etikettenschwindel zu tun – mit Schein-Journalismus.

„Mehrwertsteuer, davon profitiert jeder“ – mit dieser These schlug etwa Co-Moderatorin Schausten der Kanzlerin eine Flanke vors Tor – was zwar formell richtig ist, aber doch Etikettenschwindel. Wer etwa für 300 Euro im Monat Lebensmittel kauft, spart durch die Steuerkürzung knapp sechs Euro. Schön, aber ob das wirklich eine wirksame Hilfe ist, zumal sie aus der Gießkanne kommt? Und ob die Steuersenkung wirklich weiter gegeben wird an den Endverbraucher? Auch dazu gab es kein Nachhaken.

Schausten scheint sich mehr Sorgen um die Umwelt als um Arbeitsplätze zu machen – nur bei diesem Thema hakt sie wirklich nach, mokiert, dass die Rettungen nicht von ökologisch korrektem Verhalten abhängig gemacht werden. Vielleicht sollte künftig auch die Feuerwehr vor Brand-Einsätzen erst einmal die politische Gesinnung des Brandopfers prüfen.

Was die Journalisten nicht schafften bzw. nicht wollten, machte die Kanzlerin selbst, wenn auch unfreiwillig. Sie entlarvte sich mit ihrer Schwurbelei. Kostprobe: „Ich meine, soziale Marktwirtschaft, so wie wir leben in einer freiheitlichen Gesellschaft, das ist immer so, dass wir darauf setzen, dass alle Akteure wollen, dass es dieser Gesellschaft gut geht, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Familien, die Unternehmer, und der Staat flankiert das.“ Das ist das intellektuelle Niveau eines Achtklässlers in einem Sozialkunde-Aufsatz.

Sodann gab die Kanzlerin die Marschrichtung aus: „Ich werde unruhig, wenn Menschen glauben, wir brauchen die Abstandsmaßnahmen nicht mehr, ein Meter fünfzig, dort wo man die nicht einhalten kann, Masken tragen,…das wird so lange bleiben, so lange wir keinen Impfstoff und kein Medikament haben.“ Erstaunlich, wie sie das bestimmen kann, wo doch die Kompetenz laut Grundgesetz bei den Ländern liegt.

Als die ZDF-Leute ein zweites Mal versuchen, Journalisten zu sein, scheitern sie genauso wie beim ersten Mal am Nachhaken. Zu den Rettungspaketen fragte Schausten: „Ist das nicht doch das, wogegen Sie immer gekämpft habe, der Einstieg in eine Gemeinschaftsverschuldung, eine Art Transferunion?“ Merkel schwurbelt sich davon: „Die Herausforderung mit dem Virus hat sich niemand gewünscht, die ist über uns gekommen.“ In der Tat – wer könnte da widersprechen. Keine Nachfrage, warum wir Deutschen Länder wie Spanien und Italien finanzieren sollen, obwohl dort das Vermögen pro Person mehr als doppelt so hoch ist wie bei uns.

Auch Freys dritter Versuch, zumindest etwas kritisch zu sein, prallt an Merkels Wort-Nebelkerzen ab: „Wie hoch ist die Gefahr, dass hier Milliarden verbrannt werden, ohne dass sich in diesen Ländern etwas ändert, etwa die schlechte Verwaltung in Italien?“ Die Antwort: „Das glaube ich haben wir recht gut im Griff! Was ist das Ziel vielleicht noch mal? Das Ziel ist, dass die Schäden, die durch das Virus entstanden sind, ja nicht durch schlechte Politik entstanden sind, sondern durch eine Naturkatastrophe. Jetzt wollen wir, dass die EU nicht viel unterschiedlicher aus dieser Krise herauskommt durch etwas, das keiner verschuldet hat.“ Dieses Sprachungetüm muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Und glaubt man an Freud, kann man es auch für entlarvend halten: Ziel ist, dass die Schäden nicht durch schlechte Politik entstanden sind. Also offenbar, es so darzustellen.

Völlig unbemerkt von ihren Stichwortgebern entlarvt sich Merkel dann noch faktisch als Klima-Ketzerin, denn unbeabsichtigt stellt sie das Fundament der Klimabewegung, den „wissenschaftlichen Konsens“, in Frage – wenn auch bei einem ganz anderen Thema: „Wie immer in der Wissenschaft, ich kenne das aus meiner Zeit vor der Politik, gibt es unterschiedliche Meinungen, kommen jeden Tag neue Entdeckungen.“ Den Satz der Kanzlerin wird man sich merken müssen für Klima-Debatten.

Richtig heftig wird es beim Thema Trump – den ZDF-Chef Frey und die Kanzlerin Hand in Hand ans Bein pinkeln:

Frey: „Die USA werden von Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt erschüttert. Welchen Anteil hat Trump durch seine gewaltverherrlichenden Tweets an dieser Entwicklung?“ Was er für „ gewaltverherrlichende Tweets“ meint, offenbart der ZDF-Chef nicht. Hängen bleibt ja immer was beim Zuschauer. Auch, wenn er die massiven, gewalttätigen Ausschreitungen als „Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt“ verniedlicht.

Merkel: „Zuerst einmal ist dieser Mord an George Floyd etwas ganz, ganz Schreckliches. Rassismus ist etwas Schreckliches.“ Ohne es ausdrücklich zu sagen, framt sie das Tötungsdelikt zum Mord, und auch noch zum rassistischen. Ein tiefer Griff in die sprachliche Trickkiste.

Weiter sagt die Kanzlerin: „Die Gesellschaft in den USA ist sehr polarisiert. Mein Anspruch an Politik ist immer, dass man versucht, zusammenzubringen und zu versöhnen.“ (Warum ich glaubte, mich hier verhört zu haben, etwas weiter unten).

Frey: „Das tut der Präsident nicht.“ Der ZDF-Chef agiert hier wie Merkels Ministrant.

Merkel: „Das Land ist sehr polarisiert, ich kann nur hoffen, dass man zusammenfindet.“ Welches Land meint sie?

Frey: „Spielt er eine Rolle bei der Polarisierung?Merkel: „Ich glaube, dass der Politik-Stil schon ein sehr kontroverser ist, das ist klar, aber ich möchte hier keine eins zu eins Dinge geben.“ Also trotz der sprachlichen Schwäche kaum verhohlenes „Ja“, Trump ist schuld. Merkel weiter: „Rassismus hat es zu allen Zeiten gegeben, leider gibt es ihn auch bei uns, und jetzt kehren wir mal vor unserer eigenen Haustüre. Und hoffen, dass auch in den Vereinigten Staaten sich genug Menschen finden, die einfach friedliche Demonstrationen voranbringen.“ Wie bitte? Die Bundeskanzlerin fordert zu Demonstrationen gegen Trump auf? Man stelle sich das mal umgekehrt vor – Trump würde zu Demonstrationen gegen Merkel aufrufen! Schausten: „Haben Sie noch Vertrauen in diesen amerikanischen Präsidenten?“ Merkel: „Ich arbeite zusammen mit den gewählten Präsidenten auf der Welt, und natürlich auch mit dem Amerikanischen.“ Damit stellt sie den Präsidenten unseres wichtigsten Verbündeten auf eine Stufe mit Erdogan und den vielen Diktatoren, die ja formell auch gewählt sind. Eine perfide Art des politischen Anpinkelns.

Diesen Dialog muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ihr Anspruch an Politik sei es, zusammenzubringen und zu versöhnen, behauptet Merkel. Ich dachte zuerst, ich habe mich verhört – und des müsse wohl „verhöhnen“ heißen. Man kann der Kanzlerin ja wirklich viel nachsagen. Aber versöhnen und zusammenbringen? Sie, die große Spalterin? Was für ein Zynismus!

Zum Schluss kam dann noch einmal journalistische Manipulation in eleganter Verkleidung:

Schausten: „Die Krise ist nicht zu Ende, das fordert ja vielleicht auch etwas von Ihnen. Denken Sie manchmal darüber nach, dass sie in Verantwortung bleiben müssen, vielleicht auch für eine nächste Kanzlerkandidatur zur Verfügung stehen.“

Was für eine perfide Art der Fragestellung! Richtig wäre gewesen, zu fragen, ob sie eine fünfte Kandidatur ausschließt. Und die Antwort – nein, sie denkt nicht darüber nach – ist so verbindlich wie die Reaktion eines notorischen Rasers auf die Frage, ob darüber nachdenkt, mit dem Rasen aufzuhören.

Interessant ist, was dann die Nachrichtenagenturen aus der Stelle im Interview machten – und damit die meisten Leser und Zuschauer im Land zu lesen bzw. zu hören bekamen: „Spekulationen über eine mögliche fünfte Amtszeit erteilte Merkel erneut eine klare Absage.“

P.S.: Bitte stellen Sie sich als Kontrast-Programm vor, wie die gleichen Journalisten US-Präsident Trump befragt hätten.


Bilder: ZDF/Screenshot

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