In 16 Jahren in Russland hat mich immer wieder fasziniert und erschrocken, wie Ideologie dazu führt, dass Menschen einfache Kausalzusammenhänge nicht wahrhaben wollen. Putins Russland ist zwar unideologisch. Zumindest im Vergleich zu Merkels Deutschland. Aber das Erbe der sozialistischen Vergangenheit ist dort immer noch auf Schritt und Tritt zu spüren. Und gerade wenn man mit Sozialismus-Nostalgikern ins Gespräch kommt, tut man sich oft sehr schwer mit logischen Argumenten. Für sie war es einfach unter Stalin, Breschnew und Co. besser. Punkt. Wobei man dazu sagen muss, dass es gefühlt in Russland weniger Sozialismus-Anhänger gibt als in Deutschland. Oder zumindest eindeutig mehr klare Anti-Kommunisten als bei uns: Denn die große Mehrheit der Menschen zwischen Kaliningrad und Wladiwostok weiß, was Sozialismus ist. Und hat eine Immunität dagegen. Was man von Deutschland nicht so sagen kann.
Gerade aufgrund meiner Erfahrungen in Russland hat es mich massiv überrascht, zuhause in Deutschland zu erleben, wie inzwischen auch hier Ideologie die Logik erdrückt. Wie das Aussprechen von Offensichtlichem, das tabu ist, zu massivsten Beißreflexen führt. Je offensichtlicher die Lüge, umso hysterischer die Reaktion auf ihre Entlarvung. Kern der „Lüge“ ist im heutigen Deutschland das Thema Einwanderung. Deren negativen Folgen sind tabu. Drastisch deutlich wurde mir das nach einer Aussage des Modemachers Karl Lagerfeld: „Selbst wenn Jahrzehnte dazwischen liegen, kann man nicht Millionen Juden töten und später dann Millionen ihrer schlimmsten Feinde holen.“ Die Empörungswellen in Deutschland waren so haushoch wie ein Tsunami. Obwohl es sich um eine durchaus vertretbare These handelt, über die man eigentlich nüchtern diskutieren sollte. Aber genau das wollen die Empörungs-Schürer verhindern. Lagerfelds Aussage und alles, was mit Antisemitismus bei Zuwanderern aus muslimischen Ländern zu tun hat, ist ein besonderes Tabu innerhalb des Tabus. Sozusagen das Allerheiligste der Lüge.
Eine der Lügen ist auch, in Abrede zu stellen, dass die vergleichsweise hohen Sozialleistungen in Deutschland unser Land besonders attraktiv machen für Zuwanderer. Alle meine ausländischen Freunde verstehen das, oft sprechen sie mich von selbst darauf an. In den Medien und großen Teilen der Politik ist es ein absolutes Tabu. Als eine jüdische Freundin von mir einmal die Idee aussprach, man könne doch Sozialhilfe-Empfänger für die Ernte einsetzen, wurde sie als Nazi bezeichnet. Ein heftiges Tabu sind auch die offensichtlichen Tatsachen, dass mehr Zuwanderung zu einer Verschärfung der Situation am Wohnungsmarkt führt, zu mehr Ausgaben von Steuergeld und zu mehr Kriminalität. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welchen geistigen Klimmzügen linke Ideologen versuchen, das völlig Offensichtliche wegzureden bzw. wegzuschreiben.
„Die haben da ein linksgrünes Brett vor dem Kopf, und wenn das, was sie sehen, nicht zu ihrer linksgrünen Weltsicht passt, schrauben sie das Brett nur noch fester an“, spottete dieser Tage ein nicht-linker Kollege. Ja, die gibt es noch, sie müssen nur in den Redaktionen konspirativ agieren. Um die Widersprüche zu negieren, wird Sprache regelmäßig als Nebelkerze verwendet. Auch wenn es um die so genannte „Seenotrettung“ geht. Wer ein bisschen Vertrauen in den eigenen Verstand hat, braucht keine Studien, um zu verstehen: Wenn potentielle Migranten wissen, dass sehr viele „Rettungsboote“ unterwegs sind, werden mehr in See stechen, als wenn bekannt ist, dass keine Rettungsboote da sind. Aber selbst solche Aussagen sind heute bereits tabu. Als eine Autorin in der Zeit sich ähnlich äußerte, war der Proteststurm so groß, dass sich die Chefredaktion entschuldigte. Fast fühlt man sich wie beim Sowjet-Dissidenten Solschenizyn: „Nicht mit der Lüge leben“, war eine seiner wichtigsten Forderungen. Und Titel eines seiner Bücher.
Die Tabus sind inzwischen sogar niedergeschrieben. Laut UN-Migrationspakt soll „human und konstruktiv“ über Migration berichtet werden: also positiv. Das jüngste Tabu: Der Hinweis darauf, dass es ein fatales Signal ist, wenn nach der Brandstiftung im Lager Moria auf Lesbos dessen Bewohner nach Europa dürfen. Denn die Botschaft ist dann ganz klar: Zündet Euer Lager an, wenn ihr weiter nach Deutschland und in andere Länder der EU wollt. In linken Zeitungen wie dem Tagesspiegel wurde sogar ganz offen geschrieben, dass die Migranten ein Recht zur Brandstiftung gehabt hätten in den Lagern. Die Überschrift: „Flüchtlinge im Lager Moria Recht so, zerstört eure Camps!“ So erschreckend und entlarvend so eine Rechtfertigung für schwere Straftaten ist, sie ist wenigstens ehrlich.
Auch Angela Merkel, eine der Gralshüterinnen der Lüge, hat nun in Aussicht gestellt, mehr Migranten von Moria aufzunehmen. „Merkel wirbt bei Unionsfraktion für Aufnahme von 1.553 Flüchtlingen“, titelte das Deutschlandradio am Dienstag. Wenige Stunden danach kam die Nachricht über den Ticker, dass in der Nähe eines Flüchtlingslagers auf der griechischen Insel Samos ein Feuer ausgebrochen ist. Griechische Politiker hatten seit dem Brand auf Lesbos vor der „Moria-Taktik“ gewarnt: Vor der Gefahr, dass Feuer auch in anderen Flüchtlingslagern gelegt werde, wenn die Menschen von Moria nach Mitteleuropa gebracht werden. In Deutschland wollten das sehr viele in Medien und Politik nicht hören. Ihre Lüge, an die sie wohl mehrheitlich selbst glauben, wird nun noch mehr Verdrängung benötigen. Und damit auch noch mehr Abwehrmechanismen. Und die führen immer zu Aggression, ja Hass auf diejenigen, die das Verdrängte aussprechen und auf die Lüge aufmerksam machen. Uns stehen in jeder Hinsicht aufregende Zeiten bevor. Besonders dramatisch werden sie, wenn das Lügengebilde nicht mehr nur bröckelt, wie derzeit, sondern wenn es endgültig zusammenbricht.
Text: br