Militarisierung der Macht "Putins Demokratur" – mein Bestseller jetzt kostenlos für Sie. Teil 6

Lesen Sie heute Teil 6 von „Putins Demokratur“. Warum ich Buch hier auf meiner Seite veröffentliche, können Sie hier in meiner Einleitung zum ersten Beitrag finden. 

Alles hatte ganz anders angefangen. Als Wladimir Putin zum Jahreswechsel 2000 in den Kreml einzog, war er dort mehr Hausverwalter denn souveräner Herrscher. Er hatte zwar nach außen hin die Verantwortung für Russland übernommen – aber wegen mangelnder Hausmacht noch nicht sonderlich viel zu sagen. Selbst bei zweitrangigen Entscheidungen musste er anfangs noch oft auf Jelzins »Familie« hören – wie bei der Ernennung des Generalstaatsanwalts. Doch langsam, fast unmerklich, aber mit System, umgab sich Wladimir Putin mit alten Kollegen. Nach einigen Jahren sind die entscheidenden Kommandopositionen in Politik und Wirtschaft heute mit Kadern aus dem Sicherheitsapparat besetzt. 150 Männer mit Geheimdiensthintergrund sitzen im Jahr 2006 auf Schlüsselpositionen in Politik und Wirtschaft. Da jedoch nicht jeder Geheimdienstler als solcher zu erkennen ist, dürfte der tatsächliche Anteil viel höher liegen.

77 Prozent der neuen Staatselite kommen aus der sowjetischen Nomenklatur. 1988 waren 5 Prozent der Regierung Uniformträger, 1999 sind es rund 20 Prozent. Unter Putin trug im Jahr 2003 fast jeder Dritte am Kabinettstisch Offiziers- oder Generalssterne. Unter den höchsten Entscheidungsträgern Russlands wuchs der Anteil der Geheimdienstler und Militärs von knapp 4,8 Prozent im Jahr 1988 auf 58,3 Prozent im Jahr 2002 – eine Steigerung um das Zwölffache. Dazu kommen wohl noch zahlreiche nicht enttarnte Geheime. In fast allen Ministerien, allen wichtigen staatlichen Organisationen und in den meisten großen Unternehmen sitzen heute Geheimdienstler auf der Führungsebene – häufig offenbar als Aufpasser und Vollstrecker des FSB-Willens, so Olga Kryschtanowskaja. Die Expertin spricht von einer »Militarisierung und Sowjetisierung der Macht« und einer »Militokratie«, also einer Herrschaft der Uniformierten.

Das »Komitee«, wie der berüchtigte Geheimdienst in der Umgangssprache genannt wird, war der bewaffnete Arm der Diktatur des Proletariats. Eingefleischte KGB-Kritiker sprechen gar von einem Monster, das sich die Partei erschaffen habe. Tatsächlich waren der KGB und seine Vorgängerorganisationen stets willfährige Werkzeuge der Partei zur Bekämpfung von Andersdenkenden und Abweichlern. Schon während der Ausbildung wurde den KGB-Offizieren ein sehr spezifisches Weltbild eingetrichtert: Es ist geprägt von Krisen, Kampf und Krieg – die quasi ihre Existenzberechtigung sind. Sie fühlen sich tendenziell von Feinden umzingelt, wittern überall Intrigen und Verschwörungen, fassen Kritik als Propaganda und Provokation auf und neigen dazu, alle Mittel der Gegenwehr für erlaubt zu halten. Die meisten früheren KGB-Leute sehen in der Niederlage im Kalten Krieg eine Schmach und sehnen sich nach Revanche. Nachdem die kommunistische Partei das Land in den Bankrott geführt hat, wirkt es beinahe wie ein makabrer Streich der Geschichte, dass ausgerechnet die Zöglinge ihres bewaffneten Arms nun die Geschicke Russlands lenken. »Mit Putin hat die Denkart des KGB im Kreml Einzug gehalten«, klagen alte Weggefährten des Präsidenten.

Anders als in den meisten anderen früheren Ostblockstaaten hat es in Russland nie eine Abrechnung mit dem KGB gegeben. Nie stürmten Demonstranten die Geheimdienstzentralen wie in Ost-Berlin, Warschau und Prag. Gilt dort die Zusammenarbeit mit den »Organen« noch heute als Makel, so überstand der KGB die Wende weitgehend unbeschadet, wenn auch – durch einen Jelzin’schen Erlass – mit neuem Namen und einigen Abspaltungen. Der Inlandsgeheimdienst FSB verstand sich stets als Wahrer der KGB-Tradition. So wartete der Geheimdienst, das »Schild und Schwert« der Partei, in einer Art Dornröschenschlaf auf seinen Prinzen.

Das Wachküssen erfolgte in Raten. Im März 2003 verschafft Putin dem KGB-Nachfolger FSB Zuwachs: Die 210 000 Mann starken Grenztruppen und die Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Informationen (FAPSI) stehen jetzt wieder unter dem Oberbefehl der »Lubjanka« – wie der KGB und der FSB nach ihrem Sitz am gleichnamigen Platz im Zentrum Moskaus genannt werden. Die Lauscher von der früheren FAPSI sind unter anderem für das Abhören von Telefonen und die Überwachung des Internets zuständig; Letztere reicht vom Mitlesen von E-Mails bis zur Kontrolle der Surfbewegungen gewöhnlicher Nutzer. Alle russischen Internet-Provider müssen dem Geheimdienst auf eigene Rechnung rund um die Uhr den Zugriff auf den gesamten Datenverkehr ermöglichen, wodurch, so die Warnung des deutschen Verfassungsschutzes, »zwangsläufig auch ausländische Staatsangehörige in das Blickfeld des FSB« geraten und gezielt geheimdienstlich überwacht werden können.7 Der FSB-Apparat vergrößert sich durch die Neuordnung um das Vierfache – von 80 000 auf 344 000 Mitarbeiter.

16 Monate später, im Juli 2004, unterschreibt Präsident Putin den »Erlass Nummer 870«. Weite Teile des Papiers bleiben geheim. Doch auch die veröffentlichten Absätze zeigen, dass der FSB wieder ähnliche Vollmachten hat wie einst der KGB. Der Geheimdienstchef hat von nun an Ministerrang. Kontrollen des mächtigen Apparats sind nicht vorgesehen. Nur der Präsident steht über dem Geheimdienst. Nach den Neuerungen darf der FSB nun selbst Ermittlungen der Justiz kontrollieren. Bereits aufgrund älterer Bestimmungen hat die Staatsanwaltschaft kein Recht, gegen Personen vorzugehen, die dem Geheimdienst »geheim Hilfe leisten oder leisteten«; ebenso ist für die Strafverfolger alles tabu, was Aufschlüsse über »Organisation, Taktik, Methoden und Mittel« des FSB gibt.8 Damit verfügt der Geheimdienst inklusive seiner Mitarbeiter faktisch über einen Freibrief, was Ermittlungen gegen ihn betrifft. »Es geht um einen Versuch, den KGB wiederauferstehen zu lassen«, sagt Anna Neistat, Direktorin des Moskauer Büros der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: Die Nachricht habe ihr einen Schauer über den Rücken gejagt.

Geheimdienstler sei man für das ganze Leben, bekannte der spätere Präsident im Juni 1999 als FSB-Chef. Viele hielten diese Worte für einen von Putins Scherzen – und wurden später eines Besseren belehrt. Der Putin-Vertraute Viktor Tscherkessow erklärt 2004 in einem viel beachteten Interview, dass im KGB keinesfalls Henker, Spitzel und Freiheitsunterdrücker gedient hätten, sondern mutige Kämpfer, die den Staat gegen jene verteidigt hätten, die »Instrumente eines fremden, bösartigen Willens« waren – womit er den Westen meint. Vier Jahre nach Putins Amtsantritt sind Dissidenten und Regimegegner wieder die Bösen – und die KGB-Männer die mutigen Vaterlandsverteidiger, die das Sowjetreich vor den bösen Imperialisten schützten. Tscherkessow arbeitete gemeinsam mit Putin beim KGB in Sankt Petersburg. Dort ließ er als einer der letzten KGB-Gebietschefs noch Jagd auf Dissidenten machen, als im Rest des Landes bereits Glasnost herrschte. Heute ist er Chef der Anti-Drogen-Behörde, die im Volksmund »Drogen-Handels-Behörde« heißt und mit mehreren tausend Bewaffneten auch einen Machtfaktor darstellt.

Die Tschekisten, also Geheimdienstler, sind nach Ansicht Tscherkessows »starke und aktive Patrioten«, auf deren Schultern heute – wie früher – »die schwere Last der Bewahrung der russischen Staatlichkeit« liegt. Grundlage der neuen Staatlichkeit sei der »Tschekismus«, so der General. In dieser Ideologie ist der Staat alles, alles andere ist nichts. Wer gegen den Staat ist – also auch gegen den Geheimdienst, der den Staat schützt –, ist ein Feind Russlands. Nicht die allgegenwärtige Korruption, Gesetzlosigkeit und Willkür, gerade auch im Geheimdienst, sind demnach eine Gefahr für Russland – die wahre Bedrohung ist die Kritik an den »Geheimen«.

Natürlich kann man die Ansichten Tscherkessows trotz seiner engen Bande zu Putin als Privatmeinung abtun. Dagegen spricht allerdings, dass Vertreter dieser Weltanschauung heute im staatlich gesteuerten russischen Fernsehen und in den kremltreuen Medien sehr häufig zu Wort kommen, während viele Liberale vom Bildschirm verbannt sind. Dass dem Vaterland Gefahr drohe, dass Russland von Feinden umzingelt sei, das Bild von der »belagerten Festung Russland«, all dies gehört heute zu den Leitmotiven in Fernsehen, Funk und Presse – mit gefährlichen Folgen, auf die später noch einzugehen ist. Die Verklärung des KGB zur Elite innerhalb des Sowjetsystems ist nicht nur gefährlich, sie wider- spricht auch den historischen Tatsachen – die allerdings nur vereinzelt ans Licht der Öffentlichkeit kommen, weil die Geheimdienstzentrale ihre Archive nach einer kurzen Phase der Öffnung Anfang der 1990er Jahre wieder geschlossen hat und »die Tschekisten mit allen Mitteln versuchen, die Wahrheit unter Verschluss zu halten«, wie Nikita Petrow von der Bürgerrechtsorganisation Memorial beklagt.

In ihrem »Schwarzbuch des KGB« berichten der KGB-Überläufer Wassili Mitrochin und der britische Geheimdienstexperte Christopher Andrew eindrucksvoll von den internen, systemtypischen Schwächen des Dienstes: Selbst das Hören westlicher Popmusik wurde als große Gefahr für das Land betrachtet und kontrolliert – wodurch wertvolle Ressourcen gebunden wurden. Aber auch in anderen Bereichen verhedderte sich der Apparat hoffnungslos in unrealistischen Plänen, wie dem Versuch, Willy Brandt, Oskar Lafontaine und andere hohe westliche Politiker als Agenten zu rekrutieren. Solch unsinnige Unterfangen entsprangen der Grundüberzeugung des KGB, dass jedermann bestechlich oder erpressbar sei.

Da sich der KGB im freien Westen mit dem Anwerben von Agenten weitaus leichter tat als westliche Geheimdienste in den Überwachungsgesellschaften des Ostblocks, mangelte es der Ljubjanka nie an Informanten. Dafür fehlte es an der Fähigkeit, deren Informationen richtig auszuwerten und einzuschätzen. Aus Furcht, in Widerspruch mit der politischen Führung zu geraten, scheute der Geheimdienst etwa unter Stalin oder Chruschtschow davor zurück, notwendige Konsequenzen aus seinen Informationen zu ziehen. Auch zur Zeit des Kalten Krieges setzte der KGB stattdessen lieber auf Verschwörungstheorien – worin sein Nachfolger FSB es ihm allem Anschein nach gleichtut. Wie die Sowjetführung einst hinter dem Prager Frühling amerikanische Agenten sah und sich um keinen Preis vom Gegenteil überzeugen lassen wollte, so sehen die heutigen Herrscher im Kreml in der ukrainischen Revolution von 2004 das Werk des Westens und nicht das Resultat eines Versagens der politischen Führung und der eigenen, aus Moskau nach Kiew entsandten Wahlkämpfer. Eben diese kolossale Realitätsflucht hindert auch das System Putin daran, überlebenswichtige Schlussfolgerungen aus den eigenen Fehlern zu ziehen.

Die Fortsetzung finden Sie in Kürze hier auf meiner Seite – den zweiten Teil des Kapitels „Militarisierung der Macht“. 

Die Fortsetzung finden Sie in Kürze hier auf meiner Seite: Militarisierung der Macht. Teil 2.
Den vorherigen, fünften Teil – Putins bombiger Auftakt – finden Sie hier.
Den vierten Teil – Die Herrschaft der Exkremente – finden Sie hier.
Den dritten Teil – Mit Stalin in die Zukunft – die verratene Revolution – finden Sie hier.
Den zweiten Teil – „Der Gas-Schock – Moskaus Warnschuss“ – finden Sie hier.
Den ersten Text der Buchveröffentlichung finden Sie hier

PS: Einige haben vielleicht bemerkt, dass Serie in den vergangenen Tagen ins Stocken gekommen ist. Leider hat mich wieder ein heftiger Infekt niedergestreckt. Ich bin nun aber auf dem Wege der Besserung. Mehr demnächst in meinem „Persönlichen Briefing“.

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