Minderheitsfantasie von Nico Elsner Eine Analyse von Mathematik-Professor Thomas Rießinger

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Die Junge Union macht von sich reden, das gehört zum Geschäft. Nicht nur, dass sie sich gegen die Rentenpläne der mittelgroßen Koalition sperrt und man sich fragen muss, welche verbalen Kunststücke ihre Vertreter wohl vollbringen müssten, um am Ende im Bundestag doch noch zuzustimmen – nein, auch in Sachsen-Anhalt hat sich ihr Vorsitzender mit einem interessanten Vorschlag zu Wort gemeldet. Nico Elsner heißt er und 24 Lenze zählt er, die er offenbar recht gut genutzt hat, denn in seinem beneidenswert jugendlichen Alter hat er es immerhin schon zum Landtagskandidaten der CDU im ehemaligen Wahlkreis des derzeitigen Ministerpräsidenten Haseloff gebracht. Seine Voraussetzungen könnten besser nicht sein. Nach einer Berufsausbildung im Bundeskanzleramt hat er seit 2022 als „Beschäftigter im Büro des Wirtschafts- und Finanzpolitischen Beraters des Bundeskanzlers im Bundeskanzleramt“ gearbeitet, und dass dieser Bundeskanzler weder etwas von Wirtschaft versteht noch in der Lage ist, sich kompetent beraten zu lassen, ist nicht die Schuld von Nico Elsner.

Wenn man aber schon auf einen Sitz im Landtag hofft, dann doch lieber nicht auf den harten und finsteren Bänken der Opposition, sondern voller Freude und Tatendrang als Teil einer Regierungsfraktion. Und damit dabei nichts schief geht, hat Elsner eine bemerkenswerte Idee zu Gehör gebracht: Eine Minderheitsregierung der CDU sei doch in Sachsen-Anhalt kein so übler Gedanke. Nach letzten Umfragen könne es aufgrund der Schwäche von SPD und BSW zu einem Drei-Parteien-Landtag aus CDU, AFD und Linkspartei kommen. Zwar wolle man „alles daransetzen, dass sich diese Frage im September nächsten Jahres überhaupt nicht stellt“, wobei nicht so recht klar ist, wie die CDU dafür sorgen soll, dass SPD und BSW nicht den Landtag auf eher unrühmliche Weise verlassen müssen. In jedem Fall sei er für eine Minderheitsregierung: „In dem Fall, wenn wir dieses Wahlergebnis haben – auf jeden Fall.“

Kopp Vertreibung 2

Nun setzt eine Minderheitsregierung allerdings voraus, dass es keine andere Konstellation mit einem Mindestmaß an Einigkeit gibt, auf der die Regierung beruhen könnte. Sehen wir uns also den aktuellen Stand der Umfragen für Sachsen-Anhalt an. Am 15. Oktober hat das Institut INSA ermittelt, dass bei einer sonntäglichen Landtagswahl 40 % der Stimmen auf die AfD entfallen würden, 26 % auf die CDU, 11 % auf die SED, die sich heute als Die Linke bezeichnet, und jeweils 6 % auf SPD und BSW. Der Rest, einschließlich Grünen und FDP verschwindet im Orkus der Fünf-Prozent-Hürde. Wie es scheint, verwendet Elsner diese Prognose, es ist ja auch die aktuellste.

Offenbar besteht die Möglichkeit eines Drei-Parteien-Landtags, denn sowohl SPD als auch BSW laufen Gefahr, noch ein wenig zu verlieren und dann die Fünf-Prozent-Hürde von der falschen Seite betrachten zu dürfen. In diesem Fall sind verschiedene Konstellationen denkbar. Nehmen wir beispielsweise an, beide gehen etwa eines weiteren Prozents verlustig, sodass sie weniger als 5 % der Wählerstimmen einheimsen können, und nehmen wir weiter an, dass diese Stimmen zu den Grünen, zur FDP oder irgendwelchen anderen Parteien gehen, die sich chancenlos auf dem Markt der politischen Möglichkeiten tummeln. Möglich wäre das, der Schritt von 6 % zu 5% und knapp darunter ist von überschaubarer Größe. Dann sind tatsächlich nur noch drei Parteien im Landtag vertreten, und auf der Basis der letzten INSA-Umfrage teilen sich CDU und SED ein Volumen von 37%, während die AfD 40% der Stimmen auf sich vereinigen kann. Man muss nicht in die Feinheiten der Mandatszuteilung einsteigen, um zu sehen, dass 40 größer ist als 37. In diesem Fall hätte die AfD die absolute Mehrheit der Mandate, weshalb sich die Frage nach einer Minderheitsregierung „überhaupt nicht stellt“, allerdings nicht ganz so, wie es Elsner wohl gemeint hat. Wer es genauer wissen will: Von den 83 Mandaten des Landtages von Sachsen-Anhalt entfallen in dieser Konstellation 43 auf die AfD, 28 auf die CDU und 12 auf die SED; man muss nur beachten, dass in Sachsen-Anhalt die Mandatszuteilung nach dem Verfahren von Hare und Niemeyer berechnet wird.

Aber so muss es ja nicht kommen. Selbst wenn es SPD und BSW nicht mehr schaffen, dann müssen die verlorenen Stimmen nicht unbedingt irgendwo im Dunkel der unbedeutenden Parteien verschwinden, sondern könnten auch an die CDU und die Linkspartei gehen. Tatsächlich müssten sie mindestens drei weitere Prozentpunkte an sich ziehen können, um eine absolute Mehrheit der AfD zu verhindern. Möglich wäre das. Plausibel ist es nicht, weil die Umfragen des Jahres 2025 eine andere Tendenz zeigen. Die Entwicklung zeigt die folgende Tabelle.

Wahlumfragen Sachsen-Anhalt
16.01.25 19.06.25 04.09.25 15.10.25
AfD 31% 30% 39% 40%
CDU 32% 34% 27% 26%
Linke 4% 11% 13% 11%
SPD 8% 7% 7% 6%
BSW 14% 8% 6% 6%

Wie man sieht, bewegte sich die AfD im ersten Halbjahr um die 30 %, während sie später auf 39 % bis 40 % stieg – die Politik der mittelgroßen Koalition von Friedrich Merz trägt eben auch in Sachsen-Anhalt erste Früchte. Auf der anderen Seite hielt sich die CDU im ersten halben Jahr noch wacker, sackte dann aber deutlich unter 30 % ab und scheint sich daher eher in einer Phase des Abwärtstrends zu befinden. Die SED hat sich rechtzeitig zur Bundestagswahl aus ihrer Agonie befreit, was nicht jeden zu Beifallsstürmen bewegen muss, und könnte ihr vorläufiges Hoch bereits im September erreicht haben, das sie inzwischen wieder unterschreitet. Den klaren Weg nach unten von SPD und BSW muss ich nicht kommentieren.

Es ist daher kaum vorstellbar, dass von SPD und BSW verlorene Stimmen ausgerechnet an die CDU gehen sollten, schon deshalb nicht, weil Friedrich Merz und sein Kabinett ein derart erbärmliches Bild abgeben, dass man auch im Rahmen einer Landtagswahl die Wirkung spüren dürfte. Die frisch zum Leben erwachte SED ist als Adressat abgewanderter SPD- und BSW-Stimmen schon eher denkbar, aber eben auch die AfD, denn man sollte nicht außer Acht lassen, dass die SPD schon lange keine Partei der arbeitenden Bevölkerung mehr ist, die sich in den letzten Jahren verstärkt der AfD zugewendet hat.

Gehe ich nun davon aus, dass SPD und BSW unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen, indem sie jeweils knapp mehr als ein Prozent an die SED abgeben, dann ändert sich an den oben angegebenen Mehrheitsverhältnissen im Landtag nicht viel: 42 Sitze für die AfD, nur noch 27 für die CDU, dagegen 14 für die Linkspartei – das reicht nicht für eine Minderheitsregierung der CDU, sondern für eine absolute Mehrheit der AfD. Verlieren die beiden Verliererparteien insgesamt sogar drei Prozentpunkte, die vollständig an die SED gehen, sieht die Sache anders aus, denn jetzt geht einer der AfD-Sitze an die SED, die auf 15 Sitze kommt. Geht ein etwas kleinerer Anteil der umgeleiteten Stimmen an die SED, dafür auch ein wenig an die CDU, entsteht schon wieder eine neue Lage, denn dann verfügt die AfD wieder über eine absolute Mehrheit der Mandate, obwohl ich sie in dieser Betrachtung stets bei 40 % der Stimmen habe stehen lassen. Jeder kann zu seinem eigenen Vergnügen verschiedene Möglichkeiten durchspielen und wird erstens feststellen, dass SPD und BSW zusammen drei Prozentpunkte verlieren müssen und zweitens, dass diese verlorenen Stimmen zum überwiegenden Teil auf das Konto der SED, der Linkspartei, verbucht werden müssen, damit die CDU überhaupt die Chance hat, über eine Minderheitsregierung nachzudenken. Und dabei habe ich noch keine mögliche Steigerung des AfD-Ergebnisses berücksichtigt. Denn wenn sich, um nur ein Beispiel zu nennen, die drei unter Umständen verlorenen Prozentpunkte gleichmäßig auf AfD, CDU und SED verteilen, dann stehen die Chancen schlecht für die von Elsner angestrebte Minderheitsregierung: Die AfD erhält sogar 43 Sitze, die CDU 28 und die SED nur noch 12.

Genug der Rechenspiele. Wie man sieht, sprechen die aktuellen Umfragen und auch der Trend aller Umfragen dieses Jahres nicht für die Elsner-Variante einer CDU-geführten Minderheitsregierung. Theoretisch möglich ist sie, sehr wahrscheinlich ist sie nicht.

Die Lage ist eine andere, wenn es bei den Werten der letzten INSA-Umfrage bleiben sollte. Auch die kann man in Mandatszahlen umrechnen. Die AfD erhält dann 37 Mandate, die CDU 24, die SED 10, und SPD und BSW jeweils 6. Von einer absoluten Mehrheit sind somit alle weit entfernt, und wenn man bei der CDU nicht gerade mit der Linkspartei koalieren will – zuzutrauen wär’s ihnen – ist eine Minderheitsregierung aus CDU, SPD und BSW mit insgesamt 36 Stimmen im Landtag möglich. Wie man damit allerdings eine auch nur ansatzweise konservative Politik betreiben will, ohne auf die Stimmen der AfD zurückzugreifen, kann Elsner bei Gelegenheit gerne erklären.

Immerhin hat er die Möglichkeit einer Minderheitsregierung erwogen, wenn auch nur in Sachsen-Anhalt, denn auf Bundesebene lehnt er sie entschieden ab. Damit bewegt er sich in trauter Gesellschaft mit Bundeskanzler Friedrich Merz, der so etwas vor wenigen Tagen ausschloss und meinte: „Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, wir könnten in diesem Deutschen Bundestag mit wechselnden Mehrheiten arbeiten und da noch vernünftige Gesetzgebungsarbeit machen?“ Dagegen vertritt Nico Elsner einen geradezu mustergültigen Realismus. Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, man könnte mit Klingbeils katastrophaler Koalition „vernünftige Gesetzgebungsarbeit machen“? Bisher hat das nicht funktioniert und nichts spricht dafür, dass sich das noch verbessert, denn das agierende Personal wird nicht klüger.

Es kann nicht schaden, wieder einmal Goethes Faust zu zitieren. In der Szene „Vor dem Tor“ lässt Goethe einen Bürger die folgenden klaren Worte aussprechen:

„Nein, er gefällt mir nicht, der neue Burgemeister!
Nun, da er’s ist, wird er nur täglich dreister.
Und für die Stadt was tut denn er?
Wird es nicht alle Tage schlimmer?
Gehorchen soll man mehr als immer,
Und zahlen mehr als je vorher.“

Mit „Burgemeister“ ist der Bürgermeister gemeint, doch diese Verse gelten auch für viele andere. Ob Bundeskanzler oder Vizekanzler, ob Ministerpräsident oder Landtagskandidat – Goethe hat sie schon vor etwa 200 Jahren in aller Deutlichkeit beschrieben.

Vielleicht sollten die Menschen wieder häufiger die Klassiker lesen.

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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Filmbildfabrik/Shutterstock.com

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