Neue 3G-Regel: Karawane der Ungeimpften vor dem Werkstor VW-Wolfsburg schickt Mitarbeiter in „höherer zweistelliger Zahl“ nach Hause

Von Alexander Wallasch

Volkswagen hat es dann doch noch hinbekommen. Nachdem reitschuster.de sich noch am Dienstagvormittag von einem Sprecher des Konzerns über Details der auch für VW ab Mittwoch geltenden 3G-Einlasskontrollen berichten ließ – woraufhin wir kritisch anmerkten, dass die Trennung am Tor von Geimpften und Ungeimpften in vielerlei Hinsicht bedenklich sei –, sprach ein Sprecher darüber mit der eigens für die neue 3G-Verordnung bei Volkswagen eingerichteten „Taskforce“.

Am Mittwoch zur Spätschicht informierten wir uns persönlich vor Ort an zwei Werkstoren von Volkswagen Braunschweig. Und es machte tatsächlich den Eindruck, als hätte VW die Bedenken ernst genommen. So weit von außen ersichtlich, waren die Einlasskontrollen für alle Mitarbeiter gleich, und das unabhängig vom Impfstatus.

Ursprünglich war das nicht so geplant: Zunächst hieß es nämlich in einer Information für alle Mitarbeiter, dass Geimpfte und Genesene mit ihrem digitalisierten Werksausweis „wie üblich die Werkstore passieren können“.

Die Gefahr unschöner Bilder bestand also insofern, dass die Geimpften rechts vorbei durchs Tor marschieren würden wie gehabt, während sich die Ungeimpften links in einer langen Schlange auf lange Wartezeiten einrichten müssten, welche dann auch noch unbezahlt blieben: „Die Wartezeit an den Werkstoren ist keine Arbeitszeit.“

Aus gut informierten Volkswagenkreisen erfuhr reitschuster.de im Laufe der Recherche allerdings, dass es bei den befürchteten längeren Wartezeiten doch nicht sofort zu Lohnkürzungen kommen würde. War alles davor also nur eine Art Erziehungsmaßnahme?

Die örtliche Zeitung für Wolfsburg berichtete über die neuen Kontrollen so: „Es hat sich gelohnt: Die Schichtwechsel funktionierten reibungslos. In den kommenden Tagen soll es sogar noch besser laufen.“

„Reibungslos“ verlief es allerdings nicht ganz. Auf Nachfrage sagte ein Sprecher, dass an den Werkstoren allein bei VW-Wolfsburg Mitarbeiter in „höherer“ zweistelliger Zahl nach der neuen 3G-Regel abgewiesen werden mussten. Uns gegenüber kommentiert wurde das so: „Die Kolleginnen und Kollegen waren wirklich – bis auf geringe Ausnahmen – bestens präpariert.“ Auf die Frage, wie denn die Stimmung zwischen Geimpften und Ungeimpften in den Volkwagenwerken sei, antwortet ein Sprecher reitschuster.de: „Das ist kein Thema unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Nicht, dass mir dies jedenfalls zu Ohren gekommen ist. Es ist die Entscheidung des Einzelnen. Und am Band oder Büro wird ja nicht unterschieden.“

Aber nicht nur Volkswagen stand vor der Aufgabe, die 3G-Regel schon ab Mittwoch einzuführen. Die Redaktion erreichten eine Reihe von Nachrichten, die aus unterschiedlichen Branchen über die Art der Umsetzung berichteten. Die Sensibilität, die wir womöglich mit unseren Fragen bei Volkswagen wecken konnten, zündete bei weitem nicht bei allen Unternehmen.

Aber kurz noch ein Blick auf die Testcenter, denn dort müssen die Ungeimpften im Vorfeld ihren 24-Stunden-Test machen und sich für eine Vorlage am Werkstor schriftlich zertifizieren lassen. Hier kam es am Vortag der Einführung der 3G-Regel zu Verwerfungen. So musste in Wolfsburg, wo das Stammhaus von Volkswagen steht, die Polizei anrücken: Ein Testcenter war so überlaufen, dass die Karawane der Ungeimpften in Wolfsburg für ein Verkehrschaos sorgte. WAZ-online schrieb dazu: „Die Autostadt erweitert ab Mittwoch die Öffnungszeiten der Teststation.“

Andernorts, so wurde es der Redaktion berichtet, wäre es bei einem Testcenter im Volkswagen-Einzugsgebiet sogar zu Terminvergaben mit bis zu einer Woche Wartezeit gekommen – das allerdings nutzt den Kollegen überhaupt nichts, denn sie müssen ihre Testergebnisse alle 24 Stunden erneuern.

Kommen wir zu den Nachrichten, welche die Redaktion über unterschiedliche soziale Kanäle erreichten: Ein Arbeitnehmer schickte uns eine Benachrichtigung seines Arbeitgebers und leitete seine Email folgendermaßen ein:

Anbei eine Mail meines Arbeitgebers. Ich bin schockiert, Menschen werden in verschieden farbige Karten eingeteilt. ICH BEKOMME ECHT ANGST!

Tatsächlich steht dann in der angehängten Mitarbeiterinformation:

In den nächsten Tagen wird allen Beschäftigten je nach Impfstatus eine farbige Karte ausgehändigt. Mit diesen soll die Überprüfung beim Zugang zum Gebäude erleichtert werden.

Hier will man gar nicht weiter darüber nachdenken, welche Farben hier ausgewählt wurden: Grün für Geimpfte, Gelb für Genesene und Rot für Ungeimpfte? Besagtes Unternehmen ist „Testsieger im Preis-Leistungs-Verhältnis und Kundenservice“, erfährt man übrigens ebenfalls noch.

Ein Leser berichtet vom Druck auf Ungeimpfte in seinem Unternehmen so:

Ehrlich gesagt bin ich am Ende meiner Kräfte, aber werde mich nicht von meinen Überzeugungen abbringen lassen. Bei Besprechungen gilt 2G, d.h. der Sitzungsleiter MUSS den Kollegen XY nach dem Impfstatus vor versammelter Mannschaft fragen. Wer keine Aussage treffen möchte oder ungeimpft ist, wird des Raumes verwiesen.

Und weiter schreibt er:

Es wird Zwietracht geschürt, ganz bewusst Management getrieben. Es wird uns unterstellt, dass wir unsere Familien in Gefahr bringen etc., und das wird öffentlich im Intranet gepostet. Es ist einfach nur noch unfassbar und kaum auszuhalten.

Und in einem Schreiben des Unternehmens an seine Mitarbeiter, das reitschuster.de vorliegt, heißt es:

Impfverweigerer gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Familienmitglieder, Kollegen und Mitbürger. In einer sozialen Gesellschaft ist es eben nicht „Privatsache“, wie man seine und die Gesundheit anderer schützt.

Auch eine Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt sendet eine Nachricht mit einer Dienstanweisung ihres Arbeitgebers und schreibt uns dazu: „Ja, es ist gruselig, was hier los ist und auch in meiner Familie kam nun diese Dienstanweisung der menschenfreundlichen AWO.“

Von Volkswagen über die AWO zu Porsche: Auch aus dem Unternehmen des Sportwagenherstellers werden uns Anweisungen zu 3G zugespielt, da heißt es unter anderem, dass zunächst allen Mitarbeiter die Zutrittsberechtigung ins Werk entzogen wurde. Und auch hier prominent platziert wieder der Hinweis, wie schon zuvor bei Volkswagen, dass ein Vergütungsanspruch verwehrt würde.

Die fast einhundert Mitarbeiter, die allein in Wolfsburg abgewiesen wurden, fehlten am Arbeitsplatz. Wie wird das in Zukunft sein? Werden immer wieder Tests nicht anerkannt oder gar Impfbescheinigungen, die älter als fünf Monate sind?

Und sollen hier im Vorfeld deutsche Unternehmen etablieren, was dem Bürger bald jederzeit von Polizei und Ordnungsdiensten auf offener Straße passieren kann? Wird demnächst nach Hause oder an einen ganz anderen Ort geschickt, wer sich auf der Straße nicht gemäß 3G ausweisen kann? Die Sorgen der Mitarbeiter vieler Unternehmen wachsen mit den Maßnahmen.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

 
Bild: privat
Text: wal

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