Von Kai Rebmann
Über die A45 verläuft eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen Nordrhein-Westfalens. Eigentlich! Denn seit gut einem Jahr gibt es durch die Vollsperrung der Rahmede-Talbrücke auf Höhe Lüdenscheid ein Nadelöhr. Der Fernverkehr kann die Region weiträumig umfahren, alle anderen müssen aber wohl oder übel den Weg durch die Stadt wählen. Seit Dezember 2021 wälzt sich deshalb eine aus bis zu 20.000 Fahrzeugen bestehende Blechlawine, rund ein Drittel davon sind Lkw, durch Lüdenscheid. Ein Ende des Verkehrschaos ist nicht in Sicht, da mit dem Beginn des Neubaus der Rahmede-Talbrücke nach derzeitigem Stand frühestens im Jahr 2026 zu rechnen ist. Anwohner der Umleitungsstrecke und die Opposition im Düsseldorfer Landtag stellen jetzt immer öfter die Frage, welche Rolle Hendrik Wüst (CDU) bei dem Skandal spielt. Der heutige NRW-Ministerpräsident und frühere Verkehrsminister hat sich in den vergangenen Monaten offenbar in einem Netz aus Lügen und Vertuschungen verstrickt, so zumindest der Vorwurf der politischen Gegner.
Planfeststellungsverfahren sorgt für Verschiebung des Neubaus
Die Vorgeschichte beginnt im Jahr 2014 mit der Entscheidung gegen eine Sanierung und für einen Neubau der Rahmede-Talbrücke auf der A45 bei Lüdenscheid. Hendrik Wüst war damals noch einfacher Abgeordneter im NRW-Landtag in Düsseldorf und wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Nach der Landtagswahl 2017 kam die CDU in Regierungsverantwortung und Wüst stieg zum Verkehrsminister auf, ehe er im Oktober 2021 Nachfolger von Armin Laschet als Ministerpräsident wurde. Im Dezember 2021 kam es wegen Baumängeln und daraus resultierenden Sicherheitsbedenken schließlich zur Vollsperrung der Rahmede-Talbrücke und zu dem seither anhaltenden Verkehrschaos in und um Lüdenscheid. Die wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang lauten nun, ab wann der damalige Verkehrsminister Wüst über die massiven Verzögerungen beim Neubau Bescheid wusste und vor allem, weshalb diese Informationen vor der Öffentlichkeit vertuscht werden sollten.
Dem Portal „t-online“ liegt eigenen Angaben zufolge ein im Mai 2020 beginnender Schriftwechsel zwischen der Staatskanzlei und dem Verkehrsministerium vor. Kanzleichef Nathanael Liminski informiert darin offenbar über einen Termin bei der IHK in Siegen, bei dem es um verschiedene Projekte entlang der A45 gehen soll, unter anderem auch um die Rahmede-Talbrücke. Ein Sachbearbeiter hält dazu fest, dass Liminski für den Fall von „problematischen Aspekten“ um „zusätzliche Sprachregelungen“ gebeten habe. Nachdem die IHK die Staatskanzlei darauf hingewiesen hatte, dass das Genehmigungsverfahren lange dauern werde und sehr kompliziert sei, was sich wohl insbesondere auf das Erfordernis eines Planfeststellungsverfahrens bezog, zeigte sich der Sachbearbeiter überrascht. Soweit er wisse, habe es „doch auf unterschiedlichen Ebenen organisatorische Maßnahmen gegeben.“
Diese Informationen haben ausweislich des dokumentierten Schriftverkehrs zumindest noch Thomas Dautzenberg, den damaligen Büroleiter im Verkehrsministerium und heutigen Landtagsdirektor erreicht. Danach verliert sich die Spur. Denn: Alle weiteren E-Mails in dieser Angelegenheit sind offenbar gelöscht worden – und zwar sowohl in der Staatskanzlei als auch im Verkehrsministerium. Henning Höne, Chef der FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, nennt diesen Vorgang einen „sehr großen und vor allem sehr angenehmen Zufall“ für Hendrik Wüst und seine Regierung, dass der Schriftwechsel genau an der Stelle abbricht, „wo es spannend wird“. Am Mittwoch warf der Liberale daher die Frage auf: „Welches Verhältnis hat dieser Ministerpräsident eigentlich zur Wahrheit?“
Hendrik Wüst mehrfach beim Lügen erwischt
Denn auf den Zeitpunkt, wann Hendrik Wüst von der Verschiebung des Großprojekts auf der A45 erfahren hat, kommt es durchaus an. Dass der damalige Verkehrsminister darüber Bescheid wusste, sollte als gesichert angenommen werden, da alles andere kaum vorstellbar erscheint. Trotzdem hat Wüst vor der Landtagswahl 2022 so getan, als sei die Verschiebung des Neubaus schon vor seinem Amtsantritt als Verkehrsminister bekannt gewesen. Nachdem diese Darstellung widerlegt worden war, behauptete er nach der Wahl dann, es gebe dazu im Verkehrsministerium keine Unterlagen mehr, was ebenfalls gelogen war. Kurz vor dem Jahreswechsel dann die nächste Kehrtwende. Nun sollte die Entscheidung für die Verschiebung alleine auf fachliche Gründe zurückzuführen sein, eine politische Einflussnahme auf die Planung des Projekts habe es nicht gegeben.
Alexander Vogt, stellvertretender Fraktionschef der SPD, tut sich ebenfalls schwer, beim Verschwinden der E-Mails zwischen Verkehrsministerium und Staatskanzlei an einen Zufall zu glauben: „Wie brisant muss eigentlich ein Mailverkehr gewesen sein, dass die Landesregierung anscheinend vorsätzlich zum Mittel der Löschung greift?“ Er frage sich, wovor Wüst und die weiteren Verantwortlichen „so viel Angst“ haben. Nachdem es aus den Reihen der FDP nur vage Andeutungen in Richtung der möglichen Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gegeben hatte, stellte die AfD kurz darauf einen offiziellen Antrag. Der Haken: Die Alternativen sind dabei auf weitere Stimmen aus der Opposition angewiesen, welche sie den bisherigen Erfahrungen nach zu urteilen wohl nicht bekommen werden.
Hendrik Wüst wollte sich im Rahmen der Debatte am Mittwoch nicht selbst dazu äußern und schickte stattdessen Nathanael Liminski vor. Der Chef der Staatskanzlei entgegnete den Kritikern, dass die Transparenz der Landesregierung nichts zu wünschen übrig lasse, sondern vielmehr „ihres Gleichen“ suche. Den Vorwurf, Mails nicht ordnungsgemäß zu den Akten gelegt zu haben, bezeichnete er als „ungeheuerlich“. Wo diese dann abgeblieben sind oder weshalb sie mutmaßlich gelöscht worden sind, blieb aber dennoch offen. Die Staatskanzlei teilte dazu mit: „Am wahrscheinlichsten ist, dass (der E-Mailverkehr) – entsprechend einer üblichen Handhabung bei vergleichbaren Informationsbeschaffungen – nicht zu den Akten genommen worden ist.“ Das Verkehrsministerium erklärte dazu, dass der Vorgang „keine Aktenrelevanz“ gehabt habe. Seltsam nur, dass die weitaus weniger relevanten Teile des Schriftverkehrs dann trotzdem archiviert worden sind.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog. Bild: Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia CommonsMehr von Kai Rebmann auf reitschuster.de