Die Regierung der Alpenrepublik macht einen kardinalen Rückzieher: Sie setzt die Corona-Impfpflicht aus. Sie sei bei der vorherrschenden Omikron-Variante nicht verhältnismäßig, teilte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Mittwoch in Wien mit. Als Grundlage für ihre Entscheidung nannte sie den Bericht der Impfpflichtkommission. Endgültig sei der Verzicht noch nicht, so Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne): Im Mai oder Juni solle neu entschieden werden. Dies klingt aber eher nach einer gesichtswahrenden Lösung, um den Rückzug wenigstens etwas zu tarnen.
So führen die beiden Minister die Tarnung denn auch noch aus: Man wolle flexibel auf die Situation reagieren – dies sei stets so vorgesehen gewesen, betonten sie. Fakt ist: Das Gesetz ist auf Eis gelegt, die Impfpflicht gilt in Österreich nicht mehr. Egal wie oft Edtstadler noch betont, man könne es gegebenenfalls wieder aktivieren.
De jure galt die Impfpflicht in Österreich seit Anfang Februar. Strafen waren aber erst ab 15. März vorgesehen: Mit Geldstrafen von bis zu 3.600 Euro musste rechnen, wer bis dahin keinen Impfnachweis hatte. „Mit diesem Schritt war Österreich ein Vorreiter in der EU, eine allgemeine Impfpflicht für Erwachsene ab 18 Jahren sollte eine Überlastung der Krankenhäuser verhindern“, schreibt „Spiegel Online“: „In anderen Ländern gab es nur altersspezifische Vorschriften. Die Aussetzung der Impfpflicht kommt sechs Tage, bevor es flächendeckende Kontrollen und Anzeigen bei Verstößen geben sollte. Bei den Erstimpfungen hat Österreich eine Quote von 76 Prozent, 70 Prozent der Bevölkerung sind zweimal geimpft, 54 Prozent dreimal.“
Die Einführung der Impfpflicht blieb in Österreich praktisch wirkungslos, so „Spiegel Online“: „Seit Anfang Februar haben sich nur etwa 26.000 bis dahin ungeschützte Menschen gegen das Coronavirus impfen lassen. Indes sorgt die Omikron-Variante weiter für hohe Infektionszahlen. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 2.500 pro 100.000 Einwohnern, etwa doppelt so hoch wie in Deutschland. Jüngst wurden in Österreich fast alle Coronabeschränkungen aufgehoben, da die Lage in den Kliniken als stabil gilt.“
Die große Frage ist: Wird Deutschland sozusagen als europa-, ja weltweiter Geisterfahrer in der Corona-Politik weiter an der Impfpflicht festhalten? Die erste Beratung zu dem Thema ist am kommenden Donnerstag, den 17. März, im Bundestag geplant. Schon am 18. März ist die Abstimmung vorgesehen. Bundeskanzler Olaf Scholz hält bisher ebenso weiter an der Impfpflicht fest wie sein Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Werden sie wirklich bis zuletzt an einer allzu offensichtlich falschen Entscheidung festhalten, gegen den Trend in der ganzen Welt, oder reicht die Vernunft, um einen Fehler einzugestehen? Leider scheint Letzteres alles andere als sicher.
PS: Die Antwort auf die Frage im letzten Absatz bekam ich heute auf der Bundespressekonferenz:
Derzeit bin ich leider wieder von Facebook für 30 Tage gesperrt. Ich habe einen Anwalt eingeschaltet, damit dieser gegen die Sperrung vorgeht. Das geht nur mit Ihrer Hilfe. Ich freue mich sehr über Unterstützung – per Paypal, oder Banküberweisung und Patenschaft. Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut! Bild: ShutterstockÖsterreich setzt die Impfpflicht aus, weil unverhältnismäßig. Ich fragte gerade auf der Bundespressekonferenz, ob Scholz dennoch an ihr festhält, und wenn ja, was bei uns anders ist als in Österreich. Antwort: Er hält daran fest. Was anders ist, wurde nicht beantwortet. pic.twitter.com/4e2V0ujpgD
— Boris Reitschuster (@reitschuster) March 9, 2022
Text: br