Von Daniel Weinmann
Die finanzielle und personelle Ausstattung deutscher Krankenhäuser war bereits vor der Coronakrise katastrophal. Es mangelte an Zeit und Geld – was zu Fehlern führte, die im schlimmsten Fall Leben kosten. Das Gefühl, Patienten im Akkord wegpflegen zu müssen, und die enorme Arbeitsbelastung bringen heute viele Pflegekräfte an ihre physischen und psychischen Grenzen. Jede dritte Pflegekraft denkt laut Umfragen regelmäßig über einen Ausstieg aus ihrem Beruf nach. Laut Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates, fehlen derzeit 200.000 Pflegekräfte.
„Wir warnen vor einem massiven Versorgungsengpass in allen Bereichen der Pflege“, zitiert die Münchener „tz“ Marliese Biederbeck, Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe Südost. Als besorgniserregend erachtet sie nicht nur die Situation auf den Intensivstationen, ebenso mangele es in der ambulanten Pflege und der stationären Altenhilfe an Fachkräften.
Eine Analyse des Deutschen Krankenhaus-Institutes (DKI) offenbart, dass knapp drei Viertel der Kliniken durch Kündigungen, interne Stellenwechsel oder Arbeitszeitreduktionen weniger Intensivpflegepersonal zur Verfügung haben als vor Jahresfrist.
Bislang nur warme Worte der neuen Bundesregierung
Geht es nach der Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler, wird sich die Lage weiter zuspitzen: „Wir wissen, dass 2030 ca. 500.000 Pflegekräfte fehlen werden. Eine vakante Stelle in der Pflege bleibt heute im Schnitt circa 240 Tage unbesetzt.“ Das Pflegepersonal bedürfe einer glaubwürdigen Zusage, dass sich die Politik um bessere Arbeitsbedingungen kümmere, fordert denn auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Meta Janssen-Kucz.
Seitens der neuen Bundesregierung gab es bisher jedoch nur warme Worte. „Für die besonders geforderten Pflegekräfte werden wir eine Bonuszahlung veranlassen“, versprach Kanzler-Novize Olaf Scholz (SPD) anlässlich der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Eine Milliarde Euro wolle seine Ampel-Koalition dafür bereitstellen.
Die Sonderzahlung sollte dieser Tage auf den Weg gebracht werden. Doch das verfrühte Weihnachtsgeschenk wird nicht ankommen, das Zusatzbonbon wurde auf Anfang kommenden Jahres verschoben. Es sei unklar, wer zum Kreis der Empfänger gehöre, lautete die nebulöse Begründung. „Die alte Bundesregierung konnte hinsichtlich der Anzahl der besonders betroffenen Pflegekräfte in der Intensivmedizin keine genauen Angaben machen“, sagt der Gesundheitsexperte der Grünen, Janosch Dahmen.
Felix Walcher, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie an der Uniklinik Magdeburg und designierter Präsident des Intensivmedizinerverbandes DIVI, macht seinem Ärger so Luft: „Die Verschiebung des Pflegebonus aufgrund eines angeblichen Verteilungsproblems zeigt die Starrheit des Systems und wird die Pflegenden erneut enttäuschen und verärgern.“
Eine signifikante Personalaufstockung ist unerlässlich
Für Christine Vogler vom Deutschen Pflegerat ist das monetäre Zuckerl ohnehin ein falscher Anreiz. Es sei „nicht mehr als das verschämte Zugeständnis, dass die Pflege zwar mehr Geld verdient, man aber nicht bereit ist, die Beschäftigten dauerhaft anständig zu bezahlen.“ Statt einer Prämie fordert sie anständige Löhne.
Für Bayerns Landesvater Söder scheint dies eine Option zu sein. Seine Regierung hat jüngst eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel angeschoben, ab Januar zumindest für zwölf Monate das Gehalt der Intensivpfleger zu verdoppeln. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass dieser Vorstoß erst erfolgte, nachdem die Union auf der Oppositionsbank Platz nehmen musste.
Eine – wenn auch zeitlich begrenzte – Gehaltserhöhung ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Nachhaltig verbessern wird sich die Lage laut Gesundheitsökonomen aber erst, wenn deutlich mehr Personal auf den Stationen arbeitet. Die Ampel-Regierung wird ihren Worten entsprechende Taten folgen lassen müssen.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: ShutterstockText: Gast