Vielleicht liegt es an Übermüdung, aber manchmal lässt einen der eigene journalistische Instinkt im Stich. Oder zumindest halb. Und dann freut man sich umso mehr über das, worüber man sich sonst ärgert: Wenn Kollegen bei einem abschreiben bzw. Anregungen finden und dann die Quelle nicht erwähnen. In diesem Falle meine ich nicht die „Berliner Zeitung“. Die griff unseren Bericht über den plötzlichen und unerwarteten Tod des 7-jährigen Yonatan auf, der es als Aushängeschild der Impfkampagne in Israel zu landesweiter Bekanntheit gebracht hatte. So tragisch der Anlass war, so gut ist es, wenn man als freier Journalist mithelfen kann, solchen Druck aufzubauen, dass die großen Medien derartige Themen nicht mehr alle verschweigen können.
Im konkreten Fall geht es mir aber um einen Post, den ich in Sachen Habeck am Sonntag auf Telegram, X, Facebook & Co. veröffentlicht habe. Der Text: „Das ist die schönste Selbstentlarvung des Jahres! Habeck bei Will in der ARD: ‚Wir haben die Wirklichkeit noch nicht ganz reingeholt in die politische Diskssion!‘ Gestern galt es noch als böse, böse Schwurbelei, wenn man sagte, dass Rot-Grün von der Realität losgelöst ist ;-)))“
Heute lese ich dann im Focus einen langen Kommentar des Kollegen Hugo Müller-Vogg mit folgender Überschrift: „Habeck erklärt in der ARD das ganze Dilemma der Grünen – in einem Satz.“
Hut ab vor dem Kollegen!
Denn im Gegensatz zu mir hat er erkannt, dass die Aussage von Habeck viel zu wichtig ist, um nur einen kurzen Post in den sozialen Netzwerken zu machen. Zumal der Minister seinen Sinnspruch auch noch durch einen Seufzer ergänzte, der genau die gleiche Stoßrichtung hatte: „Wir sind umzingelt von Wirklichkeit.“
Was für ein Bild! Da sitzt der sonnengebräunte Kinderbuchautor mit der nicht nur in Sachen Lebenslauf sorgsam frisierten Annalena gemeinsam beim Kindergeburtstag, will sagen, im Kabinett, machen sich so schöne Pläne, wie die Welt rot-grüner werden soll und das Leben ein einziger Kindergeburtstag für alle außer den bösen „Nazis“ wie unseresgleichen – und dann kommt da die böse Realität und umzingelt sie, die Kämpfer für alles Gute und gegen alles Schlechte.
Sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich die ebenso infantile wie gefährliche rot-grüne Weltsicht hier auch sprachlich nachzuahmen versucht habe.
Aber zurück zu nüchterner Analyse: Tatsächlich agieren unsere rot-grünen Politiker in vielen Bereichen losgelöst von der Realität: Ob das ihre Haushalts-Tricksereien sind, die gegen das Grundgesetz verstoßen. Ob das ihr irrer Anspruch ist, das Weltklima am deutschen Wesen genesen lassen zu können. Oder ihre Politik der „offenen Grenzen“, die dabei ist, Deutschland zum Sozialamt der Welt zu machen. Oder ihre kindliche Freude, dass wir „Menschen geschenkt bekommen“.
Die grüne Politik steht in der Tradition von Pippi Langstrumpf: „Ich mach’ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.“
Habeck wirkte bei seinen Aussagen bei Anne Will wie ein kleines Kind, das im Glauben, es könne fliegen, von einer Mauer fällt – und dann schmerzhaft Erfahrung mit der Schwerkraft und mit dem Boden macht.
Insofern ist es fast etwas Tröstliches, wenn man nun, nachdem man lange vor genau dieser Realitätsferne der Grünen gewarnt hat, von einem ihrer Chef-Ideologen die Bestätigung für die eigenen Warnungen bekommt.
Nur „fast“ tröstlich ist Habecks sicher unbedachtes Eingeständnis, weil es natürlich besser wäre, wenn die pessimistische Diagnose „Realitätsflucht“ falsch gewesen wäre.
So aber ist der Schaden bereits riesig. Und in vielem irreversibel.
Um es mit der Ausdrucksweise Habecks zu sagen: diese böse, böse Realität.
Aber die Grünen werden es wohl mit Hegel halten. Der sagte einst sinngemäß: „Wenn die Tatsachen nicht mit der Theorie übereinstimmen – umso schlimmer für die Tatsachen.“
Genau in dieser Denkschule stehen Habeck, Baerbock und Genossen.
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