Polizeimeldungen sind in der Regel keine ansprechende Lektüre, der Spannungsgehalt geht gegen null, und auch der literarische Wert ist meistens eher bescheiden (was kein Vorwurf an die Polizei sein soll, sie hat Wichtigere Aufgaben als Schönschreiben).
Aber in Zeiten, in denen die wichtigsten Dinge in Nachrichten oft ganz am Schluss kommen, ist es auch bei Polizeimeldungen geradezu Pflicht, sich bis ganz zum Ende durchzukämpfen. So wie die, um die es in diesem Beitrag geht, und die gestern in Berlin veröffentlicht wurde. Was die Beamten zu berichten haben, ist geradezu ein Sittengemälde des heutigen Deutschlands – und die eigentliche Pointe kommt erst ganz am Schluss.
In Russland gibt es ein Sprichwort, das besagt, dass man aus einem Lied keine Wörter herausstreichen kann, und so ist es auch bei dieser Meldung – deshalb hier in voller Länge, und mit der Versicherung, dass Sie ihre Geduld nicht bereuen werden Polizeibeamte bei Personenkontrolle verletzt
Gestern Mittag wurden zwei Polizisten im Rahmen einer Personenkontrolle in Kreuzberg verletzt. Ersten Erkenntnissen nach sollen die Zivilbeamte des Verkehrsdienstes gegen 13.30 Uhr von Vater und Sohn im Alter von 41 und 17 Jahren in der Wrangelstraße angepöbelt worden sein, nachdem diese ihr Fahrzeug verließen und in ein Restaurant gingen. Die Verkehrsbeamten schauten sich das Auto der beiden daraufhin genauer an und sollen Manipulationen am Siegel der Kennzeichen festgestellt haben. Die Polizisten betraten daraufhin das Lokal und gaben sich gegenüber Vater und Sohn als Polizeibeamte zu erkennen und erkundigten sich nach den Fahrzeugpapieren des VW. Mit der Angabe, diese seien im Fahrzeug, begaben sich alle Beteiligten zum Auto und die zu Kontrollierenden setzten sich ins Fahrzeug, um vermeintlich nach den Dokumenten zu suchen. Der auf dem Fahrersitz sitzende 41-Jährige steckte plötzlich den Fahrzeugschlüssel in Zündschloss und startete den Motor.
Der Polizeimeister habe sich daraufhin durch die offene Fahrertür in das Auto gelehnt, um den Autoschlüssel abzuziehen und so den Fahrer am Wegfahren zu hindern. Der 41-Jährige habe den 28-jährige Beamten daraufhin mit Faustschlägen ins Gesicht und auf den Brustkorb traktiert, um diesen von seinem Vorhaben abzubringen. Als dies keine Wirkung zeigte, habe der Tatverdächtige den Rückwärtsgang eingelegt und den Polizisten einige Meter mitgeschleift. Der Beamte, dessen Brille bei dem Angriff beschädigt wurde, zog sich eine blutende Lippe sowie Schürfwunden zu. Es gelang ihm jedoch trotzdem, die Handbremse an- und schließlich auch den Fahrzeugschlüssel abzuziehen Der an der Beifahrerseite des Autos stehende Polizeiobermeister bemerkte zuvor das Wegfahren des Fahrzeuges und soll mit seiner Dienstwaffe die Beifahrerscheibe eingeschlagen haben. Der 17-jährige Beifahrer fing nun ebenfalls an, sich gegen die Kontrolle zur Wehr zu setzen.
Hierbei soll sich der 32-jährige Beamte Schnittverletzungen an der eingeschlagenen Scheibe zugezogen haben. Vater und Sohn wurden aus dem Fahrzeug gezogen und festgenommen. Durch hinzualarmierte Unterstützungskräfte wurden die Tatverdächtigen und das Fahrzeug überprüft. Dabei stellte sich heraus, dass der Fahrer keine Fahrerlaubnis besitzt, der Wagen nicht zugelassen sowie versichert ist und die angebrachten Kennzeichen nicht zum Auto gehören. Eine Durchsuchung des Wagens führte zudem zum Auffinden von mutmaßlichem Einbruchswerkzeug und Bekleidungsstücken, die der Begehung von Diebstählen dienen könnten. Die beiden Festgenommenen wurden nach der Durchführung erkennungsdienstlicher Behandlungen in einem Polizeigewahrsam wieder auf freien Fuß gesetzt und erwarten nun unter anderem Strafermittlungsverfahren wegen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Urkundenfälschung. Die verletzten Polizisten wurden zur weiteren Behandlung in ein Krankenhaus gebracht und konnten ihren Dienst nicht fortsetzen.
Was für ein Sittenbild. Ich wunderte mich, warum die Nachricht kaum irgend wo zu lesen war. Und fand sofort die Antwort: Sie ist Alltag. „Pro Tag werden in Berlin knapp 20 Polizisten angegriffen“, schrieb vor einer Woche der Tagesspiegel. Eine Gesellschaft, die so etwas mehr oder weniger stillschweigend hinnimmt, hat eigentlich nicht verdient, dass Männer und Frauen unter Risiko für Leib und Leben für ihre Sicherheit den Kopf hinhalten. Umso mehr, wenn die Politik bzw. Behördenleitung reagieren wie in Berlin: Dort wird den Polizisten gesagt, dass die Realität, die sie täglich erleben, „verzerrt“ sei, und mit Psychologen will man ihnen eine politisch korrekte Realität antrainieren. Orwell hätte es sich nicht besser ausdenken können.
Mich persönlich hat neben diesem Dauer-Wegschauen dieser Satz in der Polizeimeldung am meisten schockiert: „Die beiden Festgenommenen wurden nach der Durchführung erkennungsdienstlicher Behandlungen in einem Polizeigewahrsam wieder auf freien Fuß gesetzt.“ Ich musste sofort an ein Gespräch mit dem früheren BND-Präsidenten und Innen-Staatssekretär August Hanning im vergangenen Sommer denken. Der meinte, dass die Reform des Haftrechtes, an der er mitgewirkt hatte, heute zu Problemen führten. Damals sei man von einer alternden und immer weniger zu Kriminalität neigenden Bevölkerung ausgegangen.
Zitat Hannings: „Wir haben unter der rot-grünen Regierung das Haftrecht sehr stark liberalisiert. Heute werden Tatverdächtige selbst nach schweren Straftaten in der Regel nicht inhaftiert, wenn Sie einen festen Wohnsitz haben. Bei vielen Neuankömmlingen wird da ein falscher Eindruck erzeugt, die sagen sich, Deutschland ist ein sehr tolerantes Land, auch nach schweren Straftaten können wir, selbst wenn wir auf frischer Tat ertappt werden, wieder unbehelligt nach Hause gehen.“
Weiter sagte der parteilose ehemalige Innen-Staatsekretär: „Wir müssen unser Haftrecht ändern, und auf diese neuen Herausforderungen reagieren. Die Kriminalitätslandschaft hat sich verändert. Auch die Polizei muss verstärkt werden. Ich war als Staatsekretär vor mehr als zehn Jahren zusammen mit den Kollegen aus den Ländern an der langfristigen Polizei-Planung beteiligt. Wir gingen davon aus, dass die Gesellschaft immer älter wird, und deshalb die Kriminalität nachlässt. Denn kriminalitätsaffin sind vor allem Männer zwischen 18 und 40, Einbrecher älter als 50 sind in der Praxis sehr selten. Wir dachten, die Zahl dieser jungen Männer und damit die Kriminalitätsbelastung werden in Anbetracht unserer demografischen Entwicklung deutlich zurückgehen.“
Die Polizei-Meldung aus Berlin macht deutlich, wie aktuell die Worte Hannings sind. Und wie sie verhallen – denn ich habe bislang keinerlei ernsthafte Debatte darüber gehört – statt dessen wird groß vermeldet, dass etwa die Flughafengesellschft Berlin dem „Bündnis gegen Homophobie“ beigetreten ist, es gibt eine bundesweite Debatte über das Motto, unter dem der Christoper-Street-Day in Köln stattfindet, und der WDR macht sich große Sorgen, dass unser Handball zu blond und zu deutsch ist.
Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass gerade bei Staatsdienern in Uniform wie der Polizei der Frust über Probleme mit unserem Rechtsstaat und er Justiz enorm ist; das gerade von dort der Zulauf zur AfD enorm ausfällt, ist kein Zufall. Ich stelle mir vor, wie die beiden Beamten, die in Berlin so übel attackiert werden, es aufnehmen, dass ihre Peiniger nicht nur schnell schon wieder auf freiem Fuß waren – sondern dass sie, nach allem, was man von der Berliner Justiz weiß, auch eine sehr milde Strafe erwarten dürfen.
Nur am Rande noch eine weitere Bemerkung zu der Polizeimeldung: Wie so viele Menschen hierzulande habe ich es mir inzwischen angewöhnt, zwischen den Zeilen zu lesen. Und entsprechend fiel mir sofort auf, dass bei den Angreifern keine Nationalität genannt wird. Meine erste Reaktion darauf – politisch sicher nicht korrekt, aber eben die erste Reaktion: „Wenn nicht da seht, dass es Deutsche oder gebürtige Berliner waren, gab es sicher nicht nur einen Migrationshintergrund, sondern es muss sich um Menschen gehandelt haben, die noch nicht so lange hier sind.“ Ich bin sicher, solche Gedanken haben mittlerweile viele (auch wenn sich davon wiederum viele kaum trauen, sie auszusprechen). Das zeigt, wie sehr sich die politische Korrektheit genau ins Gegenteil umschlägt. Das Verschweigen und Vertuschen rückt genau das Thema in den Mittelpunkt, das die Vertuscher eigentlich ausklammern möchten.
David gegen Goliath
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