Jetzt hat Hetze gegen die Polizei den Segen vom Zentralorgan der deutschen Medien: Man darf als Journalist dazu auffordern, Ordnungshüter auf der Müllhalde zu entsorgen. Der Deutsche Presserat hat Beschwerden gegen eine entsprechende Kolumne in der taz zurückgewiesen. Nach Ansicht des Gremiums sind die haßerfüllten Aussagen der Autorin Hengameh Yaghoobifarah von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Die Begründung der „Freiwilligen Selbstkontrolle der Print- und Onlinemedien in Deutschland“, wie sich der Presserat selbst nennt: „Die Polizei als Teil der Exekutive muß sich gefallen lassen, von der Presse scharf kritisiert zu werden. Die Satire bezieht sich im Kern auf die gesellschaftliche Debatte über strukturelle Probleme bei der Polizei wie Rechtsradikalismus, Gewalt und Rassismus“.
Zum einen ist der Beitrag in meinen Augen keine Satire, sondern nachträglich zur Satire verklärt worden. Als die Kritik kam. Dass der Text von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, sehe ich auch so. Aber darum geht es gar nicht – und deshalb ist die Erklärung des Presserats Hütchenspielerei. Denn was ist etwa mit Ziffer 9 des Pressekodex? Da steht: „Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.“ Kennen die „Selbstkontrolleure“ den eigenen Kodex nicht? Auch Punkt 12 käme in Frage: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ Polizisten sind eine soziale Gruppe und werden hier klar diskriminiert – als Nazis. Selbst Ziffer 1 wäre zu prüfen – die „Wahrung der Menschenwürde“. Ist die wirklich gewahrt, wenn man jemand auf den Müll werfen will?
Der Beitrag hatte die Überschrift “Abschaffung der Polizei: All cops are berufsunfähig“. Yaghoobifarah schrieb dort unter anderem, „der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset“ sei „in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch.“ Unter anderem wird Beamten dort unterstellt, sie seien potenzielle Terroristen und deshalb nach der gewünschten Abschaffung der Polizei nicht einmal als Briefträger geeignet: „Auch der Dienstleistungsbereich sieht schwierig aus. Post ausliefern lassen? Niemals. Zwischen Büchersendung und Schuhbestellung passt immer eine Briefbombe.“
In der Kolumne sieht Yaghoobifarah nur einen Verwendungszweck für Polizisten: „Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“
Bitte um Polizeischutz
Pikanterweise bat die Zeitung später selbst um Polizeischutz für die Autorin wegen Anfeindungen gegen sie aufgrund der Kolumne. Berichte, wonach Yaghoobifarah selbst diese Bitte um Polizeischutz initiiert habe, wies sie zurück.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte angekündigt, Strafanzeige gegen die Autorin zu stellen. Offenbar intervenierte aber Bundeskanzlerin Merkel und der frühere CSU-Chef knickte ein, wie so oft. Seine Ankündigung einer Anzeige löste einen Sturm der Empörung bei vielen Journalisten aus, Mit Yaghoobifarahs Forderung, Polizisten als Müll zu entsorgen, hatten sie dagegen kein Problem. Als Alexander Gauland von der AfD 2017 die Entsorgung der SPD-Politikerin Aydan Özoguz in Anatolien – wohlgemerkt nicht auf dem Müll – gefordert hatte, gab es tagelange Empörungswellen in den deutschen Medien.
Seehofer hat nun die Entscheidung des Deutschen Presserats kritisiert. Das sei eine „unerträgliche Verharmlosung“, sagte der Innenminister am Mittwoch in Berlin. Der Deutsche Presserat halte es für eine Geschmacksfrage, wenn Polizistinnen und Polizisten als Müll bezeichnet werden, monierte der frühere CSU-Chef: „Wenn eine ganze Berufsgruppe, die tagtäglich den Kopf für uns hinhält, in dieser brachialen Weise bewusst herabgesetzt und verunglimpft wird, geht es nicht mehr um Geschmack, sondern um unser gemeinsames Wertesystem“, so der Minister. Wenn es zulässig sei, zu sagen, dass Menschen auf den Müll gehörten, sei dieses Wertesystem „ganz offenkundig aus den Fugen geraten“.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die selbst Anzeige gegen die Autorin erstattet und auch beim Presserat Beschwerde eingereicht hatte, reagierte mit „massivem Unverständnis“ auf den Blanko-Scheck vom Presserat: GdP-Vize Jörg Radek sagte: „Damit wurde das Empfinden einer ganzen Berufsgruppe verletzt, auch wenn wir die Pressefreiheit als ein hohes Gut betrachten.“
‘‘Ideologisch geprägt‘
Der Deutsche Presserat ist nach Ansicht von Kritikern seit einiger Zeit parteiisch und ideologisch geprägt. So hatte das Gremium etwa Beschwerden zu Hetzjagd-Falschmeldungen über Chemnitz zurückgewiesen. Zum ersten Mal seit seinem Bestehen hat der Presserat damit eine inzwischen auch durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen widerlegte politische und mediale Falschbehauptung für „unstreitig“ erklärt. Roland Tichy schrieb dazu auf twitter: „Presserat deckt Falschberichte von Medien und rechtfertigt Fake-News zu erfundenen ‘Hetzjagden‘.“
Ich persönlich hatte früher höchstes Vertrauen in den Presserat. Mittlerweile ist dieses leider extrem erschüttert. Ein Gremium wie dieses führt sich selbst ad absurdum, wenn es ideologisch geprägte Entscheidungen trifft und politisch einseitig agiert. Es macht sich so zum Sterbebegleiter unserer großen Zeitungen.
Auch in der zu späten Berichterstattung über die Vorgänge in der Kölner Silvesternacht 2016 sah das Organ keinen Verstoß gegen den Pressekodex. „Damit bekommt der mediale Supergau noch im Nachhinein Absolution von allerhöchster journalistischer Schiedsstelle. Das mutet wie ein Persilschein für unterlassene Berichterstattung an, buchhalterisch vielleicht sauber, aber ethisch nicht wirklich rein“, schrieb dazu Klemens Volkmann schon 2016 in TE: „Der Presserat hat sich zum Buchhalter der Pressefreiheit geschrumpft. Das freiwillige Selbstkontrollorgan versagte als Selbstkritikorgan der freien Presse. Stattdessen mogelt sich der Presserat gebückt und fragwürdig aus der Kölner Affäre, die längst allgemeine Vertrauenskrise ist. Er unterschätzt, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen in dem Maße schwinden, wie offenkundige Fehlleistungen kaschiert und weggebügelt werden.“
Bild: Tim Reckmann, flickr.com, (CC BY-SA 2.0), pxhere, Pixabay / bearbeitet Reitschuster
Text: br