Potsdam: Korrupter SPD-Bürgermeister darf im Amt bleiben
 "Inakzeptabel, mit Nazis zusammen Anträge einzubringen"

Ein Gastbeitrag von Beate Steinmetz

Eigentlich wollten Potsdams Stadtverordnete demnächst über die Abwahl des unter Korruptionsverdacht stehenden Oberbürgermeisters Mike Schubert – gegen den sogar die Staatsanwaltschaft ermittelt – abstimmen. Da der dafür erforderliche Abwahlantrag allerdings mit Stimmen der AfD zustande kam, darf das mutmaßlich korrupte Stadtoberhaupt nun im Amt bleiben.

Es steht die Frage im Raum, ob sich der SPD-Oberbürgermeister der Vorteilsnahme schuldig gemacht hat. Im Großen und Ganzen wird Schubert unterstellt, sündhaft teure VIP-Tickets für ein Fußballspiel im Wert von fast 5.000 Euro für sich und seine Ehefrau sowie sonstige Einladungen zu Sportevents angenommen zu haben. Die Staatsanwalt prüft, ob dies so rechtens ist, denn die Veranstaltungen hat er möglicherweise lediglich als Privatperson und nicht als Bürgermeister mit repräsentierender Funktion besucht. Schubert selbst bestreitet die Vorwürfe und beruft sich auf seine Repräsentationspflichten, denen er sehr wohl nachgekommen sei.

Mike Schuberts Parteikollege (aber offenbar nicht -freund), Stadtverordnetenchef Peter Heuer, sah das jedoch anders und sammelte deswegen Unterschriften von anderen Stadtverordneten für einen Abwahlantrag des Bürgermeisters. Zusammen kamen 29 von 56 Unterschriften und somit genügend für den Antrag. Am 26. Juni hätten Potsdams Stadtverordnete über Schuberts Abwahl entscheiden sollen.

Auf einmal spielten mutmaßlich korrupte Machenschaften keine Rolle mehr…

Daraus wird nun allerdings nichts, denn wie sich herausstellte, kam die Mehrheit für den Abwahl-Antrag nur mit Stimmen von AfD-Abgeordneten zustande. Dies kam heraus, da Antragsteller Peter Heuer zwei Wochen vor der geplanten Abstimmung die Namen der Unterzeichner bekannt geben musste. Darunter befanden sich nicht nur Mitglieder der CDU, der Grünen, der Freien Fraktion, von Potsdam sozial gerecht, mitten in Potsdam, der Linken, der SPD, aber auch – welch Todsünde – der AfD! Sämtliche Unterschriften der FDP-Fraktion wurden nicht gewertet, da sie zu spät eingegangen waren.

Als ein Großteil der Unterzeichner der selbsternannten demokratischen Parteien über diese „Schande“ – das Zustandekommen einer Mehrheit dank der AfD – in Kenntnis gesetzt wurde, vollzogen sie eine 180-Grad-Wende und zogen ihre Unterschriften schnellstmöglich wieder zurück. „‘Wir fühlen uns getäuscht‘„, so FDP-Fraktionschef Björn Teuteberg. Er habe seine und die Unterschriften der anderen FDP-Mitglieder via Mail am 23. Mai angekündigt – allerdings nur unter der Bedingung, dass „es nicht auf die Stimmen der AfD ankommt“!

Le Bon Sozialismus

Peter Heuer habe ihn arglistig getäuscht, indem er ihm bei sich zu Hause eine Liste mit exakt 26 Unterschriften gezeigt habe, von denen keine von einem AfDler stammte. Erst daraufhin habe Teuteberg die FDP-Unterschriften übermittelt, welche aber wohl ohnehin zu spät eingingen.

Die anderen Parteien zeigten sich angesichts dieses von Heuer geplanten Akt des Dammbruchs ebenfalls fassungslos. SPD-Chefin Alma Kleen zeigte erbost: „Sich Mehrheiten über die Stimmen der AfD zu verschaffen, ist falsch.“ Lutz Boede, Mitglied der Kleinstpartei „Die Andere“, verstieg sich sogar zu der Aussage: „Ich finde es absolut inakzeptabel, mit Nazis zusammen Anträge einzubringen.“

Die Brandmauer geht über alles

Aufgrund dieser nicht hinnehmbaren Gemeinmachung mit „Nazis“ kam es, wie es kommen musste: Die Fraktionsvorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung beschlossen am 14. Juni, den Abwahlantrag zurückzuziehen, was im Klartext heißt, dass ein unliebsamer und unter Korruptionsverdacht stehender Oberbürgermeister nun im Amt bleiben darf – weil der Hass auf die AfD über allem steht!

Geht es also nach den meisten Altparteien-Politikern, müssen sämtliche politische Entscheidungen und Wünsche, und seien sie noch so vernünftig, der AfD-Brandmauer untergeordnet werden. Es geht ihnen nichts über Haltung, auch wenn dabei ein möglicherweise hochkorrupter Bürgermeister weiterhin an seinem Stuhl kleben darf. FDP-Chef Teuteberg gibt auch unumwunden zu, dass Schubert „die Abwahl politisch verdient“ hätte, doch der ach so hinterlistige Peter Heuer habe ihm dies „mit seinem Täuschungsmanöver“ vorerst erspart. Lieber ärgert man und schneidet sich ins eigene Fleisch, ehe man mit seinem Erzfeind gemeinsame Sache macht.

Auch Reiner Haseloff nahm gegen seinen Willen Zwangsgebühren-Erhöhung in Kauf

Die gescheiterte Abwahl eines verhassten Bürgermeisters ist nur einer von vielen Fällen, der aufgrund der AfD-Brandmauer nicht zustande kam. Bereits im Dezember 2020 verzichtete Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff auf eine Abstimmung zur Beitragserhöhung der Rundfunkgebühr, obwohl man selbst gegen diese Anhebung war – aus Angst, eine Mehrheit nur mit Stimmen der AfD zusammenzubekommen, denn die war ebenfalls gegen einen Anstieg des Zwangsbeitrags.

Um sich nicht mit „Nazis“ gemein machen zu müssen, verzichtete Haseloff einfach ganz auf die Abstimmung und hoffte, so dennoch eine Erhöhung der Rundfunkgebühr verhindern zu können – was ihm allerdings nicht gelang. Lieber war man also bereit, den Bürgern einen höheren Zwangsbeitrag zuzumuten, als dass man mit Stimmen der AfD eine Mehrheit gegen die Erhöhung zustande gebracht hätte.

CDU verzichtete auf Abstimmung gegen Windrad-Regelung

Ein ähnliches Szenario ereignete sich vor rund zwei Jahren im Thüringer Landtag, als es um die Abstandsregeln von Windrädern ging. Eigentlich wollte damals die CDU einen Antrag für eine 1.000-Meter-Abstandsregelung von Windrädern zu Wohngebäuden einbringen. Als sich jedoch abzeichnete, dass die AfD ebenfalls dafür stimmen und somit für die notwendige Mehrheit sorgen würde, kam Ministerpräsident Bodo Ramelow – dem einst die CDU ebenfalls wegen der AfD-Brandmauer zum Ministerpräsidenten verholfen hatte – den Christdemokraten entgegen und ließ sich auf einen Kompromiss ein. Letzten Endes gab die CDU klein bei und stimmte Windrad-Abständen von unter 1.000 Metern zu, sofern kein Gericht gegen diese Regel urteilt. Zudem kann das Thüringer Infrastrukturministerium seither die geregelten Mindestabstände, wenn nötig, ändern, was zuvor nicht möglich war.

Die Brandmauer bröckelt langsam

Je stärker die AfD allerdings wird, desto schwieriger wird es für die Altparteien jedoch auch, nicht gegen diese Brandwand zu verstoßen. Bereits letzten September waren die „Rechtspopulisten“ im Thüringer Landtag das Zünglein an der Waage, als es um die Senkung der Grunderwerbssteuer von 6,5 auf 5 Prozent ging. Die Mehrheit für die Herabsetzung kam mit Stimmen der CDU, FDP und AfD zustande. Der thüringische CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt unterstellte daraufhin der rot-rot-grünen Minderheitsregierung, bereits selbst Mehrheiten nur mit der AfD erreicht zu haben.

Etwa, als es um die Änderung der Thüringer Kommunalordnung ging, gegen die sowohl die CDU als auch die FDP gestimmt haben, die AfD war dafür. Bodo Ramelow bestritt, die Mehrheit nur mit AfD-Stimmen erlangt zu haben und behauptete, diese habe man stattdessen der Enthaltung der FDP und der Abwesenheit diverser CDU-Abgeordneter zu verdanken. Allerdings wurde nicht vermerkt, wie viele Abgeordnete tatsächlich an der Abstimmung teilnahmen, es war keine namentliche Abstimmung. Ramelows Behauptung, die AfD sei für die Mehrheit nicht erforderlich gewesen, entsprach nur dann der Wahrheit, wenn zwei CDU-Abgeordnete nicht anwesend waren – was unklar ist.

Solange also nicht bewiesen werden kann, dass eine Mehrheit nur mit Stimmen der AfD zustande kam, nimmt manch ein Politiker es mit der Brandmauer plötzlich doch nicht mehr so genau und behauptet einfach, die AfD wäre nicht das Zünglein an der Waage gewesen, auch wenn er dafür jeglichen Nachweis schuldig bleibt. Hauptsache, eine politische Änderung wird durchgedrückt. So groß ist der Hass auf die AfD dann scheinbar doch nicht, denn schließlich kann bei nicht namentlichen Abstimmungen niemand mit absoluter Sicherheit wissen, ob die AfD tatsächlich nun für oder gegen den Antrag gestimmt hat. Das Risiko wird dann einfach in Kauf genommen anstatt den Beschluss wieder rückgängig zu machen, um auf Nummer sicher zu gehen, der Schwefelpartei auch bloß keine Macht eingeräumt zu haben.

Eine Ausnahme stellt hier der anfangs erwähnte Peter Heuer dar, welcher genau wusste, dass die Abwahl des ihm verhassten Oberbürgermeisters nur mit AfD-Stimmen möglich wäre, doch leider machten ihm seine Fraktionskollegen und die Abgeordneten der anderen Parteien einen Strich durch die Rechnung.

Auf kommunaler Ebene ist Zusammenarbeit mit der AfD längst gang und gäbe

Doch je stärker die AfD wird, desto weniger wird sich diese Brandmauer aufrechterhalten lassen, insbesondere im Osten des Landes, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und auch auf kommunaler Ebene ist die Zusammenarbeit zwischen AfD und Altparteien schon lange gang und gäbe, insbesondere natürlich in den ostdeutschen Bundesländern.

So gab es zwischen 2019 und 2023 93 Fälle gemeinsamer Abstimmungen, von denen 74 auf Wunsch der AfD zustande kamen. So stimmten 2020 im Kreistag im Sonnenberger Land, das seit letztem Jahr übrigens den ersten AfD-Landrat hat, sowohl die CDU als auch die FDP einer AfD-Resolution gegen Windkraftanlagen zu. Im Jahr 2023 wurde eine 2021 beschlossene Regelung zur kommunalen Aufnahme von Flüchtlingen mit Stimmen der CDU, AfD und sogar der SPD revidiert. Es bleibt also spannend in puncto bröckelnder Brandmauer gegen die AfD, besonders mit Blick auf die bald stattfindenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg.

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Beate Steinmetz ist studierte Politikwissenschaftlerin und Amerikanistin sowie Mutter zweier kleiner Kinder. Aufgrund ihres großen politischen Interesses ist sie seit über zwei Jahren als freiberufliche Politikjournalistin tätig. Neben reitschuster.de schreibt sie auch für die „Achse des Guten“ und das „Freilich-Magazin“. Ihr Roman „Der Freund, der mir zum Verhängnis wurde“ ist ab sofort als eBook und Taschenbuch hier erhältlich.

Bild: Screenshot Youtube-Video Landeshauptstadt Potsdam

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