Ein Gastbeitrag von Thomas Zieringer, Initiator der Gedenkstätte „Jerusalem Friedensmal“
Mit der Bewegung Querdenken kam ich persönlich das erste Mal in Kontakt, als ich vor einigen Monaten hörte, dass sie eine offene Bühne haben. Ich hatte in 22-jähriger Arbeit das Projekt „Jerusalem Friedensmal“ entwickelt, ein Friedensmal in den deutsch-jüdischen Beziehungen. Es sollte ein Beitrag in der deutschen Erinnerungskultur sein, der einen ganz neuen Ansatz im Umgang mit der Vergangenheit zeigen sollte, nämlich auf das Leben ausgerichtet. Allerdings habe ich über viele Jahre die Erfahrung machen müssen, dass ich in der deutschen Gesellschaft schlicht nicht die Bühne (und Medienberichte) bekam, um mein Projekt überhaupt ausreichend vorstellen zu können. Das liegt wahrscheinlich daran, dass das Friedensmal weder mit Staatsgeldern finanziert worden war, noch dass sich irgendwelche politisch relevanten Gruppen hier in Szene setzen konnten. Es war freie Kunst, die sozusagen unkontrolliert einfach gewachsen war.
Nun dachte ich, dass ich dann doch mal die Bühne der Querdenker ausprobieren will. Ich hatte gehört, dass es bei ihnen einen freien Debattenraum gäbe und man seine Ideen für eine bessere Gesellschaft auf ihrer Bühne darstellen könne. Also fragte ich und ja, ich bekam die Bühne der Querdenker in Darmstadt. Meine Botschaft vom Friedensmal hatte zwar nichts mit Corona zu tun, aber dafür mit der Überwindung von Faschismus. Skurril war übrigens, dass abseits der Veranstaltung ein kleines Grüppchen der Antifa stand, die anscheinend auch etwas gegen Faschismus hatten, aber nicht auf die Bühne der Querdenker gehen wollten.
Die Leute hörten mir gut zu und danach bekam ich noch Tipps, wie ich das Mikrofon fürs nächste Mal halten müsse, damit meine Stimme besser im Publikum ankommen würde. Ich will das Publikum beschreiben: Es waren bereits älter gewordene Antifaschisten, das typische Publikum bei Selbstheilungsseminaren, Meditationen, Bessere-Welt-Kursen, Yoga-Retreats, Öko- und Gesundheitsfortbildungen, anthroposophischen Kursen und Kontaktimprovisationstanz und darunter auch die Gesichter ganz normaler Bürger wie man sie aus jeder Fußgängerzone kennt. „Reichskriegsflaggen“ fielen mir nicht auf, auch keine „Glatzköpfe“ oder Leute in Springerstiefeln, nie hörte ich irgendwo rechte Parolen, dafür aber sehr häufig: „Liebe, Freiheit, Frieden, Wahrheit“.
Seit mehreren Monaten beteilige ich mich an weiteren Aktionen. Ich lebe alleine und das war wohl auch meine Möglichkeit, mir die Vereinsamung und Depression wegen der Anti-Corona-Maßnahmen zu ersparen. Hier traf ich auf sehr verschiedene und interessante Menschen, die mir sogar eine ganz neue Erfahrung ermöglichten, denn zu Demonstrationen hatte es mich früher nie hingezogen. Ich machte auch eine tiefgreifende heilsame Erfahrung, die, wie mir andere berichteten, nicht ungewöhnlich ist: Ich hatte schon immer das Gefühl, nie ganz in unserer deutschen Gesellschaft angekommen zu sein, nie wirklich dazugehört zu haben, und da bleiben einem zwei Möglichkeiten der Interpretation: entweder mit einem selbst stimmt etwas nicht oder eben mit den vielen anderen. Natürlich hatte ich tief in mir bislang das erste gedacht. Und nun traf ich auf Leute, die das genauso erfahren haben wie ich und sich auch schon oft die Frage gestellt hatten: Was oder wer stimmt hier nicht? Bin ich es oder diese Gesellschaft? Es war eine solch heilsame Erfahrung, sich hier plötzlich nicht mehr alleine zu fühlen und damit auch zu wissen, dass man viel weniger neben der Spur läuft, als gedacht.
Ich war dann auch am 3. Oktober bei der Menschenkette am Bodensee dabei, wo ich auf viele Leute aus dem Umfeld des Yoga traf, und bei den Demos in Leipzig und Berlin. Jedes Mal traf ich auf wunderbar einfühlsame Menschen mit viel Liebe im Blick, die sogar auch noch einen Sinn für Kultur hatten. In Leipzig am 7. November sangen wir zusammen auf dem Augustusplatz als spontane Aktion – das war schon lange nach dem Abbruch der Demo durch den Organisator – „Freude schöner Götterfunken“ mit Kerzen in der Hand (so war es also wirklich). Die Stimmung war positiv. Es war ein stilles und schönes Friedensfest und es war tatsächlich schon etwas von einer neuen Welt zu spüren. Als ich am 18. November in Berlin war, schickte ich live die Bilder an eine ältere Freundin in Jerusalem. Sie schrieb mir zurück: „Das ist ja wie Woodstock damals„. Das Einzige, was hier an dieser Demo tatsächlich gefährlich war, das war nämlich die Staatsmacht in ihrer eingeschränkten, einseitigen und von Angst geprägten Wahrnehmung und Handlung.
Volle Breitseite antifaschistischer Erziehung
Als ich dann aber die Berichte über diese Demonstrationen im Fernsehen sah, im Radio hörte und in den Zeitungen las und dazu noch, was Politiker sagten, brach eine Welt für mich zusammen. Die Schilderungen hatten nichts zu tun damit, was ich selbst erlebt hatte. Die Medien schrieben etwas ganz anderes und anscheinend hatte der eine Journalist, der nicht selbst da war, falsch vom anderen abgeschrieben, der nicht selbst da war. Was kann man überhaupt noch glauben von dem, was Medien berichten und Politiker sagen? Ich hatte mir dieses Ausmaß an Falschheit vorher gar nicht vorstellen können, dass also extra dem Publikum ein falsches Bild vermittelt würde, um die Gesellschaft zu spalten. Vielleicht ging es darum, eine sich bildende außerparlamentarische Opposition gleich von Grund auf zu zerstören? Ich empfand diese Diffamierungen als schlimm und mir wurde klar, dass Demokratie und Freiheit tatsächlich kein Naturzustand sind, sondern sich beides ein Volk immer wieder durch eigenen Einsatz verdienen muss. Aber macht nicht genau das die gerade so arg von Politik und Medien bekämpfte Bewegung der Querdenker? Sie steht für unser aller Grundrechte auf und das mit einem Einsatz, der auch mit der Zeit auf die Knochen gehen muss. Zu dieser Wahrnehmung passt auch das Alter der Menschen, die meist um die 50 Jahre alt noch die volle Breitseite einer antifaschistischen Erziehung in den deutschen Schulen mitbekommen hatten.
Als dann die Querdenken-Bewegung als Ganzes noch als rechtsradikal unterwandert und antisemitisch bezeichnet wurde, wohl um eine Demo in Frankfurt zu verhindern und bei den Gerichten „vorzubauen“, war für mich eine rote Linie überschritten. Wer nämlich eine ganze bunte Bewegung als antisemitisch diffamiert, der stärkt doch gerade damit jene Stimmung, die zu Antisemitismus führt. Außerdem ist es eine Relativierung gerade dieser dunklen Zeit in Deutschland, die schließlich zum Verbrechen des Holocaust führte, wenn man heute so schnell mit so wenig Anhaltspunkten eine ganze Bewegung verurteilt: der Antisemitismusvorwurf als politische Waffe. Ich bin mir dabei recht sicher, dass die Zahl an Verrückten, Antisemiten und Rechtsradikalen bei den Querdenker ziemlich genau mit dem Bevölkerungsquerschnitt in Deutschland übereinstimmt.
Ja, eine junge Frau verglich sich auf einer Bühne der Querdenker mit Sophie Scholl und eine andere mit Anne Frank. Es ist auch nicht wirklich schwierig, auf eine Bühne der Querdenker zu kommen. Immerhin ließ man auch mich mit meinem das Judentum und die deutsche Vergangenheit betreffenden Thema auf der Bühne sprechen und da wusste vorher auch niemand genau, was ich sagen würde. Ja, es ist wahr: Was die jungen Frauen sagten, war weit überzogen. Aber wer nur kurz nachdenkt, kommt darauf, dass die Querdenker-Bewegung wohl kaum daran schuld sein konnte, gibt es diese Bewegung doch noch nicht wirklich lange. Es ist aber viel unangenehmer für die deutsche Gesellschaft, sich einzugestehen, dass es viel mehr mit ihr selbst und der Schulbildung dieser jungen Frauen zu tun haben könnte als mit der Möglichkeit, sich auf einer Bühne der Querdenker im offenen Debattenraum darzustellen.
Weil also mit der pauschalen Diffamierung der Querdenker als Rechtsradikale und Antisemiten für mich eine rote Linie überschritten war und ich das Friedensmal gegen jede Art von Ausgrenzung gebaut hatte, lud ich schließlich Querdenken-615 zu einer Kundgebung ans Friedensmal ein. Dort wollte ich ihnen dann meine Bühne geben, dass sie ihre Position beim Thema Antisemitismus öffentlich darstellen konnten. So trafen sich am Sonntag dem 6. Dezember ca. 70 Menschen am Jerusalem Friedensmal, um gemeinsam ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Die Querdenker aus Darmstadt dürften darunter die größte Gruppe gewesen sein.
Es war ein angemeldeter Protest: Menschen standen in der Kälte und im Nieselregen für eine menschlichere Welt ein. Aus dem Protest wurde eine 3-stündige Feier der Liebe zu Jerusalem. Es wurden Lieder von Shlomo Carlebach gesungen, es wurde gebetet, Psalmen rezitiert und für den Frieden meditiert. Chris, der bei Querdenken Darmstadt unter seinem Künstlernamen „Hugo Habicht“ bekannt ist, hielt eine engagierte und ernste Rede gegen Antisemitismus. Zur Halbzeit war es notwendig – unter Achtung des Distanzgebotes – miteinander zu tanzen, denn inzwischen war es den Leuten trotz dicker Winterkleidung arg kalt geworden. Chris leitete dann für alle Besucher den Jerusalema-Tanz im Jerusalem Friedensmal an. Der Kommunikationscoach Dirk Hüther führte die Menschen durch einen intensiven Prozess „Von der Wut in die Trauer und dann zu sich selbst“. Dann wurde mit Psalm 122 und dem Lied „Borchi Nafschi Es HaShem“ (Lobet G*tt, meine Seele) von Shlomo Carlebach zum Abschluss das Schild „Jerusalem Friedensmal“ gesetzt. Gegen Abend kam dann tatsächlich noch der bekannte Philosoph Gunnar Kaiser am Friedensmal vorbei. In kleiner Runde, belagert von seinen Fans, gab er vor dem „Stein der Begegnung“ einer philosophischen halben Stunde mit großem Tiefgang den Raum. Unter anderem redete er über das Phänomen der Verschwörungstheorien, was es bedeutet und wie es entsteht.
Die Veranstaltung war sehr bewegend. Ich möchte besonders auf die Videos „Rede gegen Antisemitismus von Querdenken 615“ und „Jerusalema Tanz im Jerusalem Friedensmal“ mit den sehr interessanten Diskussionsbeiträgen darunter hinweisen.
Es kam dann wie es kommen musste: Wir hatten ein schönes und würdiges Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt, das auch in die Querdenken-Bewegung selbst hineinwirken sollte. Doch es gab keine nennenswerte Berichterstattung bei den sogenannten etablierten Medien. Vermutlich hätte diese Realität die Vorurteile zu vieler Journalisten gefährdet. Denn bevor sich ein Mensch eingesteht, selbst in einer Lügenwelt zu leben, erfindet man sich lieber die anderen als „Querspinner“ und hat die Erklärung, mit der man in seiner gewohnten Welt bleiben kann. Auch Journalisten sind nur Menschen.
Aber dies ist das Gefährliche am Mechanismus der Diffamierung und Ausgrenzung: am Ende findet man dann auch zuverlässig, was man anfangs nur auf einen Menschen oder eine Bewegung an Vorurteilen und Ängsten projiziert hatte. Der Mechanismus der Radikalisierung funktioniert nämlich leider tatsächlich.
Und auch ein weiterer Mechanismus funktioniert zuverlässig: Wer seine Wahrheit ausspricht, macht sich damit keine Freunde. Wer aber erzählt, was sich – warum auch immer – zum Konsens geformt hat, der macht sich „Freunde“ und damit holt man sich den Zuspruch und den Beifall, auf Kosten natürlich der Ausgegrenzten und der Wahrheit jener, die auf den Straßen wirklich dabei waren.
Ich hoffe, dass diese Zeit, in der sich die Geister der Vergangenheit so deutlich zeigen und wir erkennen, dass sich Vergangenheit eben doch immer noch wiederholen kann, dass also keineswegs so viel im neuen und besseren Deutschland gelernt wurde, zu einem Lehrstück für die deutsche Gesellschaft wird. Wir brauchen wieder einen öffentlichen und freien Debattenraum und die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung, gerade auch wenn es sich um Meinungen handelt, die von der ideologischen Vorgabe der Regierung abweichen.
Links:
Alle Filme zur Veranstaltung „Herzen am Friedensmal – wir setzen ein Zeichen gegen Antisemitismus“ finden Sie hier.
Informationen zum Jerusalem Friedensmal (Website)
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
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Thomas Zieringer, 1968 in Bensheim geboren, machte nach einem wegen eines ernsten Unfalls abgebrochenen Elektrotechnikstudiums eine körpertherapeutische Ausbildung und entwickelte seine künstlerische Begabung. Seit knapp 22 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit der deutschen Erinnerungskultur und hat dazu auf 3.200 qm das Jerusalem Friedensmal entworfen und gebaut, das im Jahr 2015 offiziell eingeweiht wurde. Auch schreibt er seit vielen Jahren philosophisch geprägte Texte über diese Thematik, die in diversen Blogs veröffentlicht wurden.
Bild: privat
Text: Gast
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