Reichsflaggen-Träger waren keine WDR-Mitarbeiter Die unglaubliche Geschichte eines bösen Verdachts

In den Zeiten der sozialen Netzwerke schwinden die Gewissheiten und die Sicherheiten. Die Grenzen zwischen Falschinformation und belegten Nachrichten werden immer fließender. Selbst in der Politik. Noch im Januar äußerte der Virologe Christian Drosten massive Zweifel an der Wirksamkeit von Masken gegen das Corona-Virus, und Bundeskanzlerin Angela Merkel tat es ihm im März gleich. Nur wenige Zeit später wurde das, was damals noch Konsens war, zu einer „Verschwörungstheorie“, und diejenigen, die sie äußern, zu „Corona-Leugnern“. Die Liste solcher Beispiele ließe sich lange fortführen. Immer mehr Menschen fallen deshalb vom Glauben an Politik und Medien ab – während sich andere umso stärker an ihnen festklammern. Denn Widersprüche könnten beunruhigen.

Wo verläuft die Grenze zwischen Falschinformation und Realität? In jedem Fall anders. Genau deshalb muss man extrem vorsichtig sein in diesen Zeiten. Und sich heftig hüten, zu schnell an irgendetwas zu glauben oder es als Fakt wahrzunehmen. So war das auch gestern mit einem Video vom Rande einer Corona-Demonstration in Köln. Auf dem waren zwei Männer zu sehen, die eine Reichsflagge mitbringen. Und eigentlich ganz und gar nicht aussehen wie Reichsbürger. Misstrauische Twitter-Nutzer fanden auf den Seiten des WDR, der ebenfalls in Köln ansässig ist, zwei Mitarbeiter der gebührenfinanzierten Anstalt, die in ihren Augen verdächtig den beiden Fahnen-Trägern gleichen. „Wenn bei der Demo niemand eine Reichsflagge trägt, muss der WDR sie halt selbst aus dem Kofferraum holen“, verbreiteten nun die bösen Zungen auf Twitter.

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Die Geschichte verbreitete sich lawinenartig in den sozialen Netzwerken (selbst der Chefredakteur der Welt am Sonntag brachte das Dementi des WDR auf seiner Seite). Auch einige der so genannten „alternativen“ Medien schrieben darüber. Das Berichten über einen Verdacht, für den es Anhaltspunkte gibt und der breit diskutiert wird, hat in Deutschland höchstrichterlichen Segen. Ich finde: Es ist sogar Pflicht. Solange man dabei distanziert bleibt und eben deutlich macht, dass es sich um einen Verdacht handelt. Genau so habe ich es gehalten (nachzulesen hier). Gott sei Dank!
Heute Vormittag bekam ich nämlich folgenden Kommentar von Wladimir M.: „Herr Reitschuster, ich bin der Mann mit der Fahne. Ich bin nicht beim WDR, sondern einfach nur ein Patriot. Die Demo in Köln hat mich enttäuscht, da die angeblichen ‘Freiheitskämpfer‘ von Querdenken, mich wegen der Freiheitsfahne angegangen haben.“

Ich überprüfte die Zuschrift und bat Wladimir M., mir Bilder von sich zu schicken. Das machte er – und er scheint wirklich der Mann mit der Fahne zu sein. Sehen Sie selbst:

Weiter schreibt Wladimir M.: „Der zweite Mann ist ein Bekannter von mir. Er hat aber damit nichts zu tun, er war einfach mit mir auf der Demo. Er ist auch nicht bei WDR, KGB, Stasi oder CIA etc.“ Der Mann sei ein alter Bekannter von ihm aus sowjetischen Schulzeiten und arbeite als Koch, so die Aussage von Wladimir M. am Telefon. Nähere Angaben zu dem Begleiter machte Wladimir M. zunächst nicht. Ich blieb hartnäckig und bat ihn um Bilder seines Begleiters. Die schickte er dann auch tatsächlich. Der Mann sieht wirklich dem WDR-Mitarbeiter ähnlich, ist es aber nicht. Um die Privatsphäre des Begleiters zu schützen, veröffentliche ich seine Bilder hier nicht.

Wladimir M. schrieb dazu: „Anbei schicke ich Ihnen zwei Bilder. Eines davon ist während der Demo entstanden. Das andere am nächsten Tag. Wie Sie sehen, hat mein Kumpel keine Ähnlichkeit mit dem WDR-Mitarbeiter. Bereits die Augenfarbe unterscheidet sich. Auch die Form des Schädels ist eine komplett andere. Auch hat er nicht diese widerlichen Ohrringe. Wir sind Russlanddeutsche, wir verunstalten nicht unsere Körper, weder mit Ohrringen, noch mit Tatoos, noch mit sonstigen okkulten Symbolen. Für uns sind Begriffe wie Ehre und Pflicht heilig. Wir sind keine Agente Provokateure. Die Leute sollen weniger spinnen, sondern viel besser sich mit der Geschichte und Soziologie befassen, dann entfällt der Wunsch im Internet zu spekulieren von alleine.“

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Die Geschichte ist ein Lehrstück. Wie vorsichtig man mit Gerüchten umgehen muss. Wie selbst vermeintlich triftige Indizien im Zeitalter des Digitalen in die Irre führen können: Im vorliegenden Falle ein auffälliges Merkmal an der linken unteren Wange sowohl von Wladimir M. auf dem Video als auch von einem WDR-Mitarbeiter auf einem anderen Streifen, der ihn bei der Arbeit zeigt. Ein Leser schrieb dazu: Vielleicht ist das Merkmal auf der Wange durch die Komprimierung des Videos auf twitter entstanden. Offenbar ist dem so – denn auf den Bildern von sich, die mir Wladimir M. zugeschickt hat, ist nichts dergleichen zu sehen.

Die Geschichte ist sehr unangenehm für die beiden WDR-Mitarbeiter, die den beiden Flaggenträgern ähnlich sehen und nun ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurden. Anderseits sind solche Fehler der Preis, der in einer freiheitlichen Gesellschaft für die Kontrolle von Behörden und Institutionen wie in diesem Fall den öffentlich-rechtlichen Sendern zu bezahlen ist. Nicht zu rechtfertigen ist, dass es im Internet vielfach als Tatsache hingestellt wurde, dass die WDR-Mitarbeiter mit der Fahne unterwegs waren. Umgekehrt wäre es auch nicht zu rechtfertigen gewesen, über diese Gerüchte und den Verdacht nicht zu berichten – sachlich und ohne ihn sich zu eigen zu machen. Erst diese Berichterstattung hat dazu geführt, dass sich der Abgebildete nun gemeldet hat, dass Klarheit in die Sache kam und das Gerücht zerstreut ist.

Fragen bleiben allerdings. Etwa, warum der WDR jemanden auf seiner Homepage als aktuellen Mitarbeiter führt, obwohl dieser, wie der WDR jetzt mitteilt, bereits seit 2016 kein Mitarbeiter mehr ist:


Interessant ist auch die Reaktion des WDR heute. In einem Artikel unter der Überschrift „Verleumdungskampagne läuft ins Leere“ schreibt der Sender:

Der Sender informiert seine Leser bewußt nicht darüber, bei welchem „Blog“ sich die Person gemeldet hat – nämlich bei reitschuster.de, und was es damit auf sich hat. Man agiert in der Anstalt  lieber journalistisch unsauber und verschweigt wichtige Quellen, als dass man auf Kollegen verweist. Das sagt viel über den WDR aus. Und über die Art von Journalismus, die er betreibt. Die gebührenfinanzierten Kollegen scheinen etwas nervös zu sein. Skandale hatten sie ja genug. Der Monitor etwa war maßgeblich daran beteiligt, aus dem Tod des Terroristen Wolfgang Grams in Bad Kleinen 1993 einen Skandal zu inszenieren. Die WDR-Sendung berief sich auf eine Zeugin für ihre Behauptung, Grams sei absichtlich gezielt getötet worden. Die hatte aber, wie sich schon sehr bald herausstellte, überhaupt nichts eindeutig gesehen. Die TV-Reporter hatten die eidesstattliche Erklärung einfach selbst formuliert – und als die Zeugin einwandte, sie könne den Kopfschuss nicht bestätigen, beruhigte sie einer der Reporter. Es hätte doch so sein können. Die Frau unterschrieb die Erklärung und erhielt für ihre Lüge 250 Mark zur Belohnung.

 

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Hier noch einige interessante Reaktionen auf Twitter:

Bilder: privat
Text: br

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