Offenbar geht auch führenden Sozialdemokraten der Dauer-Panikmodus von Gesundheitsminister Karl Lauterbach immer mehr auf die Nerven. Bröckelt gar der ohnehin nie allzu große Rückhalt für den Lautsprecher in der eigenen Partei – es sei daran erinnert, dass ihn Bundeskanzler Olaf Scholz bis zuletzt als Minister verhindern wollte und ausgerechnet CSU-Chef Markus Söder entscheidenden Anteil daran hatte, dass er doch noch an den Kabinettstisch kam.
Auf einen dezenten Warnschuss gegen den Minister ausgerechnet aus den eigenen Reihen verweist jetzt der FDP-Politiker und Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki auf Facebook:
Kurz nachdem die heutige Bundestagspräsidentin und frühere gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Bärbel Bas, dem Bundesgesundheitsminister im „Spiegel“-Interview coronapolitisch deutlich die Grenzen aufgezeigt hat, ist eine solche Stellungnahme beachtlich. Dass Karl Lauterbach jetzt wieder vor einer gefährlichen Winterwelle warnt, die nach seiner Erklärung doch eigentlich durch die hohe Zahl an Impfungen nicht entstehen dürfte, ist ebenso bemerkenswert. Bärbel Bas hat Recht, wenn sie in der ihr eigenen Gelassenheit erklärt, wenn man krank sei, solle man zu Hause bleiben. Der Panikmodus, den der Bundesgesundheitsminister offenbar nicht mehr verlassen kann oder möchte, ist fehl am Platz. Minister Lauterbach muss mit dieser Art der Politikgestaltung aufhören und sich zum Beispiel darum kümmern, dass das RKI seinem gesetzlichen Auftrag nachkommt und nach zweieinhalb Jahren endlich Zahlen liefert, die man verwenden kann.
Eine höfliche Umschreibung einer indirekten Ohrfeige für den Minister aus der eigenen Fraktion.
Der Liberale Kubicki legte dann sogar noch einmal nach – nachdem Lauterbach abweichend von Experten auch für Jüngere eine vierte Impfung empfohlen hat:
Der Mediziner und Gesundheitsökonom Lauterbach darf selbstredend gerne eine andere Auffassung haben als die mit 18 Expertinnen und Experten besetzte Impfkommission. Als Minister Lauterbach hat er es aber zu unterlassen, Gegenempfehlungen an die Bevölkerung auszusprechen oder gar künftige Entscheidungen der Impfkommission zu antizipieren, die schlicht nicht vorliegen. Es darf nicht sein, dass ein Minister ständig die Arbeit von vom Gesetzgeber vorgesehenen Kommissionen und Gremien in Misskredit bringt oder untergräbt. Er wandelt hier auf den unheilvollen Spuren seines Vorgängers, der sich für Angriffe auf die Stiko auch nicht zu schade war. Karl Lauterbach kann aber davon ausgehen, dass es einen Grund hat, dass weder die Ständige Impfkommission noch der Sachverständigenausschuss für Maßnahmenevaluation seinem direkten Weisungsrecht unterliegen. Sollte der Deutsche Bundestag irgendwann zur Auffassung kommen, dass die Impfempfehlungen künftig vom Minister direkt in einem Talkshow-Auftritt ausgesprochen werden, wird Herr Lauterbach davon erfahren. Wenn der Minister bis dahin die vom Parlament vorgesehene Aufgabenteilung jedoch nicht akzeptieren kann, bekommen wir ein ernsthaftes Problem. Das Parlament gibt den verbindlichen Rahmen vor, in dem sich der Minister bewegen darf. Darum sind die Empfehlungen der ständigen Impfkommission ausschlaggebend und die des Herrn Lauterbach irrelevant.
Starker Tobak gegen den Minister. Völlig zu Recht. Lauterbach stellt sich nicht nur gegen die Empfehlungen der Stiko. Er attackiert diese auch noch: „Lauterbach übte im Anschluss generelle Kritik an der Arbeit der Stiko. Auf die Frage, ob die Kommission einen neuen Chef brauche, antwortete Lauterbach: „Ich glaube, dass wir uns Gedanken machen müssen, wie wir in der Arbeit der Stiko mehr Dynamik bekommen.“
Die Retourkutsche kam umgehend: Stiko-Chef Thomas Mertens widersprach dem Minister. Er sagte: „Ich halte es für schlecht, medizinische Empfehlungen unter dem Motto ‚Viel hilft viel‘ auszusprechen.“
Auch gegen Kubicki teilt Lauterbach aus: „Das sind epidemiologisch und virologisch abwegige Positionen“, sagte er laut „Welt“ zu Kubickis Äußerung, im Herbst sei eine flache Corona-Welle zu erwarten. Auf die Frage, ob es Quatsch sei, was Kubicki sage, antwortete er: „Ja, auf jeden Fall“.
Kubickis Position habe für ihn keine Relevanz, so Lauterbach dem Blatt zufolge. Der Liberale habe mittlerweile eine ganze Geschichte von Fehleinschätzungen in der Corona-Politik. „Dass er auch diesmal wieder falsch liegt, kann niemanden überraschen“.
Wie bitte? Das sagt ausgerechnet Lauterbach, auf den genau diese Einschätzung – zahlreiche Fehlurteile – am allerbesten zutrifft? Offenbar handelt es sich hier um Projektion – das Übertragen eigener Fehler auf andere.
Bild: Boris Reitschuster
Text: br
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