Schüler sollen Thüringen-Wahl analysieren – aber bitte „politisch korrekt“ Indoktrination an Gymnasium in Schleswig-Holstein

Von Kai Rebmann

Die jüngsten Landtagswahlen haben für erdrutschartige Verschiebungen im deutschen Parteiensystem geführt. Und nur wenige Stunden später zu den ersten panischen Reaktionen in der hiesigen Medienwelt.

So wäre es für die Tageszeitung mit den vier großen Buchstaben völlig in Ordnung, wenn die CDU in Thüringen auf mögliche Überläufer von der Linken zum BSW hofft, um so doch noch zu einer Koalitionsmehrheit aus CDU, BSW und SPD zu kommen. Andererseits wittert dasselbe Blatt ein mögliches „Macht-Manöver der AfD“ für den Fall, dass sich der direkt gewählte Matthias Berger (Freie Wähler), Oberbürgermeister von Grimma, doch noch den Blauen anschließen und diesen so zur Sperrminorität verhelfen könnte.

Aber auch in den Klassenzimmern herrscht ob des Wahlsiegs der AfD in Thüringen offenbar hektische Betriebsamkeit. Am Detlefsengymnasium in Glückstadt (Schleswig-Holstein) bekamen die Schüler einer 8. Klasse am Donnerstag im Fach „Wirtschaft/Politik“ ein Arbeitsblatt ausgeteilt, dessen Inhalt nicht einmal mehr so tut, als solle die Neutralitätspflicht gewahrt werden.

AfD in Thüringen – 'Wahlsieger' oder 'besorgniserregendes' Ergebnis?

Zunächst ging es darum, „die Ergebnisse der Landtagswahl 2023 in Thüringen“ zu analysieren. Gemeint war selbstverständlich das Jahr 2024, aber solche Fehler sind bei all der Schnappatmung natürlich schnell passiert – geschenkt. Diese Aufgabenstellung sollte mithilfe der folgenden vorgegebenen Begriffe gelöst werden: „Wahlsieger“, „Wahlverlierer“, „bemerkenswert“ und „besorgniserregend“. Dazu wurden den Achtklässlern noch zwei Grafiken gereicht, die sowohl die Stimmverteilung in Prozent als auch die jeweils auf die einzelnen Parteien entfallenen Sitze im künftigen Parlament anzeigen.

Es braucht wahrlich nicht viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, was die Lehrer erwarteten, in welchem Zusammenhang ihre Schüler insbesondere den Begriff „besorgniserregend“ zu verwenden haben. Aus objektiver Sicht ist an dem Resultat der Landtagswahl in Thüringen kaum etwas zu erkennen, das Anlass zur Sorge gäbe: ein nach den allgemeinen demokratischen Grundsätzen durchgeführter Urnengang hat ein bestimmtes Ergebnis hervorgebracht, mit dem die Parteien nun – eben diesen Gepflogenheiten folgend – umzugehen haben.

SED-Erben definieren 'demokratisches Spektrum'

Dass dies nicht allen leicht fällt, wird in der nächsten Aufgabe deutlich. Hier geht es für die Schüler darum, eine „passende“ Überschrift für einen aus der „Tagesschau“ zitierten Beitrag zur Wahl zu finden. Darin sieht der abgewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) den Regierungsauftrag nicht etwa bei der AfD und Björn Höcke, sondern bei der CDU – und liefert dafür eine bemerkenswerte Begründung: Wer aus dem demokratischen Spektrum „die meisten Stimmen hat, der muss die Gespräche beginnen, der muss einladen“.

Den Schülern wird hier also die ausgerechnet aus den Reihen der Linken stammende Definition des „demokratischen Spektrums“ zugemutet – zu dem die AfD demnach nicht gehört, sehr wohl aber die SED-Erben. Ob es einer der Gymnasiasten gewagt hat, diesen offenen Widerspruch in seiner Überschrift anzusprechen? Wohl kaum, jedenfalls nicht, wenn er das Schuljahr nicht gleich mit einer schlechten Note beginnen will…

Quelle: privat

Da passt zu guter Letzt auch die auf dem Arbeitsblatt abgedruckte Karikatur ins Bild, in der es – natürlich – abermals um die AfD geht. „Früher gab’s noch einen antifaschistischen Schutzwall…“, meint der eine in Anspielung auf die Mauer, worauf der andere entgegnet: „Der heißt heute CDU, BSW, SPD…“

Tatsächlich spielte dieser Begriff in der DDR-Propaganda eine wichtige Rolle. Damit wurde der Mauerbau als notwendiges Mittel verkauft, um die eigenen Bürger vor dem angeblich allgegenwärtigen Faschismus in der BRD zu schützen. Die jahrzehntelangen Folgen inklusive Schießbefehl und ungezählter Toter sind bekannt. Vor diesem Hintergrund ist es wohl auch einzuordnen, wenn Bodo Ramelow am Wahlabend verkündete: „Ich kämpfe gegen die Normalisierung von Faschismus.“

Thüringen drohen politisch instabile Zeiten

Dass Thüringen vor lauter Brandmauer-Rhetorik womöglich weitere politisch höchst instabile Jahre ins Haus stehen, kommt in dem vorliegenden Arbeitsblatt dann doch noch zur Sprache, wenn auch ganz zum Schluss und eher hinter vorgehaltener Hand: „Eine Koalition aus mehreren inhaltlich sehr unterschiedlichen Parteien und eine starke AfD in der Opposition – wie könnte sich eine solche Konstellation auf das politische und gesellschaftliche Klima in Thüringen auswirken? Begründet eure Einschätzungen.“

Hier dürfte für die Schule dasselbe gelten wie an der Wahlurne: je offensichtlicher und je hartnäckiger Politik am Willen des Volkes vorbei gemacht wird, je stärker werden jene Parteien Zulauf finden, die nach Ansicht des politischen Establishments nicht dem sogenannten „demokratischen Spektrum“ angehören sollen.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shutterstock

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