Von Sören Padel (Västerbotten, Schweden)
Schwedens fünfstufiger Plan zum Abbau der Coronamaßnahmen geht mit dem 29. September 2021 in die fünfte und letzte Stufe. Das heißt, dass so gut wie alle Maßnahmen aufgehoben werden. Mit dem Ende der 5. Stufe – da steht noch kein Datum fest – sollen das Gesetz zur Eindämmung der Epidemie und damit alle Bestimmungen aufgehoben werden.
Was heißt das praktisch? Alle Begrenzungen hinsichtlich der Besucher- und Teilnehmerzahlen von öffentlichen Versammlungen (inklusive Gastronomie) werden abgeschafft, genau wie die Maskenempfehlung für Jugendliche und Erwachsene im ÖPNV während der Hauptverkehrszeiten und die Empfehlung zur Heimarbeit. Gleichzeitig wurde beschlossen keinen Impfausweis einzuführen. Vorerst.
Die Pandemie wird aber, anders als bei den skandinavischen Nachbarn Dänemark und Norwegen, nicht für beendet erklärt. Es können also bei veränderter Infektionslage Maßnahmen der vorhergehenden Stufen per Verordnung wieder eingeführt werden, und da kann auch ein Impfnachweis aktuell werden. Außerdem können Veranstaltungen ohne diesen Impfnachweis auf einer Teilnehmerzahl von 15.000 begrenzt werden.
Also alles gut? Im Vergleich zum deutschen Sonderweg in der Tat scheinbar paradiesische Zustände. Ich habe sogar Glückwünsche zur Beendigung der Pandemie erhalten. Aber so einfach ist das alles nicht.
Zeitgleich mit der Verkündung der Phase 5 wurde bekanntgegeben, dass nun auch die Kinder im Alter von 12 bis 15 Jahren „ein Impfangebot“ erhalten sollen. Anders Tegnell, der schwedische Staatsepidemiologe, begründet das ausdrücklich mit dem Schutz der Gesundheit der Kinder und fügt hinzu, dass die Impfung der Kinder das gesamtgesellschaftliche Infektionsrisiko nicht vermindere.
Was den Schutz der Kinder angeht, so weiß das Tegnell definitiv besser. Im Gegensatz zu den deutschen Virologen, Tierärzten, Gesundheitsökonomen und Mathematikern ist der promovierte Facharzt für Infektiologie auch Epidemiologe, kennt die Statistiken der anderen Gesundheitsbehörde (Socialstyrelsen). Aus denen geht keine gesundheitliche Gefährdung der Kinder hervor. So sind seit Beginn der Epidemie in Schweden 13 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 19 Jahren mit oder an COVID-19 verstorben, vier davon in der impfaktuellen Altersklasse 10 bis 19. Aus der gleichen Altersklasse sind 52 Intensivbehandlungen dokumentiert (87 insgesamt für alle jünger als 20). Im Jahre 2019 verstarben 11 unter 20-Jährige an Influenza. Das sind auf 19 Monate hochgerechnet etwa 18 Todesfälle. Insgesamt starben 2019 in Schweden 505 Kinder und Jugendliche, davon 120 an Erkrankungen (inklusive Vergiftungen).
Es bleibt unklar, was eine ungetestete Impfung bringen soll. Besonders bemerkenswert ist, dass Tegnell im SVT, wo er seine Sicht darlegte, was von Kinder-Long-Covid erzählt hat. Auch er muss die Studien kennen, welche die deutsche STIKO kennt und er muss wissen, dass seine Aussage Unfug ist. Ich hatte das Gefühl, dass er sich bei seiner Aussage nicht wohlgefühlt habe und frage mich, warum macht er das.
Apropos Medien: Die einzige, vorwurfsvolle Frage in diesem Zusammenhang war auf allen Kanälen: Warum kommt die Kinderimpfung so spät? Worte wie Risiken oder Spätfolgen gibt es hier im Zusammenhang mit der C-Impfung einfach nicht. Die Medien verbreiten weiterhin Panik, auch wenn ich neulich seit Monaten wieder eine (dreiminütige) Nachrichtensendung im Radio gehört habe, wo das C-Wort nicht vorkam. Immerhin. Aber in Zusammenhang mit der Kinderimpfung wurden nur erleichterte Eltern und Mediziner interviewt. Nebenwirkungen werden kaum thematisiert und wenn, dann nur, um sie kleinzureden. Es gibt einfach keine Risikoabwägung, die – vor allem bei den Jüngeren – nun mal nicht für eine kritiklose Empfehlung der Impfung sprechen würde.
Auch die in Deutschland immer wieder beschworene Mündigkeit der Schweden, die ja nur Empfehlungen bekommen und dann selber verantwortungsvoll handeln würden, kann ich so nicht erkennen. Ein mündiger Mensch informiert sich umfassend, wägt ab, agiert kritisch. Derlei hat in Schweden keine Tradition. Hier heißen die Behörden „Mündigheiten“ (myndigheter) und die Autoritätsgläubigkeit der Eingeborenen macht mich immer wieder fassungslos. Was Behörden, Medien oder auch Großkonzerne sagen und tun, wird selten bis nie hinterfragt. Es lebt sich so einfach mit dem Abnicken. Das heißt auch, dass Empfehlungen den gleichen Effekt auf das Handeln der Bevölkerungsmajorität haben, wie Vorschriften sie hätten. Andere Länder, andere (Un-)Sitten…
Besonders erschüttert mich, dass niemand die frischen Erfahrungen mit Pandemrix mit der aktuellen Impfkampagne in Verbindung setzen kann. Mir ist persönlich ein Fall bekannt, wo ein nach der Schweinegrippeimpfung an Narkolepsie Erkrankter völlig vorbehaltlos die C-Impfung angenommen hat (man gehöre ja zur Risikogruppe). Gewiss kein Einzelfall.
Wer öffentlich zugibt, nicht geimpft zu sein, muss sich immer wieder rechtfertigen und erntet nur verständnislose Blicke von seiner Umwelt. Druck kommt hier vor allem von Kollegen, Nachbarn, aber auch (auf den Gymnasien) von Lehrern, die in der Angst leben. In meiner Heimatkommune gibt es Pläne, das Pflegepersonal einer Zwangsimpfung zu unterziehen. In der Region Dalarna müssen nicht nur Mediziner, sondern auch Busfahrer und Sachbearbeiter geimpft sein, wenn sie dort angestellt werden wollen. Sicher, kein Vergleich mit Deutschland, Australien oder China. Es gibt bisher auch – von lokalen Ausnahmen abgesehen – keine 2G- oder 3G-Regeln. Aber Freiheit sieht anders aus.
Nein, die C-Krise ist hier noch lange nicht vorbei. Sie sitzt tief in den Köpfen und die Medien sehen zu, dass das noch lange so bleiben wird. Die Spaltung der Gesellschaft ist nicht annähernd so gravierend wie in Deutschland, was aber auch – neben den relativ milden Maßnahmen und Empfehlungen – daran liegt, dass es hinsichtlich der Impfung kaum einen Dissens gibt, der medial ausgetragen werden müsste, um die eben nicht vorhandenen Kritiker zu diskreditieren.
Eines fällt dabei besonders auf: Hier haben die Medien das Monopol auf die Panikmache – die Politik und die Behörden halten sich da augenfällig zurück. Da begeht Schweden nun doch einen Sonderweg…
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sören Padel lebt seit einigen Jahren in Schweden, im nördlichen Västerbotten. Er hat an der Hochschule auf Gotland (heute Universität Uppsala, Campus Gotland) Humangeographie und an der Mittuniversität (Sundsvall und Härnösand) Geschichte studiert. Außerdem ist er ausgebildeter Schülerassistent. In Schweden hat er u.a. in der öffentlichen Verwaltung und als Lehrer (Grundschule und Gymnasium) gearbeitet. Darüber hinaus war er als Tourismusunternehmer und Projektentwickler sowie als Übersetzer und Fachbuchautor tätig.
Auf seinem Portal corona-schwede.de betrachtet er die schwedische Strategie zur C-Krise mit deutschen Augen, aber mit gediegener Landeskenntnis, fern vom Elch. Wichtige Fragen sind u.a.: Was unterscheidet Schweden von Deutschland, was ist gut vergleichbar? Was sagen die Behörden? Welche Quellen gibt es? Alle Aussagen sind zu den entsprechenden Quellen verlinkt und ins Deutsche übersetzt, so dass man sie prüfen kann, ohne des Schwedischen mächtig zu sein. Machen Sie sich Ihr eigenes Bild von der Situation in Schweden! Lesen Sie auch sein neues Buch „Einführung in die Demografie“, aktuell mit der 7. Auflage der „Einführung in die Demografie“ ISBN 978-9185915606.
Bild: Shutterstock
Text: Gast
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