Von Kai Rebmann
Nachdem reitschuster.de zuletzt wiederholt über das Bröckeln der sektoralen Impfpflicht berichtet hatte, unter anderem im Landkreis Mittelsachsen und im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen, erreichte uns die Zuschrift einer Heilpraktikerin aus NRW. Aus diesem Erfahrungsbericht ergibt sich, dass die Gesundheitsämter im Westen der Republik anscheinend mit zweierlei Maß messen, wenn es um das Aussprechen von Betretungs- und/oder Beschäftigungsverboten für ungeimpfte Mitarbeiter im Gesundheitswesen geht. Während man sich einen weiteren Schwund bei den angestellten Pflegekräften in Krankenhäusern und Seniorenheimen offenbar nicht leisten kann und deshalb deren Status als Ungeimpfte stillschweigend duldet, kann es bei Selbstständigen im medizinischen Bereich nicht schnell genug gehen, diesen die weitere Ausübung ihrer Tätigkeit und damit die Sicherung ihres Lebensunterhalts zu untersagen.
Um gegen die aus ihrer Sicht rechtswidrige sektorale Impfpflicht vorgehen zu können, erstattete die Heilpraktikerin am 06.05.2022 Selbstanzeige beim örtlich zuständigen Gesundheitsamt. Nur drei (!) Tage später, mit Schreiben vom 09.05.2022, reagierte die Behörde und sprach gegen die Heilpraktikerin ein Tätigkeitsverbot sowie Betretungsverbot für die Räumlichkeiten aus, in denen sich die betreffende Praxis befindet. Reitschuster.de liegt dieses Schreiben vor. Darin heißt es unter anderem: „Sie haben […] eine Meldung nach Paragraf 20a Abs. 3 Infektionsschutzgesetz an das Gesundheitsamt XY getätigt. Dort gaben Sie an, keinen Impfnachweis im Sinne des Paragrafen 20a Abs. 2 zu besitzen. Gemäß Paragraf 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG kann Ihnen untersagt werden, die Praxis XY zu betreten bzw. weiterhin dort tätig zu werden. Ein eventuelles Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot ist im Einzelfall zu prüfen. Auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse sehe ich mich gezwungen, von der Ermächtigung in Paragraf 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG Gebrauch zu machen und ein solches Betretungs- oder Tätigkeitsverbot zu verhängen.“
Sofortige Schließung der Praxis ohne vorherige Anhörung
Nicht nur die in Windeseile und offenbar aus der Ferne durchgeführte Einzelfallprüfung ist sehr bemerkenswert. Die Heilpraktikerin wurde zwar auf die Möglichkeit hingewiesen, sich bis zum 6. Juni 2022 schriftlich zu dem Sachverhalt äußern zu können, das Betretungs- und Tätigkeitsverbot wurde aber dennoch mit sofortiger Wirkung ausgesprochen. Ein höchst ungewöhnlicher Vorgang, da man in einem funktionierenden Rechtsstaat genau die umgekehrte Reihenfolge erwarten können sollte. Die Heilpraktikerin ließ dem Gesundheitsamt daraufhin eine 10-seitige (!) Stellungnahme zukommen, die reitschuster.de ebenfalls vorliegt. Auf eine Antwort wartet die Frau eigenen Angaben zufolge bis heute. So unterschiedlich können die Bearbeitungszeiten in ein und demselben Amt also sein.
Gegenüber reitschuster.de betont die Heilpraktikerin, dass es ihr nicht um ihr eigenes Schicksal gehe, da sie sich die Selbstanzeige und die daraus zu erwartenden Folgen aufgrund ihrer familiären Situation finanziell habe leisten können. Vielmehr wolle sie darauf aufmerksam machen, dass die Behörden in NRW keineswegs in allen Fällen so nachsichtig sind, wie es zumindest bei den Arbeitnehmern im Gesundheitswesen der Fall zu sein scheint. Aus ihrem Umfeld seien ihr Fälle bekannt, in denen Ungeimpfte von ihren Arbeitgebern inzwischen Schreiben bekämen, „in denen sie aufgefordert werden, ihren Impfnachweis vorzuzeigen, in denen sie zu Stellungnahmen aufgefordert werden und in denen Bußgelder angedroht werden.“ Viele seien infolge dieser Existenzängste und des auf sie ausgeübten Drucks körperlich und psychisch angeschlagen. Die Heilpraktikerin weist außerdem darauf hin, dass von der sektoralen Impfpflicht bei weitem nicht nur Angestellte mit direktem Patientenkontakt betroffen seien, sondern zum Beispiel auch Putzhilfen, Hausmeister sowie Angestellte in der Buchhaltung oder Immobilienverwaltung.
Viele werden versuchen unter dem Radar weiterzuarbeiten
Unsere Informantin gibt im Zusammenhang mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht einen weiteren interessanten Aspekt zu bedenken. Meistens werden die ungeimpften Mitarbeiter von ihrem jeweiligen Arbeitgeber an die zuständigen Behörden gemeldet. Im hier vorliegenden Fall hat die Heilpraktikerin aus den oben genannten Gründen Selbstanzeige erstattet. Andere Selbstständige, die auf ihr Einkommen existenziell angewiesen sind, würden aber natürlich hoffen, so die Vermutung, nie vom Gesundheitsamt kontrolliert zu werden und einfach versuchen, unter dem Radar weiterzuarbeiten. Sie stelle zudem fest, dass die meisten nicht unmittelbar betroffenen Menschen der Meinung seien, dass alle Corona-Maßnahmen inklusive der sektoralen Impfpflicht inzwischen aufgehoben worden seien und deshalb wenig Verständnis dafür hätten, wenn es weiterhin Leute gibt, die gegen eben diese oder in Zukunft vielleicht wiederkehrende Maßnahmen auf die Straße gehen.
Tatsächlich ist der Umgang mit der sektoralen Impfpflicht bei Selbstständigen in medizinischen Berufen ein bisher wenig beachteter Punkt. Ein eventuelles Betretungs- oder Tätigkeitsverbot betrifft in diesen Fällen ja nicht nur den Ungeimpften selbst, sondern auch die bei diesem angestellte (und womöglich geimpfte) Sprechstundenhilfe, Putzfrau oder Sekretärin. Selbst das Paul-Ehrlich-Institut wies erst im Februar 2022, also wenige Tage vor Inkrafttreten der sektoralen Impfpflicht, in seinem Epidemiologischen Bulletin 6/22 unter anderem auf Folgendes hin: „Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass die Impfung mit Comirnaty sehr zuverlässig vor schweren Verläufen schützt, aber nur eingeschränkt vor einer SARS-CoV-2-Infektion.“ (Auszug aus der Stellungnahme der Heilpraktikerin gegenüber dem Gesundheitsamt)
Trotz der mehrfach erwiesenen Tatsache, dass die Impfung, wenn überhaupt, nur dem Eigenschutz dient und ausdrücklich nicht dem Fremdschutz, wurde mit der Einführung der sektoralen Impfpflicht die massenweise Zerstörung von beruflichen Existenzen in Kauf genommen. Und das alles nur, damit die Corona-Hardliner ihr politisches Gesicht wahren konnten. Insofern ist die mutige Entscheidung zur Selbstanzeige der Heilpraktikerin aus NRW nicht hoch genug zu bewerten. Auch wenn die Frau angibt, sich diesen Schritt finanziell leisten zu können, teilte sie unserer Redaktion mit: „Natürlich vermisse ich meine Arbeit, weil sie mir Spaß macht, und weil ich viele nette Patienten gehabt habe, denen ich aktuell nicht mehr helfen kann.“
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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