Sektorale Impfpflicht in der Pflege bröckelt weiter Nach Mittelsachsen verzichtet auch NRW auf Beschäftigungsverbote

Von reitschuster.de

Pflegekräfte, die sich nicht impfen lassen wollen und dabei auf ihren gesetzlich garantierten Anspruch auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 GG) verweisen, haben in Deutschland seit dem 16. März 2022 einen schweren Stand. Die ehemals unveräußerlichen Grundrechte sind in Zeiten, in denen das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit dem Merkel-Zögling Stephan Harbarth an der Spitze nur noch politische Entscheidungen fällt, nicht mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind. Mit der Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht und der absehbaren Bestätigung von deren Verfassungsmäßigkeit durch die Richter in Karlsruhe kam es im Dezember 2021 zum Tabubruch. Tausende Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte sind seit Inkrafttreten der sektoralen Impfpflicht freiwillig oder erzwungenermaßen aus ihrem Beruf ausgeschieden, nicht selten nach jahrzehntelanger Tätigkeit. Die Politik wiederum benutzt diese hausgemachte Verschärfung des ohnehin seit Jahren bestehenden Pflegenotstands zur Begründung von Corona-Maßnahmen, um etwa quarantänebedingte Arbeitsausfälle des Personals zu vermeiden.

David
Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Rechtliche Grundlage für die sektorale Impfpflicht im Gesundheitswesen bildet Paragraf 20a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Streng genommen gilt die Impfpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen zwar nur für ab dem 16. März 2022 neu eingestelltes Personal, die bisherige Rechtsprechung vor den Arbeitsgerichten hat jedoch gezeigt, dass das „Schutzbedürfnis der Heimbewohner“ höher zu gewichten sei als das Beschäftigungsinteresse ungeimpfter Mitarbeiter, weshalb letztere ohne Lohnfortzahlung freigestellt werden dürfen. Das bundesweit erste Urteil dieser Art fällte das Arbeitsgericht Gießen am 12. April 2022. Wie die Gesundheitsämter mit ungeimpften Mitarbeitern von Pflegeeinrichtungen umgehen, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Für den Arbeitgeber besteht zunächst eine Meldepflicht, auf die die Behörden dann auf die eine oder andere Art reagieren können.

Bisher noch keine Beschäftigungsverbote in NRW

Nachdem sich mit Mittelsachsen der bundesweit erste Landkreis klipp und klar gegen Betretungsverbote für Mitarbeiter im Gesundheitswesen ausgesprochen hat, ist es auch in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) noch zu keinen Sanktionen gekommen. Ungeimpfte Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger lässt man dort gewähren, wenn bisher auch mehr oder weniger unter stillschweigender Duldung. Nach WDR-Informationen wurden den Gesundheitsämtern in NRW bis zum vergangenen Mittwoch rund 20.000 Mitarbeiter aus Pflegeberufen als ungeimpft gemeldet, zu aktiven Kündigungen durch den Arbeitgeber oder der Verhängung eines Beschäftigungsverbots durch die Behörden ist es aber offenbar noch nicht gekommen. Selbst Bußgelder seien nur bei einzelnen Meldeverstößen ausgesprochen worden.

Nach einem Erlass der Landesregierung hätte die Überprüfung aller an die Gesundheitsämter gemeldeten Fälle eigentlich bis Mitte vergangener Woche abgeschlossen sein müssen. Dazu gehört insbesondere die Anhörung der nicht geimpften Mitarbeiter sowie der jeweiligen Arbeitgeber. Letztere müssen in ihren Stellungnahmen begründen, weshalb die Betroffenen als unverzichtbar angesehen werden. Ähnlich wie in Mittelsachsen wird bei einer konsequenten Verhängung von Betretungs- und Beschäftigungsverboten auch in NRW befürchtet, dass die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet wäre. Norbert Schulze Kalthoff vom Gesundheitsamt Münster wird wie folgt zitiert: „Wir werden die Belange der Einrichtungen sehr genau prüfen. Ein Arbeitsverbot ist ja ein erheblicher Eingriff in ein Grundrecht und das werden wir vor dem rechtlich unsicheren Hintergrund genau abwägen.“

Befristung der sektoralen Impfpflicht bis Ende 2022

Die bisherigen Regelungen zur sektoralen Impfpflicht im Pflegebereich sind bis zum 31.12.2022 befristet, wie es danach weitergeht, weiß derzeit niemand. Je näher dieses Datum rückt, umso eher dürfte sich die eingangs erwähnte Abwägung zwischen den Interessen des ungeimpften Personals und dem Schutzbedürfnis der Heimbewohner zugunsten der erstgenannten Gruppe verschieben. Vor diesem Hintergrund erklärt Kai Zentara, Gesundheitsbeigeordneter im Landkreistag NRW, dass es immer schwieriger werde, den Angestellten die Pflicht zur Impfung zu vermitteln. Dierk Sutter vom Lazarus Hilfswerk weist auf einen weiteren Logikfehler der einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Gesundheitswesen hin: „Die derzeitige Impfpflicht gilt ja nur für die Beschäftigten, nicht aber für die Heimbewohner.“ Das Infektionsrisiko in Pflegeeinrichtungen werde durch den ungeimpften Teil der Heimbewohner weiter erhöht, glaubt Sutter.

Wie so vieles in der Corona-Politik scheint auch bei der Einführung der sektoralen Impfpflicht einiges übers Knie gebrochen worden zu sein. Mit den handwerklichen Fehlern und daraus resultierenden offenen rechtlichen Fragen dürfen sich jetzt die Gesundheitsämter der Landkreise herumschlagen. Die Leidtragenden sind einmal mehr Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern, die unabhängig von Corona ohnehin schon seit Jahren an der Belastungsgrenze arbeiten. Während Politiker aller Parteien den Mitarbeitern in Pflegeheimen und Krankenhäusern in den ersten Monaten der Pandemie bei ihren Fensterreden noch überschwänglich gehuldigt haben, ist es jetzt ausgerechnet dieser Personenkreis, an dem ein Exempel zur Gesichtswahrung statuiert wurde. Nachdem die Einführung der allgemeinen Impfpflicht krachend gescheitert ist, wäre es der einzig logische Schritt, auch die sektorale Impfpflicht spätestens zum 31.12.2022 auslaufen zu lassen. Für eine Verlängerung fehlen schlicht die sachlichen Argumente, wie die Praxis-Beispiele aus Mittelsachsen und NRW eindrucksvoll zeigen.

Bild: Shutterstock
Text: reitschuster.de

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